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Foto: Reuters/Foeger

Es sind merkwürdige Zeiten, die dieses Land erlebt. Wer dachte, mit Ibiza-Video samt Regierungsauflösung hätten mutmaßliche Korruptionsskandale hierzulande ihren Höhepunkt erreicht, wurde in den vergangenen Wochen eines Besseren belehrt. Erstmals wurde die Wohnung eines amtierenden Finanzministers durchsucht; erstmals ein Höchstrichter und ehemaliger Justizminister in seinem Büro am Verfassungsgerichtshof (VfGH) von Ermittlern besucht. Von den Maßnahmen betroffen ist politisch nur die ÖVP, die gleichzeitig in Umfragen meilenweit vor den anderen Parteien liegt – und ihre Macht dazu nützt, gegen die Justiz aus allen Rohren zu schießen. Doch die Botschaft der ÖVP verfängt nicht: Es ist nicht mehr nur die ungeliebte Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die gegen Türkise ermittelt. Auch die Staatsanwaltschaften (StA) in Wien und Innsbruck haben nun einstige ÖVP-Politiker und einen ÖVP-nahen Beamten im Visier. Seither herrscht Schock im Justizpalast.

1. Der Fall Brandstetter

Wolfgang Brandstetter hat eine perfekte Karriere hinter sich. Der 64-jährige Niederösterreicher hat alles erreicht, wovon junge Juristen träumen: Er war Professor für Strafrecht; Verteidiger eines Bundeskanzlers (nämlich von Werner Faymann, SPÖ, in der Inseratenaffäre); die ÖVP nominierte ihn zum Justizminister, schließlich wurde er unter Türkis-Blau an den Verfassungsgerichtshof entsandt. Vergangene Woche kam die bittere Wende: Der Trend berichtete, dass Brandstetter ins Visier der Ermittler geraten war. Eine Hausdurchsuchung beim Milliardär Michael Tojner lieferte Hinweise darauf, dass Brandstetter während und nach seiner Zeit als Justizminister rote Linien überschritten hatte – es gilt die Unschuldsvermutung.

Aliyev-Anwalt

Schon während seiner Amtszeit in den Jahren 2013 bis 2017 hatte es hinter vorgehaltener Hand immer wieder Kritik an Brandstetter gegeben. Er galt als Anwalt, der seine Mandanten mit allen Mitteln unterstützte: Der Diplomat Rakhat Aliyev – der von seinem Schwiegervater, dem kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew verfolgt wurde – hatte einst seinen offiziellen Wohnsitz an Brandstetters Privatadresse.

Nach dem Rücktritt von ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner wurde Brandstetter sogar noch kurzzeitig Vizekanzler. Drei Monate nach seinem Ausstieg aus der Politik schlug ihn die Regierung Kurz I dann als Mitglied des Verfassungsgerichtshofes vor. Auch deshalb soll nun eine Cooling-off-Phase kommen, also eine Zwangspause zwischen politischen Funktionen und jenen in unabhängigen Institutionen. Oft musste sich Brandstetter am Verfassungsgerichtshof seiner Stimme enthalten, weil über Gesetze verhandelt wurde, die während seiner Amtszeit eingebracht wurden.

Kein Cooling-off gab es auch bei Brandstetters Tätigkeit als Anwalt. Während seiner Zeit am Verfassungsgerichtshof "zogen" ihn die Rechtsanwälte von Michael Tojner "bei", wie es in einer Presseaussendung hieß. Der Milliardär und der Verfassungsrichter kennen einander schon ewig: Beide wuchsen im niederösterreichischen Haag auf, ihre Eltern waren befreundet.

Der Investor hatte bei Immobilien des sogenannten Stadterweiterungsfonds zugeschlagen – und so das Heumarkt-Areal erworben. Der aus der Ära von Kaiser Franz Joseph stammende Stadterweiterungsfonds sollte einst die prachtvolle Wiener Ringstraße mitfinanzieren und blieb als Relikt aus der Monarchie beim Innenministerium verankert. In den 2000er-Jahren beschloss man, den Fonds aufzulösen und die Immobilien zu versilbern. Die Einnahmen sollten gespendet werden.

