Bild nicht mehr verfügbar.

Für Kronprinz Mohammed bin Salman persönlich setzt es keine Sanktionen seitens der USA.

Foto: REUTERS

Selten schlägt ein Bericht, dessen Inhalt längst bekannt ist, so ein. Aber es macht eben einen Unterschied, die Einschätzung der CIA schwarz auf weiß nachzulesen: Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman habe gebilligt, dass der Journalist Jamal Khashoggi im Oktober 2018 in Istanbul "gefangengenommen oder getötet" wurde. Mohammed bin Salman übe seit 2017 die volle Kontrolle über Sicherheits- und Geheimdienstorganisationen in Saudi-Arabien aus, eine Operation dieser Art, in die auch ein direkter Berater des Prinzen involviert war, sei ohne Autorisierung durch ihn "höchst unwahrscheinlich".

US-Präsident Joe Biden hat am Freitag seine Ankündigung wahrgemacht und den Bericht veröffentlicht – und die Erwartungen der Kritiker Saudi-Arabiens im Allgemeinen und des Kronprinzen im Besonderen dennoch nicht erfüllt. Die USA erlassen gegen 76 saudi-arabische Bürger einen "Khashoggi-Bann", aber MbS, wie Mohammed bin Salman allgemein genannt wird, steht nicht auf der Liste. Der Bericht wurde um einen Tag später als geplant herausgegeben, und vor der Veröffentlichung sprachen der neue US-Präsident und der saudische König erstmals am Telefon: Das weist auf den Versuch hin, noch eine einigermaßen gesichtswahrende Lösung für das saudische Königshaus zu finden.

MbS nicht auf der Liste

Beim "Khashoggi-Bann" geht es dementsprechend nicht nur um den entsetzlichen Mord an sich, sondern prinzipiell um saudische Versuche, Dissidenten im Ausland einzuschüchtern oder sie zur Rückkehr in die Heimat zu "überreden". MbS wird wohl nicht mehr so schnell in die USA reisen, aber die Sanktionen sparen ihn aus.

Die Enttäuschung aller, die erwartet haben, Biden würde mit der Einführung einer moralischen Grundlage die US-amerikanische Außenpolitik völlig neu aufstellen, war vorprogrammiert. Die neue US-Regierung haut nur einmal kräftig auf den Tisch: Der weltfremden Einschätzung des Kronprinzen, man könne einen in den USA lebenden und gut vernetzten "Washington Post"-Autor einfach so umbringen, ohne die Beziehungen zu belasten, musste etwas entgegengesetzt werden.

Lehre aus 9/11

Die Botschaft wird nicht nur in Riad vernommen: Unter Trump wurde die neue Generation arabischer Autokraten, die von oben mit strenger Hand modernisieren und ansonsten für Ruhe im Land sorgen, zum Idealbild des Partners in der Region. Nun sind in den USA wieder Politiker am Werk, die aus 9/11 die Lehre gezogen haben, dass Wegschauen auch gefährliche Folgen haben kann. Bis zum Aufkommen von Al-Kaida hatte zwischen Riad und Washington der einfache Pakt gegolten, dass die einen für Energiesicherheit und die anderen für militärische Sicherheit am Golf zu sorgen haben. Daneben blühte der radikale Islamismus auf, der der Welt seit mittlerweile Jahrzehnten zu schaffen macht.

Dennoch wird die USA ihre strategische Partnerschaft mit Saudi-Arabien nicht aufkündigen, das steht nicht im Raum. MbS als starker Mann, der Bidens Pläne zur Neuorientierung der Iran-Politik stören könnte, wird gestutzt. Aber die militärische Zusammenarbeit wird soeben noch ausgeweitet, wie Überlegungen der USA, weitere Stützpunkt in Saudi-Arabien zu nützen, zeigen. Die Neuorientierung der Iran-Politik braucht ein starkes strategisches Gegengewicht in der Region, das weiß die US-Regierung ganz genau. Barack Obama hat nicht umsonst 2015, als der Atomdeal mit dem Iran kurz vor dem Abschluss stand, der saudischen Militärintervention im Jemen seine Unterstützung verliehen. Die hat Biden nun zwar beendet, aber, wie betont wird, nur für offensive, nicht für defensive Operationen. Das erlaubt einen großen Interpretationsspielraum.

International beschädigt

Wenig wird darüber gesprochen, welche Folgen Bidens Entscheidung, Mohammed bin Salman als wahrscheinlichen Auftraggeber eines Mordes zu nennen, in Saudi-Arabien haben wird. Der Kronprinz, der in der Familie ohnehin umstritten ist – weil er mit der ihm eigenen Brutalität Konkurrenten im Königshaus weggeräumt hat –, ist nun international endgültig schwer beschädigt. Sein Vater ist alt und krank. Es heißt, er habe diesen Sohn als Nachfolger auch gerade deswegen ausgewählt, weil er ihm die Härte, Reformen durchzuziehen, zutraute. Das hat MbS auch bewiesen, und zwar durchaus auch mit solchen, die man im Ausland begrüßt, etwa der Zurückdrängung des Islam aus dem öffentlichen Raum. Unter der saudi-arabischen Jugend hat er begeisterte Anhänger.

König Salman wird ihn also nicht ablösen – wobei man die Frage stellen kann, ob er das überhaupt noch könnte, wenn er wollte (was kein Politanalyst annimmt). Wie die CIA feststellt: MbS kontrolliert alles, er ist 35 Jahre alt und wird in absehbarer Zeit König sein. Und der Wunsch nach einem möglichst schnellen Umsturz in Saudi-Arabien fällt im zehnten Jahr nach dem "Arabischen Frühling", mit seiner verheerenden Bilanz, schwer. (Gudrun Harrer, 27.2.2021)