Peter Hacker rechnet trotz Corona-Mutationen mit keinem harten Lockdown mehr.

Regine Hendrich

Erste Öffnungsschritte in der Gastro kann sich Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker ab Mitte März vorstellen. Dann will er die Schanigärten öffnen, dafür tritt er bei Gesprächen mit dem Bund ein. Bei Lehrerinnen und Lehrern sowie Bediensteten in Kindergärten wird bereits ab Mitte kommender Woche mit den Impfungen gestartet.

STANDARD: Die Neuinfektionszahlen sind seit Tagen wieder über der 2000er-Marke. Sind weitere Öffnungsschritte unter diesen Voraussetzungen vertretbar?

Hacker: Wenn man sich nur die rohe Fallzahl ansieht, dann nicht. Das muss man offen sagen. Aber wir haben in Alten- und Pflegeheimen österreichweit extrem viel geimpft. Das ist die Hauptsorgengruppe. Wir sehen, dass die Impfung positive Spuren hinterlässt: Es gibt seit Mitte Jänner weniger Fälle. Bereits jetzt haben wir statt 437 nur noch 54 aktive Fälle bei den Bewohnern. Wir sind Ende der Woche mit den Erstimpfungen fertig, 7700 Zweitimpfungen folgen noch. Dann ist das abgeschlossen. Ende März, Mitte April werden wir alle über 80-Jährigen geimpft haben können. Mal sehen, wie da die Bereitschaft ist. In den Altenheimen lag sie bei 95 Prozent.

STANDARD: Trotz Impffortschritts steigen aber die Fallzahlen.

Hacker: In Wien macht die britische Mutation zwischen 55 und 60 Prozent aller positiven Fälle aus. Gleichzeitig testen wir so viel wie noch nie, pro Tag rund 45.000 Personen. Die Positivrate ist nur von 0,9 auf 1,0 Prozent gestiegen. Ein steigendes Infektionsgeschehen lässt sich daraus nicht ableiten. Daher müssen wir im Moment noch zurückhaltend sein. Weder Euphorie noch besondere Superbesorgnis ist angesagt.

STANDARD: Die Wirtschaft drängt vehement auf das Öffnen der Gastronomie. Wann können Lokale wieder aufsperren?

Hacker: Am Montag ist Landeshauptleutekonferenz mit dem Bundeskanzler. Da diskutieren wir genau das. Da könnte man schon erste kleine Schritte setzen in Richtung Schanigarten-Öffnung für Mitte März. Man kann die Sportplätze aufmachen, dass vorerst kontaktloser Sport wie nach dem ersten Lockdown wieder möglich wird.

"Nächste Woche werden wir über 30.000 Impfungen vergeben. In der Woche ab 8. März sind es fast 70.000."
Regine Hendrich

STANDARD: Ab Mitte März sollen Schanigärten öffnen können?

Hacker: Dafür spricht im Moment einiges. Wir können nicht ignorieren, wie da draußen Wirtschaftsbetriebe umkippen wie Dominosteine. Wann Lokale ohne Schanigärten aufsperren, kann ich noch nicht terminisieren. Wir müssen schauen, wie die Entwicklung weitergeht. Aber wir haben erste Impferfolge.

STANDARD: Ist das bis Ostern denkbar?

Hacker: Wir müssen analysieren, wie viele Leute aus der Risikogruppe nach Neuinfektionen ins Spital wandern. Bleibt die Erstaufnahmekurve in den Spitälern dort unten, wo sie jetzt ist, dann kann man zu Ostern über vieles reden. Steigt die Kurve an, wird es schwierig. Derzeit steigt die Kurve in Spitälern in ganz Österreich nicht.

STANDARD: Wie sieht es mit Lockerungen in Alten- und Pflegeheimen aus?

Hacker: Wenn wir so hohe Impfraten haben, können wir dort nicht weiter Lockdown spielen. Es braucht Mitte März andere Spielregeln. Geimpfte Personen, wenn sie einen hohen Impfschutz haben, müssen von ihren Verwandten wieder regelmäßig besucht werden können. Das gemeinsame Essen im Speisesaal muss wieder möglich sein. Wir müssen ernsthafte Öffnungen machen. Sonst haben wir ein Glaubwürdigkeitsproblem.

STANDARD: Was passiert, wenn sich einige wenige Personen in Altenheimen nicht impfen lassen?

Hacker: Das bedeutet, dass diese Personen ein hohes Risiko haben, doch im Spital zu landen. Und wir müssen darüber diskutieren, ob für diese Lockerungen gelten oder nicht. Zu diesen Fragen gibt es kommende Woche einen Gipfel.

STANDARD: Wann sollen alle Schüler wieder normalen Unterricht aufnehmen können?

Hacker: Von mir aus so bald wie möglich. Lehrer und Kindergartenpädagogen haben in Wien regelmäßig PCR-Gurgeltests zur Verfügung. Wir versuchen, das jetzt für alle Oberstufenschüler zu schaffen. Durch Testungen können wir die Schulöffnungen sicherstellen.

Regine Hendrich

STANDARD: Ab kommender Woche wird Lehr- und Kindergartenpersonal geimpft. Wann wird hier die Immunisierung erreicht?

Hacker: Nach Ostern – plus/minus zwei Wochen.

STANDARD: Und wann für die breite Bevölkerung?

Hacker: Wenn alles so hält, wie es im Augenblick aussieht, dann kann bis Ende Juni 70 Prozent der Gesamtbevölkerung ihren Erst- und Zweitstich erhalten haben. Darin ist aber auch die Zulassung von Johnson & Johnson inkludiert. Und Liefermengen, die jetzt vereinbart werden, müssen halten.