Das Gebaren des Fonds machte Ermittler der WKStA aber damals stutzig, rasch wurde ein Verfahren eingeleitet, das sich fast ein Jahrzehnt lang hinzog und mit Freisprüchen endete. Am Heumarkt gab es jedoch Streit über Flächenumwidmungen – und Spenden von Tojner an den Verein des ehemaligen grünen Planungssprechers Christoph Chorherr. Auch dazu ermittelt die WKStA, es gilt die Unschuldsvermutung.

2. Der Fall Pilnacek

Bei einer Razzia bei Tojner vergangene Woche fanden Ermittler nun Hinweise darauf, dass Brandstetter den Verfahrensstand in der Causa Chorherr an Tojner weitergeleitet hat. Außerdem soll er später, als Tojners Anwalt, vorab von einer Hausdurchsuchung erfahren haben. Der ehemalige Justizminister stellt das vehement in Abrede; die Staatsanwaltschaft Wien führt in als Beschuldigten und stellte am Donnerstag seinen Laptop sicher. Brandstetters Anwalt Georg Krakow sagt, dass die Hausdurchsuchung bei Tojner schon Journalisten bekannt war, die dazu zehn Tage vor der Maßnahme bei dem Unternehmer angefragt hatten. Daraufhin sandte Tojners Verteidigung einen Tag vor der Hausdurchsuchung ein E-Mail an die WKStA, in der dieses Faktum offengelegt wurde.

Die Ermittler denken hingegen, dass der mächtige Sektionschef Christian Pilnacek eine Rolle bei der Vorabinfo gespielt hat. Ab dem Jahr 2010 hatte dieser die Staatsanwaltschaften kontrolliert, bevor ihn Justizministerin Alma Zadić (Grüne) nach heftiger Kritik der Grünen und der Opposition entmachtete und zum Sektionschef für Legistik berief. Zuvor war es über ein Jahrzehnt lang so, dass alle bedeutsamen Verfahren auf Pilnaceks Schreibtisch landeten. Mit den meisten Ministern, die "unter ihm" dienten, wie ein gängiges Bonmot im Justizpalast lautet, konnte sich Pilnacek gut arrangieren; mit Brandstetter verstand er sich hervorragend.

Nun steht der Verdacht im Raum, dass Pilnacek im Jahr 2019 eine Hausdurchsuchung bei Michael Tojner vorab an Brandstetter verraten hat. Dem Vernehmen nach existiert eine explizite SMS, die das Eintreffen der Ermittler bei Tojner ankündigt und um eine Vorgehensweise "wie besprochen" bittet. Pilnacek äußert sich zu den Vorwürfen nicht, es gilt die Unschuldsvermutung – am Freitagvormittag wurde er vorläufig suspendiert.

In fast allen politisch aufgeladenen Verfahren wurde Pilnacek von der jeweiligen Opposition kritisiert: Bei der Causa Eurofighter schlug er der WKStA vor, Verfahrensstränge zu "derschlagen"; bei der Causa Casinos empfing er im Ministerium zwei Beschuldigte, um sich deren Beschwerden über die WKStA anzuhören. Justizministerin Zadić empfand das als Affront, sie verbot derartige Treffen prompt.

3. Der Fall Schmid

Pilnacek, der für die ÖVP das Justizkapitel bei den Koalitionsverhandlungen mitbetreute, ist gut vernetzt. Er war gerngesehener Gast beim "Sauschädlessen" der Raiffeisen-Spitze und auf Du und Du mit anderen ÖVP-nahen Spitzenbeamten. Die Staatsanwaltschaft Innsbruck prüft derzeit, ob Pilnacek in der erwähnten Causa Stadterweiterungsfonds für die ÖVP-nahen Kollegen im Innenministerium interveniert hat; außerdem steht der Verdacht der Falschaussage im Casinos-Verfahren im Raum. So sagte Pilnacek im U-Ausschuss, er habe erst nach deren Durchführung von der Hausdurchsuchung beim langjährigen ÖVP-Kabinettsmitarbeiter und heutigen Öbag-Chef Thomas Schmid erfahren.

