Bild nicht mehr verfügbar.

Sasa Kalajdzic hat in 22 Runden der deutschen Bundesliga zehn Tore erzielt und vier vorbereitet.

Foto: Reuters/Orlowski

Es ist ein paar Jahre her, eine natürlich nicht ausschweifende Party irgendwo in Niederösterreich: Sasa Kalajdzic feierte mit, ein Freund eines Freundes stand auf einmal vor ihm, schaute rauf und sagte verblüfft: "Du bist ja länger als eine Woche." Dem exakt zwei Meter großen Kalajdzic hat das gefallen, er lachte laut auf, machte diesen Spruch zu seinem eigenen, sicherte sich sozusagen das Urheberrecht. Dem STANDARD gestattet er eine Erweiterung. "Länger als ein Monat ist auch völlig in Ordnung."

Der 23-jährige Wiener ist beim VfB Stuttgart angekommen. Er ist der größte Spieler in der gesamten deutschen Bundesliga, hat in 22 Runden (21 Einsätze, fünf von Beginn an) zehn Tore erzielt und vier vorbereitet. Fünfmal traf er mit dem Kopf, dreimal mit dem rechten, zweimal mit dem linken Fuß, die Bilanz ist überragend. Die Schwaben sind Zehnter, haben mit dem Abstiegskampf nicht einmal am Rande zu tun. Kalajdzic sagt: "Das ist angenehm, dieser Stress fällt weg."

Der Mittelstürmer sieht die Welt von oben, die gegnerischen Verteidiger sehen ihn von unten, das Schema ist logisch: Flanke, Kopfball, Tor. Trainer Pellegrino Matarazzo schwärmt für den Langen mit Schuhgröße 47. "Er hat es nicht nur in den Beinen und im Kopf, er hat auch Köpfchen. Wenn man mit ihm ins Gespräch kommt, dauert es nicht nur fünf Minuten, sondern zwanzig." Kalajdzic ist absolut zugänglich für Lob, schränkt aber ein: "Ich bin nicht der Allerdümmste, nicht der Allerklügste. Ich bin ein offener, ehrlicher Typ, will es jedem recht machen, sage aber schon, was ich denke." Respekt sei ihm wichtig. "Jeder Mensch soll glücklich und zufrieden sein." Er beantwortet sämtliche Fanpost persönlich. "Weil es sich gehört. Das ist eine Form von Respekt." Sein Lebensmotto lautet: "Wenn du was machst, dann mach es gescheit. "

Echter Wiener

Rückblick: Es ist eine gar nicht so untypische Wiener Fußballgeschichte. Die Eltern, aus Bosnien-Herzegowina stammende Serben, flüchten vor dem Krieg, landen in Wien. Sasa wird hier am 7. Juli 1997 geboren, sein Bruder Daniel drei Jahre später. "Ich bin ein echter Wiener mit serbischen Wurzeln." Als Vorbild könnte er Zlatan Ibrahimovic nennen, Fehlanzeige. "Es sind meine Eltern. Sie kamen mit nichts nach Österreich, haben sich eine Existenz aufgebaut und meinem Bruder und mir ein schönes Leben ermöglicht. Sie sind Helden." Der Papa, ein Fan von Partizan Belgrad, ist Elektroinstallateur, die Mama Angestellte. Die Familie wohnt in der Donaustadt, im 22. Bezirk. Sasa ist mit Energie angefüllt, ein Zappel-Sasa, tritt wild gegen Bälle. Beim SV Donau wird diese Auffälligkeit in Bahnen gelenkt. Als Neunjähriger wechselt er zu Donaufeld, es folgen die Vienna und noch einmal Donaufeld. 2016 ging’s ab zur Admira, zu den Juniors. Die Südstädter genießen ja den Ruf, Talente zu erkennen und sie dann zu gestandenen Fußballern auszubilden. Bei Kalajdzic wurde das bestätigt.

