In Österreich gibt es kaum Möglichkeiten, gegen die Untätigkeit des Gesetzgebers vorzugehen – ein Problem, das in Klimafragen besonders deutlich wird.

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Von portugiesischen Kindern bis zu den "Schweizer Klimaseniorinnen": In ganz Europa führen Menschen, die besonders stark von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind, Verfahren gegen ihre Heimatländer. Staaten, die sich nicht an ihre Klimaziele halten, sollen so juristisch zum Handeln gezwungen werden.

Auch Michaela Krömer, Anwältin für Umwelt- und Verfassungsrecht, wird Ende März eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einbringen. Sie setzt zusätzlich aber auf ein weiteres Argument: Österreich biete in Sachen Klima keine ausreichenden Beschwerdemöglichkeiten und habe damit einem jungen Menschen, der an multipler Sklerose leidet, den Rechtsschutz verwehrt.

Kein Erfolg vor dem VfGH

Im Oktober hatte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) Krömers Individualantrag, den sie in Form einer Sammelklage einbrachte, zurückgewiesen. Der VfGH war der Meinung, dass der Antrag nicht einmal die formellen Voraussetzungen erfüllte. Er setzte sich mit den aufgeworfenen Rechtsfragen deshalb inhaltlich gar nicht auseinander.

Krömer vertrat eine große Anzahl von Menschen, die sich als Bahnfahrerinnen und Bahnfahrer durch die steuerlichen Begünstigungen von Flugreisen diskriminiert fühlten. Die unterschiedliche Behandlung beider Verkehrsmittel widerspreche dem Gleichheitsgrundsatz, so die Argumentation. Außerdem würden Steuerbefreiungen für den Flugverkehr aufgrund ihrer Klimaschädlichkeit und der dadurch bewirkten Extremwetterereignisse in das Grundrecht auf Leben eingreifen.

Der VfGH verneinte eine direkte Betroffenheit der Antragstellerinnen: Sie seien durch die angefochtenen Steuergesetze nicht unmittelbar in ihren Rechten verletzt worden. Die Verpflichtung zur Entrichtung der Steuer treffe nämlich die Unternehmer.

Nicht überraschend

Für Daniel Ennöckl, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht und Experte für Umweltrecht, kam die Zurückweisung des Antrags nicht überraschend: "Die Entscheidung entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs. Laut VfGH kann man ein Gesetz nur dann anfechten, wenn es direkt die Rechtssphäre des Antragstellers berührt. Bloße wirtschaftliche Auswirkungen reichen dafür nicht aus."

Den Fall eines jungen Menschen, der an multipler Sklerose leidet und ebenfalls an ihrer Klimaklage beteiligt war, bringt Krömer jetzt vor den EGMR. Wie bei den meisten Personen, die unter dieser Krankheit leiden, verschlimmern sich seine Symptome unter dem Einfluss von höheren Temperaturen, sagt die Anwältin.

Konkret bedeute das, dass er an Sommertagen das Haus nicht mehr ohne Rollstuhl verlassen könne. Bei kühlen Temperaturen sei das hingegen kein Problem.

Das Argument sei also nicht, dass seine Krankheit schlimmer, sondern, dass sein Leben massiv eingeschränkt werde. Deshalb stellt Krömer Artikel 8 der Menschenrechtskonvention (EMRK) in den Fokus ihrer Beschwerde: Er schützt neben der Privatsphäre auch das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit. Denn Staat treffe hier eine Schutzpflicht, er müsse also aktiv handeln.

Rechtsschutzdefizit

Ihr Mandat leide schon jetzt unter der Tatsache, dass die Durchschnittstemperaturen steigen und Hitzeperioden häufiger werden. "Seine Grund- und Menschenrechte kann er in Österreich allerdings nicht wirksam einfordern. Das System bietet ihm hier keine Beschwerdemöglichkeit", bemängelt die Anwältin: "Immer, wenn ein Recht der EMRK verletzt wird, muss es aber auch die Möglichkeit geben, eine effektive Beschwerde erheben zu können."

Ein Gesetz beim VfGH anfechten zu können sei in Österreich nur sehr beschränkt möglich, sagt Ennöckl. Dazu komme, dass es hierzulande praktisch keinen Rechtsschutz gegen die Untätigkeit des Gesetzgebers gäbe – ein Problem, das vor allem in Umweltfragen deutlich werde. Der VfGH ist nämlich nur "negativer Gesetzgeber": Er kann verfassungswidrige Rechtsakte zwar aufheben, den Staat aber nicht zum Erlass von Gesetzen oder Verordnungen zwingen.

Laut Ennöckl wäre eine Reform des verfassungsrechtlichen Rechtsschutzes denkbar, dabei müsse allerdings behutsam vorgegangen werden. Einfacher wäre es, eine Beschwerdemöglichkeit direkt in den Umweltgesetzen zu verankern. Derzeit sehe nur das Immissionsschutzgesetz-Luft (IG-L) einen derartigen Rechtsschutz vor.

Betroffene Personen können einen Antrag auf Erlassung eines Luftreinhalteprogramms stellen. Wenn dem nicht entsprochen wird, könnte dagegen Beschwerde beim Landesverwaltungsgericht eingebracht werden. Eine vergleichbare Antragsmöglichkeit im Klimaschutzgesetz wäre wünschenswert, sagt Ennöckl.

Unklare Erfolgschancen

Über die Erfolgschancen der Klimaklage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte will Ennöckl keine Prognose abgeben: "Derzeit ist extrem viel in Bewegung. Der EGMR hat sich zu Klimafragen bisher aber wenig bis gar nicht geäußert. Insofern betreten wir relatives Neuland."

Krömer und ihr Mandant sind mit ihrer Beschwerde vor dem Straßburger Gerichtshof jedenfalls nicht allein: Für Aufsehen sorgte erst kürzlich das Verfahren sechs portugiesischer Kinder und Jugendlicher gegen 33 Staaten, die ihre Klimaziele nicht erreichen.

Auch deshalb geht Anwältin Krömer davon aus, dass sich der EGMR relativ zeitnah mit den anhängigen Fragen beschäftigen wird: "Dem Gerichtshof ist klar, dass Klimafragen dringend sind. Ich hoffe daher, dass er sich in diesen Fragen rasch positionieren wird." EGMR-Urteile sind für Österreich rechtlich bindend. (Jakob Pflügl, 1.3.2021)