Warren Ellis (links) und Nick Cave im Lockdown: Imagepflege statt Trainingsanzug. Karl Lagerfeld wäre begeistert.

Schade. Wieder kein Nick Cave im Trainingsanzug. Verbeulte Knie, Speisereste im Schritt, ein ausgeleierter Gummizug, gerne hätte man ihn einmal so gesehen. Doch sogar im Lockdown sitzt er im Maßanzug herum und pflegt Image. Neben ihm als Kontrast der Waldschrat Warren Ellis: mit Wurzelseppbart und Lockdownwolle, die er selbst im Nichtausnahmezustand trägt. Die einen lieben Ellis, andere finden, sein Instrument färbe zu sehr auf die Musik der Bad Seeds ab: die Arschgeige.

Ellis und Cave haben Ende letzter Woche digital ein Album veröffentlicht. Es heißt Carnage und ist eines von vielen Projekten, das die beiden neben den Bad Seeds betreiben. Gemeinsam haben sie bereits Soundtracks oder Musik fürs Theater geschrieben, fad war ihnen nie. Auf Publikumsseite konnte man das anders empfinden.

Yoga und Selbsthilfe

Gerade die letzten drei Alben der Bad Seeds drückten schwer auf die Lider. Ghosteen von 2019 war immerhin formal radikal – wenngleich das Ergebnis irgendwo zwischen Yogamatte und Selbsthilfegruppe für tragische Verluste im persönlichen Umfeld zu liegen kam.

Carnage, Gemetzel, vermengt meditative Mantras mit alten Cave-Charakteristika: Sprechgesang und Gospelchor, Tagebucheintrag und Klavier, Herrenwitz und Religion. Hinzu kommen elektronische Beats und etwas Gitarre. Das beschert der globalen Fangemeinde des 63-jährigen Australiers mit Lebensmittelpunkt England ein Werk im Umfang von acht Liedern.

Nick Cave - Topic

Dessen Zentralgestirn heißt White Elephant und rechtfertigt Ende Mai dann die Anschaffung des physischen Albums im Sinne einer üppigen Single. Zu trägen Gleisverlegerrhythmen aus dem Synthesizer schlurfen die beiden Instinktmusiker vom Sprechgesang zur himmlischen Erhabenheit. Dafür schätzt man Cave, dass er selbst in ausgetretenen Pfaden immer noch die richtigen Stöckchen aufklaubt und sie zu Arbeiten von pseudoreligiöser Pracht montiert. Alttestamentarisch, mit Gewalt und Unterhosenschweinereien, versteht sich.

White Elephant ist das vierte Stück des Albums, das im letzten Frühjahr entstanden ist. Bis dahin geht’s so, ab dort wird’s länglich: Das darauf folgende Albuquerque ist ein notenfaules Stück Fadgas aus dem Poesiealbum, das in vermeintlicher Schönheit entschläft. Das bleibt so. Es folgen noch drei zukünftige Klassiker der Best-of-Gute-Nacht-Lied-Sammlung von King Ink und Nick The Stripper.

Dichterfürsten-Aura

Das sind Alter Egos aus Caves frühen Tagen, deren selbstzerstörerischer Gestus längst einer oft allzu gefassten Dichterfürsten-Aura gewichen ist. Das abschließende Balcony läuft im Esoterikladen ums Eck schon in Dauerschleife. Räucherstäbchen verbrennen ist okay, aber am schönsten halt doch, wenn dabei Kerosin zum Einsatz kommt. (Karl Fluch, 28.2.2021)