STANDARD: Kanzler Sebastian Kurz will in der EU einen grünen Pass für Immunisierte, der mehr Freiheiten ermöglichen soll. Beim EU-Gipfel gab es dafür breite Unterstützung. Laut der deutschen Kanzlerin Angela Merkel könnte dieser innerhalb von drei Monaten umgesetzt sein. Wie stehen Sie zu Impfprivilegien?

Hacker: Ich sehe das sehr kritisch. In einer Zeit, in der wir zu wenig Impfstoff haben, brauchen wir nicht darüber diskutieren und schon gar nicht daran denken, es einzuführen. Man schafft ein Ungleichgewicht auf der Basis der Gesundheitsdaten, das ist für ein solidarisches Gesundheitssystem Gift.

STANDARD: Und wenn mehr Personen geimpft wurden?

Regine Hendrich

Hacker: Wenn alle sich impfen lassen können, die wollen, dann kann man darüber nachdenken. Doch selbst dann ist zu unterscheiden zwischen einem legistischen, staatlichen System oder dem, was irgendwelche Firmen sich für sich überlegen. Wenn die eine Fluglinie nur die Geimpften mitnimmt, dann gibt es sicher drei andere, die nur eine Maske verlangen. Wenn wir als Staat sagen, es müssen alle geimpft sein, die im Flieger sitzen, entstehen heikle ethische Fragen.

STANDARD: Wie sieht es aus, wenn die Impfung mit einer frischen Testung oder einer durchgemachten Krankheit gleichgesetzt wird?

Hacker: Wir sollten uns nicht daran gewöhnen, dass das ein Normalzustand sein kann. Ein solidarisches Gesundheitssystem stellt diese Fragen nicht. Es scheint nur auf den ersten Blick vernünftig zu sein, es wie die Israelis zu machen. Ein Green Pass, und alles ist gut. Es ist eben nicht gut. Weil es Tür und Tor öffnet für ein Gesundheitskontrollsystem, das wir alle niemals haben wollen.

Regine Hendrich

STANDARD: In Wien haben erst rund 75.000 Personen eine erste Impfung erhalten. Wann beschleunigt sich die Impfaktion?

Hacker: Wir haben diese Woche fast 20.000 Dosen verimpft. So viel haben wir noch nie gehabt. Nächste Woche werden wir über 30.000 Impfungen vergeben. In der Woche ab 8. März sind es fast 70.000 – mehr als das Doppelte. Das ist der Planwert, den wir an Impfungen vom Bund erhalten sollen.

STANDARD: Wird vorerst nur in Impfzentren verimpft?

Hacker: Ja. Die Hausärzte werden nach Ostern in den Impfboxen beginnen – bis dahin werden wir die ersten Schnupfenboxen in Impfboxen umgewandelt haben. Dort werden praktische Ärzte auch Impfzeiten reservieren können, um die Patienten ihrer Ordination zu impfen.

STANDARD: Wo wird die breite Bevölkerung geimpft? Bei den Hausärzten oder in Impfstraßen?

Hacker: Sowohl als auch. Das wird dann parallel laufen. Wir haben jetzt schon zwei kleine Impfstraßen, wo wir kleine Gruppen gezielt hinkanalisieren. Das wird sukzessive größer werden: Wir werden bald eine Impfstraße beim Austria Center haben, die permanent betrieben wird, wo unterschiedliche Gruppen eine Terminreservierung erhalten. Solche Impfstraßen werden erst neben den Teststraßen existieren und dann im Laufe der Zeit diese ablösen.

Regine Hendrich

STANDARD: Werden wir noch einen weiteren harten Lockdown erleben?

Hacker: Das hoffe ich nicht, selbst wenn es weitere Mutationen gibt. Und die wird es geben.

STANDARD: Der Handel bleibt offen, und es wird nur noch gelockert und nicht mehr verschärft?

Hacker: Wenn wir gut und fokussiert sind, ja. Und wenn niemand die Öffnung fehlinterpretiert und meint, jetzt ist Party angesagt.

STANDARD: Wird heuer noch einmal Party angesagt sein?

Hacker: Unbedingt. Ich brauche mindestens eine. Aber erst im Herbst.

STANDARD: In den vergangenen Wochen sind viele frustrierte Corona-Maßnahmen-Kritiker durch Wien gezogen. Sollen solche Demos stattfinden?

Hacker: So sehr ich das Demonstrationsrecht als wichtig erachte, nehme ich es mir heraus, mir eine Meinung dazu zu bilden. Und die ist: So ist es idiotisch. Ich glaube, dass die Polizei es richtig macht, wenn sie die Demos untersagt. Ich bin damit einverstanden, dass man Maßnahmen und der Politik gegenüber skeptisch ist. Aber es darauf anzulegen, nach diesem mittelalterlichen Heldeneposprinzip die Spielregeln nicht einzuhalten, halte ich für dämlich.

STANDARD: Trotz Untersagungen waren Tausende auf der Straße.

Hacker: Und die müssen damit leben können, dass sie anständige Strafen zahlen. Das nennen wir dann Lernprozess. Es gibt manche, die brauchen einen Strafzettel, weil sie das mit den Kurzparkzonen nicht checken, und es gibt andere, die müssen einen Strafzettel bekommen, weil sie es nicht verstehen, dass es ernst gemeint ist, dass man auf einer Demonstration einen Mindestabstand einhalten muss. (Interview: Oona Kroisleitner, David Krutzler, 27.2.2021)