Er hat im Mittelfeld begonnen, wurde technisch und taktisch ausgebildet, kennt sämtliche Facetten des Spiels, hat das Rüstzeug. Im Alter von 16 setzte ein massiver Wachstumsschub ein, Kalajdzic wurde lang und immer länger, er machte sich Sorgen. "In meinem Kopf schwirrten viele Sachen herum. Hält das mein Körper aus? Ich hatte Angst, dass meine Bewegungen schlampig ausschauen." Die Ästhetik sollte nicht verlorengehen, seine Schritte blieben elegant, die Dribblings hatten nichts von Tollpatschigkeit. Mittlerweile sieht er die Größe "als Vorteil. Außerdem kommt es darauf an, wie ein Mensch ist."

Ernst Baumeister, 2016 Trainer der zweiten Mannschaft der Admira, sah Kalajdjzic eher im Sturm als im Mittelfeld. Er fragte, ob er sich das vorstellen könne. Kalajdzic konnte. Ab Sommer 2017 kam er regelmäßig in der Bundesligamannschaft zum Einsatz – unter Trainer Damir Buric, der später nach Fürth ging, von Baumeister abgelöst wurde und jetzt wieder in der Südstadt werkt.

Sasa Kalajdzic besitzt, das erstaunt eher nicht, ein Smartphone. Als Bildschirmhintergrund dient ein langer Satz, der ihm gefällt: "Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte, achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen, achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten, achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter, achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal!"

Apropos Schicksal: Im Juli 2019 wechselte er zum VfB Stuttgart, zum Absteiger. Nach 33 Partien und elf Toren für die Admira. Kolportierte Ablöse: 2,5 Millionen Euro. Rapid hatte auch Interesse, wurde aber wie so oft Zweiter. Der Traum wurde zum Albtraum, im ersten Testspiel riss sich Kalajdzic das Kreuzband, das Innenband, den Außenmeniskus. Die Pause nach dem Totalschaden sollte acht Monate dauern. Stuttgart verzichtete, einen Ersatz zu verpflichten. Kalajdzic: "Sie gaben mir das Gefühl, auf mich zu warten. Aber das Ganze war ein Schock. Warum passiert das ausgerechnet mir?" Er schuftete in der Reha, Familie und Freunde unterstützten ihn mental. Stuttgart stieg wieder auf, das Happy-End nahm seinen Lauf.

Am ersten Spieltag der laufenden Saison erzielte er als Wechselspieler beim 2:3 gegen Freiburg sein erstes Bundesligator. Im Oktober 2020 gab er sein Debüt im österreichischen Nationalteam (1:0 in Rumänien), er hält bei zwei Einsätzen und null Toren, das ist ausbaufähig. "Die Konkurrenz ist groß."

Geiles Gefühl

Von einem "Durchbruch" möchte Kalajdzic nicht sprechen. "Meine Entwicklung ist sehr positiv. Wichtig ist der Erfolg der Mannschaft. Obwohl es schon ein geiles Gefühl ist, ein Tor zu schießen." Die Corona-Pandemie sorgt dafür, dass er für Stuttgart noch nie vor Publikum gekickt hat. Da drängt sich der schwache Scherz auf, dass er diese Leere von der Admira eh gewohnt ist. "Das tut sauweh. Wir sind doch Entertainer." Trotzdem seien Fußballer privilegiert. "Mehr schmerzt, dass ich meine Familie so selten sehen kann." Die Freundin ist zu ihm nach Stuttgart gezogen. Bruder Daniel ist übrigens zur Untätigkeit gezwungen, er spielt bei den Admira-Amateuren, die dürfen Corona-bedingt nicht trainieren.

Der Vertrag beim VfB endet im Sommer 2023. Kalajdzic hat keinen Karriereplan. "Weil vieles passieren kann, alles schnelllebig ist." Am Samstag kommt Schlusslicht Schalke. Das klingt nach Flanke, Kopfball, Tor. Vielleicht ist Sasa Kalajdzic länger als ein Jahr. (Christian Hackl, 27.2.2021)