Die Justiz steht unter Beschuss der Kanzlerpartei – und das, während verschiedene Staatsanwaltschaften gegen aktive und frührere ÖVP-Politiker ermitteln. Was machen Angriffe auf die Justiz mit unserem Staat? Sind sie sogar eine Gefahr für unsere Demokratie? DER STANDARD hat angesehene Juristen, Politiker, den Altpräsidenten und die Opposition um Stellungnahmen zu den aktuellen Vorgängen gebeten.

Heinz Fischer

Bundespräsident von 2004 bis 2016

Heinz Fischer
Foto: Matthias Cremer

"In den vergangenen 50 Jahren der Zweiten Republik waren es vor allem Jörg Haider und seine FPÖ, von denen die Justiz kampagnenartig attackiert wurde. Auch mit den aktuellen Angriffen, diesmal vom Kanzler und der ÖVP, wird ein schlechtes Beispiel gegeben. Gleichzeitig muss man klarstellen, dass ein Verdacht noch kein Schuldspruch ist. Ich habe Vertrauen in die Festigkeit unserer Demokratie, aber der Rechtsstaat kann Schaden erleiden, wenn durch massiven politischen Druck erzwungen werden soll, dass gegenüber einem hochrangigen Politiker anders vorgegangen wird als bei einem kleinen Gewerbetreibenden. Die Justiz, mit dem Justizminister an der Spitze, muss deutlich machen, dass sie sich nicht beeinflussen lässt – da ist schon einiges geschehen. Auch die unabhängigen Medien und die Zivilgesellschaft müssen die Unabhängigkeit der Justiz mit Nachdruck unterstützen und verteidigen."


Irmgard Griss

Ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, bis 2019 Abgeordnete (Neos)

Irmgard Griss
Foto: Heribert Corn www.corn.at

"Es gibt einen viel einfacheren Weg, um das von der ÖVP anvisierte Ziel zu erreichen. Eine einzige Gesetzesbestimmung würde dafür genügen: Gegen ÖVP-Regierungsmitglieder darf nicht ermittelt werden. Auf diesen einfachen Nenner lässt sich die Kampagne der Volkspartei gegen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) bringen. Sie sollte unter dem Niveau einer Regierungspartei liegen."


Heinrich Neisser

Früherer ÖVP-Klubobmann und Bundesminister, Jurist

Heinrich Neisser
Foto: Matthias Cremer

"Die ÖVP argumentiert, dass man eine Institution doch wohl kritisieren darf. Und dieser Grundsatz steht außer Zweifel. Die Kernfrage ist aber: Wer kritisiert wen und zu welchem Zweck? Aktuell handelt es sich um nichts anderes als eine parteipolitisch motivierte und opportunistische Aktion der ÖVP für den Finanzminister. Man hat über Aussagen von Bundeskanzler Sebastian Kurz zum Rechtsstaat schon verschiedentlich den Kopf geschüttelt. Jetzt aber muss er aufhören, mit dem Feuer zu spielen."


Pamela Rendi-Wagner

SPÖ-Vorsitzende

Pamela Rendi-Wagner
Foto: APA / Roland Schlager

"Die Angriffe auf die Justiz, wie sie seit einigen Tagen seitens der ÖVP stattfinden, sind einer Regierungspartei unwürdig. Denn sie schwächen das Vertrauen in Justiz und Rechtsstaat. Das ist demokratiepolitisch gefährlich. Regierungsmitglieder müssen immer das Amt, die Republik Österreich und unsere Demokratie vor die eigenen persönlichen Interessen stellen. Wenn das nicht mehr passiert – und hingenommen wird –, erodieren Grundfeste unserer Demokratie."


Norbert Hofer

FPÖ-Obmann

Norbert Hofer
Foto: APA / Roland Schlager

"Reformen im Justizbereich sind mit besonderem Feingefühl und parteipolitischer Distanz durchzuführen. Wenn sie aufgrund juristischer Probleme von Spitzenpolitikern durchgeführt werden, ist höchste Skepsis angebracht. Der Grundsatz der Gewaltentrennung darf nicht aufs Spiel gesetzt werden. Anlassbezogene Hüftschüsse aus dem Kämmerchen der Spindoktoren sind daher ebenso abzulehnen wie Akten-Leaks."


Beate Meinl-Reisinger

Neos-Chefin

Beate Meinl-Reisinger
Foto: APA / Georg Hochmuth

"Die Pläne für einen unabhängigen Bundesstaatsanwalt zeigen, was möglich ist, wenn die ÖVP unter Druck gerät. Gleichzeitig sehen wir einen massiven Angriff vom Kanzler abwärts auf die Justiz, Ideen für eine Zerschlagung der WKStA, einen Maulkorb für Journalisten und Einschränkungen von Ermittlungsbefugnissen. Die ÖVP sollte schleunigst zu einer gesamtstaatspolitischen Verantwortung zurückkehren."


Ludwig Adamovich

Präsident des Verfassungsgerichtshofs von 1984 bis 2002

Ludwig Adamovich
Foto: Imago / Chromorange / Weingartner

"Das Verhältnis von Politik und Justiz ist mit einem Vulkan vergleichbar – gefährlich gebebt hat er immer wieder, insbesondere wenn es um budgetäre Fragen ging. Jetzt ist er kräftig explodiert. Es ist ein Problem für unsere Demokratie, wenn die Justiz, anstatt ihren eigentlichen Aufgaben nachzugehen, in einen öffentlichen Verteidigungskampf gerät. Staatsanwaltschaften müssen – bei Wahrung einer gewissen Sensibilität – ungehindert arbeiten können, das sollte in einer gesunden Demokratie außer Frage stehen."


Heinz Mayer

Verfassungsjurist, bis zur Emeritierung 2014 Dekan des Juridicums Wien

Heinz Mayer
Foto: Robert Newald

"In den vergangenen Tagen mussten wir erleben, dass zwischen der Verfassung und dem Handeln höchster Staatsorgane eine tiefe Kluft entstanden ist. Da ordnet die WKStA eine Hausdurchsuchung beim Finanzminister an; dieser könnte sich mit einer Beschwerde rechtlich zur Wehr zu setzen; er tut es nicht. Stattdessen startet er unter tatkräftiger Hilfe des Kanzlers eine politische Kampagne gegen die WKStA. Derart unverblümt haben maßgebliche Politiker noch selten auf verfassungsrechtlichen Institutionen herumgetrampelt."


Werner Kogler

Vizekanzler, derzeit Justizminister

Werner Kogler
Foto: APA / Georg Hochmuth

"Die unabhängige Justiz ist ein zentrales Fundament von Rechtsstaat und liberaler Demokratie. Die Vertreterinnen und Vertreter der österreichischen Justiz leisten tagtäglich sehr wichtige Arbeit, die unseren Respekt verdient. Diese Arbeit müssen sie ungestört – und ohne politische Einflussnahme – ausüben können. Die Politik hat die Aufgabe, die Unabhängigkeit der Justiz zu respektieren und zu schützen – und das Vertrauen in die Justiz zu stärken." (PROTOKOLLE: Katharina Mittelstaedt, 26.2.2021)