Bernhard Gruber zu Besuch an der Schattenbergschanze in Oberstdorf. Er kam, um seinen Rücktritt zu verkünden.

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Oberstdorf – An solchen Tagen werden Helden geboren." Mit einer Portion Pathos versuchte Bernhard Gruber die Wehmut zu lindern, die ihn am Sonntag im sonnigen Auslauf der Schattenbergschanze überkam. Österreichs Kombinierer hatten sich eben im Springen von der Normalschanze eine ausgezeichnete Basis für den Langlauf des WM-Teambewerbes gelegt. Gruber war mit am Turm gewesen – mitten drinnen, aber doch nicht dabei.

Der 38-jährige Salzburger ist nach Oberstdorf gekommen, um offiziell seinen Rücktritt vom Leistungssport zu verkünden. Das war keine Überraschung. Der Rücktritt steht seit Wochen fest, nach Abstimmung mit den Ärzten und der Familie. Gruber wusste es für sich selbst noch länger, blinzelte aber gestern dennoch mit Tränen in den Augen in die Sonne.

Anhaltende gesundheitliche Probleme

Vor ziemlich genau einem Jahr hatte sich der Teamolympiasieger von 2010 und Großschanzen-Einzelweltmeister von 2015 wegen anhaltender gesundheitlicher Probleme einer Katheteruntersuchung unterzogen. Der Teilverschluss eines Herzkranzgefäßes wurde mittels eines Stents behoben, gegen ein Comeback im Leistungssport sprach angesichts gelungener Rehabilitation wenig.

Der Vater zweier Söhne, zwei und vier Jahre alt, gab es am 23. Jänner in Lahti. Am Tag, nachdem er zusammen mit Mario Seidl Rang sechs im Teamsprint belegt hatte, traten erneut Beschwerden im Brustkorb auf, dramatische: "Als ob mein Herz in einem Schraubstock eingespannte gewesen wäre."

In Finnland wurde erneut der Teilverschluss eines Herzkranzgefäßes diagnostiziert, Gruber wurden zwei weitere Stents eingesetzt. "Die Rettungskette hat wunderbar funktioniert, ich bin sehr dankbar." Sein im Spitzensport gestähltes Herz-Kreislauf-System hatte Gruber vor dem Gefühl der Todesangst, die mit extremer Kurzatmigkeit bei Herzbeschwerden einhergehen kann, bewahrt. "Ich hatte keine Probleme mit der Luft."

Sieben Weltcupsiege und viele Medaillen

Vermutlich jedenfalls nicht mehr, als oft und oft erlebt, nachdem er in der Loipe alles gegeben hatte. In seinen 18 Jahren als Elitesportler – Gruber debütierte 2003 im Weltcup – sprang und lief er eine reiche Ernte ein. Zwar waren ihm solo nur sieben Weltcupsiege vergönnt (zwei im Team), bei Großereignissen regnete es aber regelrecht Medaillen. Einmal Gold und dreimal Bronze holte Gruber bei seinen drei olympischen Spielen, je dreimal Gold, Silber und Bronze bescherten ihm insgesamt sechs Weltmeisterschaften.

Zu seiner Stärke auf der Schanze – Toni Innauer überredete einst den jungen, offenbar nicht ausgelasteten Spezialspringer, es mit der Kombination zu probieren – gesellte sich ein unbändiger Wille in der Loipe. Der "Berni-Bombe" vom Bakken folgte im Idealfall der Sprint bergauf, um die Gegner zu demoralisieren. Einen idealtypischen Anstieg für Gruber am Lago di Tesero in Val di Fiemme nannten Gegner sogar "Berni-Uphill".

Der Gang an die Leistungsgrenzen, das sagte Gruber am Sonntag in Oberstdorf, werde ihm fehlen. Er muss seinen Körper regenerieren lassen, "aber mir wurde versichert, dass ich wieder ohne Probleme Sport betreiben kann, für die Gesundheit. Vom Leistungsgedanken muss ich mich verabschieden. Das wird schwer, wenn ich Kollegen in der Loipe treffe."

Vor zwei Monaten war Gruber dazu noch nicht bereit gewesen. "Und die Freigabe für das Comeback in Lahti war gerechtfertigt. Bei den Nachuntersuchungen gab es keine Auffälligkeiten, simulierte Wettkämpfe haben gut funktioniert, aber alles kann man nicht simulieren, etwa den Wettkampfstress. Und vermutlich bin ich auch selber schuld, weil ich in eine Dehydration hineingekommen bin."

Kosmetische Verbesserung

Schuldlos ist Gruber dagegen an seiner ererbten Hypercholesterinämie, einem zu hohen Cholesterinspiegel im Blut, der Atherosklerose begünstigt. Eine medikamentöse Behandlung hat Gruber stets abgelehnt, "und ich bin froh darüber, weil ich weiß, was das im Körper anrichten kann". Alternative Behandlungsmethoden brachten allerdings nur kosmetische Verbesserung.

Gruber, der sich stets gesundheitsbewusst ernährt und mehr als genug Sport betrieben hat, hadert nicht mit seinem Schicksal. Der Besuch in Oberstdorf ging ihm dennoch nahe. Sein ehemaliger Chefcoach Christoph Eugen kann das verstehen: "Er hat den Sport geliebt. Er wird fehlen, als exzellenter Teamkollege, als Inspiration für die Jungen."

Der Hochgelobte, der Zukunftspläne wälzt, aber noch nicht präzisieren will, konnte keinen besonderen Karrieremoment benennen, der ihm besonders präsent bleiben wird. "Ich habe das alles sehr genossen, Teil eines Teams zu sein, das Springen, die Rennen, die Trainings, die Kombination war meine Passion."

Aus dieser Einstellung heraus, soviel Pathos schien am Sonntag in Oberstdorf in der Frühlingsluft zu liegen, werden Sporthelden geboren. (Sigi Lützow, 28.2.2021)