Kann man für eine staatliche Zeitung argumentieren, die sich aus Pflichtbeiträgen finanziert?

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Muss man nicht als Demokrat, Bürger, Journalist (jedweden Geschlechts) für den Erhalt der ältesten noch erscheinenden Tageszeitung der Welt sein? Für den Bestand einer Redaktion mit herausragenden Journalistinnen und Journalisten? In einer Zeit vielfacher und existenzieller Bedrohungen journalistischer Medien, von den Onlinewerberiesen Google, Facebook und Co bis zu gezielter Desinformation und Untergraben des Vertrauens in die Berichterstattung?

Warum stellen sich solche Fragen? Die Wiener Zeitung erscheint seit 1703, sie gehört der Republik, das Kanzleramt bestimmt Aufsichtsrat, den Geschäftsführer und den Chefredakteur. Ein Redaktionsstatut soll Unabhängigkeit sichern.

Pflichtinserate im Amtsblatt

Die Wiener Zeitung finanziert sich größtenteils aus Pflichtinseraten im Amtsblatt: Unternehmen müssen dort ihre Gründung, Änderungen oder ihr Ende kundtun, große Aktiengesellschaften müssen zu Hauptversammlungen einladen oder ihre Jahresabschlüsse veröffentlichen. In anderen Märkten werden Unternehmensinfos traditionell in großen – privaten – Tageszeitungen annonciert. Die Presse etwa hat in den 2000er-Jahren vor Gericht versucht, gegen die "unzulässige Subventionierung" der staatlichen Zeitung vorzugehen – ohne Erfolg.

ÖVP und FPÖ, 2020 auch ÖVP und Grüne haben die Abschaffung der Pflichtinserate vereinbart. Nun liefert eine EU-Richtlinie einen Anlass dazu. Es wird ernst für die Wiener Zeitung.

Privat kaum zu finanzieren

Kann man für eine staatliche Zeitung argumentieren, die sich aus Pflichtbeiträgen finanziert? Der öffentlich-rechtliche ORF finanziert sich doch auch aus Pflichtbeiträgen, und sein oberstes Organ wird großteils von der (Regierungs-)Politik bestimmt. Für beide gibt es privat organisierte – aber auch öffentlich geförderte – Alternativen. Das für Österreich gewaltige ORF-Angebot aber ist privat im Land kaum zu finanzieren.

Einfache Antworten gibt es keine: Man kann kaum für weniger Medien- und Titelvielfalt sein, oder für weniger journalistische Jobs. Man kann aber auch schwer für eine Marktverzerrung eintreten, die auf Kosten des Wettbewerbs geht. (Bei der "Wiener Zeitung" würde man entgegenhalten: Das Republiksorgan bekomme dafür weder Presseförderung noch nennenswerte öffentliche Inserate.)

Man kann für die Wiener Zeitung eintreten – in einem möglichst unabhängigen Modell für das Blatt. Man kann, ja muss zugleich unabhängige, auch neue Journalismusprojekte und Medien auf dem Weg mit oder zu unabhängiger Finanzierung unterstützen – wenn die Regierung, die Republik, ihre Bürgerinnen und Bürger Unabhängigkeit fördern wollen. (Harald Fidler, 1.3.2021)