Angesichts der Dichte des Skisprungkalenders bei der WM in Oberstdorf tritt die je nach Sichtweise skandalöse oder auch nur unglückliche erste Entscheidung unter dem Schattenberg flott in den Hintergrund. Nur 24 Stunden nach dem Einzel der Damen folgte am Freitag deren Teambewerb auf der Normalschanze (nach Blattschluss). Am Samstagnachmittag sind die Herren auf dem 106-m-Bakken dran.

Kraft "eingegroovt"

Das österreichische Quartett, das nach ausgesprochen guten Trainingssprüngen in die gestrige Qualifikation ging, konnte natürlich nicht umhin, sich auch mit den Vorkommnissen am Donnerstagabend zu beschäftigen. "Ab und zu übertreiben sie es mit der Luken-Hin- und-her-Schieberei", sagte Stefan Kraft, der sich selbst auf die kleine Schanze "gut eingegroovt" hat. Die Tatsache, dass im Finale des Damenspringens ausgerechnet vor der führenden Österreicherin Marita Kramer verkürzt worden war, verstand der Salzburger nicht: "Im ersten lässt man alle runterdonnern, da wird nicht verkürzt. Im zweiten, wo du 102 Meter hupfst, wo es am besten zum Hinspringen ist auf der Schanze, wird verkürzt."

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Marita Kramer landete im Normalschanzenbewerb zweimal grenzwertig und damit für sich selbst zu Recht auf Rang vier.
Foto: Reuters/Pfaffenbach

Kramer, die im ersten Durchgang den Satz auf die Schanzenrekordweite von 109 Metern nur mit Ach und Krach unfallfrei gelandet hatte, konnte im zweiten Durchgang den Angriff der Slowenin Ema Klimec, die sich mit 100,5 Meter an die Spitze gesetzt hatte, unter diesen Umständen nicht kontern und verpatzte bei 98 Metern die Landung. Die 19-Jährige fiel auf Rang vier zurück, auf Bronze fehlten 1,1 Punkte.

Während die Sportlerin, enttäuscht, aber wunderbar abgeklärt, in erster Linie bei sich selbst die Schuld für das Verpassen der Medaille suchte, schrien die Verantwortlichen des Skiverbands ÖSV quasi Zeter und Mordio. Sportchef Mario Stecher legte Protest ein, nicht so sehr, um das Ergebnis zu ändern ("sinnlos"), sondern gegen die handelnden Personen. Die dürften, grollte der Steirer, nie wieder bei Großereignissen in einer Jury das Sagen haben. "Solche Leute sollten an der Ausübung ihres Jobs gehindert werden."

ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel witterte gar Betrug. "Das ist eine Sauerei, das ist unglaublich, das ist Manipulation." Die Tatsache, dass bei den Technischen Delegierten mit Saso Komovec und dessen Assistent Miran Tepes zwei Slowenen, also Landsleute der Weltmeisterin, der Jury angehörten, lässt natürlich trefflich spekulieren. Und überhaupt, auch Renndirektorin Chika Yoshida hatte ein Motiv, Kramer zu benachteiligen, schließlich ging es nebenbei um die Bronzemedaille ihrer Landsfrau Sara Takanashi. Wie der Finne Jani Hyvaerinen als zweiter Technischer Delegierter und der Deutsche Daniel Nett, der Ablaufchef, in den Krimi passen, hat sich bisher noch nicht erklärt. Dass die Jury nicht je nach Stand eines Bewerbes aus – der Nationalität nach – neutralen Experten frisch zusammengestellt werden kann, erklärt sich von selbst.

Sicherheit geht vor

Komovec bekannte, dass die Entscheidung, vor Kramers Sprung zu verkürzen, schwierig gewesen sei. "Sicherheit geht immer vor. Marita ist im ersten Durchgang weit gesprungen und konnte den Sprung kaum stehen. Da können Verletzungen passieren. Im zweiten Durchgang wurde der Wind plötzlich viel besser, wir sind ein Gate runtergegangen, damit sie sicher landen kann." Für ihn sei das die einzige logische Entscheidung gewesen. Dass sich die Windverhältnisse wie in Oberstsdorf um diese Zeit eigentlich immer minütlich ändern, wurde Kramer zum Verhängnis, die Jury hätte das mitbedenken müssen.

Eva Pinkelnig war am Donnerstagabend fast noch niedergeschlagener als Kramer. Die Vorarlbergerin, die nach einem schweren Trainingssturz gerade erste wieder Tritt gefasst hatte, verpasste als 32. das Finale. Damit waren die Weltmeisterschaften für die 32-Jährige beendet. Da sie auf der Großschanze keinen Bewerbsprung in den Beinen hat, reiste sie aus Oberstdorf ab. (Sigi Lützow aus Oberstdorf, 26.2.2021)