Die Bedingungen, unter denen die Produktion stattfindet, werden ignoriert, sagt der Ökonom und Betriebswirt Maurice Höfgen im Gastkommentar.

Ist durch die Corona-Pandemie die Zeit für ein bedingungsloses Grundeinkommen gekommen? Oder wäre es einfach nur die falsche Antwort?
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Freiheit und Selbstverwirklichung – um diese Ideale für die Lebensrealitäten der Menschen zu erreichen, sei ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) der beste Weg, so die Befürworter der Idee. Insbesondere die "Befreiung von der klassischen Erwerbsarbeit" wird als erstrebenswertes Ziel angeführt. Ein transformativer Anspruch also. Schaut man genauer hin, entpuppt sich das jedoch als uneinlösbares Versprechen.

Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Konsumscheck, der gemäß persönlichen Präferenzen ausgegeben werden kann. Das ermöglicht den Empfängern einen höheren Grad an Freiheit in Hinblick auf deren Konsumentscheidungen. Historisch gesehen waren derartige Einkommensgarantien immer an diejenigen gerichtet, die davon ausgeschlossen waren, mit ihren Arbeitsleistungen zur Gesellschaft und dem Gemeinwohl beizutragen – sei es alters- oder gesundheitsbedingt. Das BGE bricht mit dieser Idee, indem es bedingungslose Transferzahlungen – unabhängig von der individuellen Fähigkeit, einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten – verspricht. Ein individualistischer Ansatz.

Wunsch nach Teilhabe

Die Produktionsseite der Welt wird jedoch negiert. Das Grundeinkommen kann nur kaufen, was andere produzieren. Es muss also jemanden geben, der seine Zeit und Mühe der Arbeit zuwendet, die nötig ist, um die Güter und Dienstleistungen für die Empfänger des BGEs herzustellen. Bis zu welchem Grad ist das zu rechtfertigen? Zudem: Die Bedingungen, unter denen die Produktion stattfindet, werden vom bedingungslosen Grundeinkommen ignoriert. Ein BGE spendet Freiheit für unsere Amazon-Bestellungen, aber verschließt die Augen vor einer Produktionswelt, die mehr und mehr von den Jeff Bezos dieser Welt dominiert wird. Der Konsumscheck fließt in genau das System, das die Probleme, die das Grundeinkommen zu lösen verspricht, erst erzeugt – ein Widerspruch.

"Was willst du mal werden, wenn du groß bist?" – eine Frage, auf die Kinder allerlei kreative Antworten geben, und eine Frage, die ganz klar auf Einschluss in die Produktionsseite unserer Welt abzielt. Das bedingungslose Grundeinkommen als individualistisches Konzept liefert keine systematische Lösung für den Wunsch nach Teilhabe und Mitwirkung an der Gesellschaft – geschweige denn die soziale Anerkennung dafür. Um das zu garantieren, müsste die Produktionswelt ebenso universell zugänglich sein, wie das Grundeinkommen die Konsumwelt universell zugänglich macht.

Verdrängungskampf

Das Gegenteil ist der Fall. Wer Arbeit sucht, muss sich dem Verdrängungskampf mit anderen Bewerbern um die knappen Arbeitsplätze – meist im Privatsektor – stellen. Diese Abhängigkeit, die auch mit Machtasymmetrie zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zugunsten der Arbeitgeber einhergeht, bleibt unangetastet. Wer keine (passende) Arbeit findet, den versorgt das BGE mit Einkommen.

"Anstelle eines bedingungslosen Einkommens könnte der Staat ein bedingungsloses Jobangebot machen."

Doch auf den sozialen und psychologischen Kosten von unfreiwilliger Arbeitslosigkeit und Jobunsicherheit bleiben die Betroffenen sitzen. Damit gehen soziale Isolation, Frustration, Unsicherheit, Minderwertigkeitsgefühle und Verringerung der Selbstachtung einher – allesamt Faktoren, die als strukturelle Auslöser für Depressionen und andere psychische Erkrankungen gesehen werden und schwerer wiegen als der bloße Einkommensverlust. Daneben ist unfreiwillige Arbeitslosigkeit mit gesellschaftlichen Problemen wie Kriminalität, regionalen Entwicklungsdisparitäten, Gesundheitsproblemen, Familienproblemen, Schulabbrüchen, Verlust von Humankapital sowie politischer Instabilität verbunden.

Die wirtschaftspolitische Verantwortung des Staates für Vollbeschäftigung spielt in den BGE-Überlegungen keine Rolle. Anstelle eines bedingungslosen Einkommens könnte der Staat ein bedingungsloses Jobangebot machen. Die Grundidee: Jeder, der arbeiten kann und will, bekommt einen auf seine Fähigkeiten angepassten und aufs Gemeinwohl ausgerichteten Job zu sozialverträglichen Konditionen.

Progressive Korrekturen

Mit einer solchen Jobgarantie würde der individuelle Wunsch nach Beschäftigung und gesellschaftlicher Teilhabe mit den Bedürfnissen der Kommunen in Sachen öffentlicher Daseinsvorsorge vereint – Arbeitssuchende und Arbeitsbedarf würden zusammengeführt. Das ist insbesondere im Kontext des dringend notwendigen ökologischen Umbaus relevant. Der Verdrängungswettbewerb um knappe Arbeitsstellen im Privatsektor würde gelöst, die Machtasymmetrie auf dem Arbeitsmarkt ein Stück weit korrigiert. Während das bedingungslose Grundeinkommen Konsumschecks verteilt, öffnet die Jobgarantie das Tor zu progressiven Korrekturen der Produktionswelt. (Maurice Höfgen, 28.2.2021)