Interne Dokumente zeigen jedoch anderes. Schmid war, ebenso wie Tojner, gut auf die Razzia vorbereitet. Als die Ermittler eintrafen, waren fast alle Daten von seinem Smartphone gelöscht.

Nicht bedacht hatte Schmid, der mit Pilnacek freundschaftlich-kollegial verbunden war, dass er ein Backup seines Handys angelegt hatte. Nun sitzen die Ankläger auf über 300.000 Chatnachrichten, die Schmid an andere Spitzenbeamte und ÖVP-Politiker geschickt hatte. Sie zeigen, wie eng die Neuaufstellung der Öbag mit Schmid an der Spitze mit der Neubesetzung des Casinos-Vorstands zusammenhing. Dort unterstützte die Novomatic den FPÖ-Lokalpolitiker und Finanzmanager Peter Sidlo.

4. Der Fall Blümel

Das enge Verhältnis der Novomatic zur Politik sorgt nun auch für juristische Turbulenzen bei Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP). Dieser erhielt im Juli 2017 eine SMS vom damaligen Novomatic-Chef Harald Neumann, in der er um einen Termin beim damaligen Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) bat. Wegen: "1. Spende, 2. eines Problemes, das wir in Italien haben." Blümel schaltete daraufhin Schmid ein, der zu dieser Zeit Kabinettschef im Finanzministerium war. Am Donnerstag besorgten sich Ermittler nun sämtliche elektronische Akten aus Finanz- und Außenministerium im Bundesrechenzentrum; am Freitag fand außerdem die erste formelle Einvernahme Blümels statt, der die Vorwürfe vehement bestreitet.

Blümels Kabinettschef ist mittlerweile Clemens Niedrist, der früher im Justizministerium mit Pilnacek zu tun hatte. Als die SPÖ im Wahlkampf 2017 Steuerdaten zum ÖVP-Großspender Stefan Pierer präsentierte, richtete Niedrist Schmid aus, Pilnacek werde "ein Auge auf die Sache" haben. Eng mit Pierer verbunden ist wiederum Tojner: In einem Konsortium wollten die beiden die gemeinnützige B&C-Stiftung knacken. Dem Vernehmen nach ein Vorgang, der auch die Ermittler zu interessieren beginnt – plante Türkis-Blau doch eine Novelle des Stiftungsrechte, die Kritiker als "Lex Tojner" bezeichnet hatten.

Aber was bedeutet das nun alles für die ÖVP? "Die Kanzlerpartei ist seit einigen Wochen permanent in der Defensive", sagt der Politikberater Thomas Hofer. "Auch wenn derzeit niemand weiß, was bei den Ermittlungen herauskommt, werden die schlechten Nachrichten für die Türkisen fast täglich aufgedoppelt." So erklären sich für den Politikbeobachter auch die harten Attacken der ÖVP gegen die Justiz – die Kanzlerpartei bange offenbar um ihren Ruf. "Einer der Kernbereiche des türkisen Images, der sogenannte neue Stil in der Politik, wird derzeit heftig konterkariert", sagt Hofer. "Und die Art der Reaktion zeigt, dass das tief geht in der ÖVP."

Die nächsten Wochen werden jedenfalls nicht ruhiger: Im U-Ausschuss geladen ist unter anderem PR-Beraterin Gabi Spiegelfeld, die im Wahlkampf Treffen zwischen Kurz und Unternehmern organisiert hat. Er verlieh ihr dann als Kanzler das Goldene Verdienstkreuz. (Fabian Schmid, Katharina Mittelstaedt, 26.2.2021)