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Indien ist einer der größten Impfstoffhersteller und drängt auf die Freigabe von Patenten.

Foto: AP / Prakash Singh

Das Hemd sitzt bekanntlich näher als der Rock. Das gilt auch bei der Versorgung mit Corona-Impfstoff: Reiche Länder haben sich zumindest 70 Prozent aller Dosen der führenden Kandidaten gesichert, besagt eine Auswertung in The Lancet. Trotzdem verzögert sich in Europa die Impfstoffversorgung um Wochen und Monate. Im Globalen Süden ist der Ausblick entsprechend trist: In den ärmsten Ländern könnte es bis 2023 oder länger dauern, bis Vakzine flächendeckend vorhanden sind, zeigen Modellrechnungen.

Umstrittener Patentschutz

Die schleppende Versorgung mit Impfungen hat viele Ursachen. Eine mögliche Hürde könnte man über Nacht beseitigen: Indien und Südafrika stellten bei der Welthandelsorganisation (WTO) einen Antrag, während der Pandemie den Patentschutz für Covid-Impfungen und Medikamente aufzuheben. Das soll vor allem ärmeren Ländern ermöglichen, mehr Vakzine herzustellen. Der Vorschlag erfordert, dass sich alle WTO-Staaten einigen, die Regeln zum Schutz geistigen Eigentums anzupassen. Eine wichtige Entscheidung darüber wird für die Sitzung des WTO-Rats am Montag und am Dienstag erwartet.

Während sich über einhundert Länder dem Vorstoß angeschlossen haben, steht man in den USA und Europa auf der Bremse. Alle sind sich einig, dass eine gerechte Verteilung von Impfstoffen notwendig ist, es scheiden sich die Geister, ob Patentrechte der Pharmakonzerne die weltweite Versorgung verzögern.

Appell an Regierung

Auch in Österreich haben sich Experten aus dem Gesundheitsbereich einem Appell des internationalen Medizinstudentennetzwerks UAEM an die Bundesregierung und die EU-Kommission angeschlossen, die Blockadehaltung bei der WTO aufzugeben. Mit unterzeichnet haben das Schreiben Claudia Wild vom Austrian Institute for Health Technology Assessment und Werner Raza von der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung. "Nationale Interessen und Profitstreben einzelner Unternehmen dürfen kein Hindernis darstellen, wenn der Preis der daraus resultierenden Ungerechtigkeit in der Versorgung globales Leid und enorme wirtschaftliche Schäden sind", heißt es in dem Schreiben, das dem STANDARD vorliegt.

Bei der EU-Kommission sieht man die Sache anders. "Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass Fragen des geistigen Eigentums ein echtes Hindernis in Bezug auf den Zugang zu Covid-bezogenen Technologien darstellen", sagte Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis in einer Anfragebeantwortung. Die bestehenden Regeln der WTO würden vorsehen, dass Staaten in Notsituationen durchgreifen können. Herstellerländer dürfen mit Zwangslizenzen die Produktion patentierter Medikamente oder Impfstoffe an Dritte auslagern, die Entwickler werden dafür bezahlt.

Derzeit würden Hersteller wie Astra Zeneca ohnehin freiwillig Lizenzen an Hersteller wie das Serum-Institut in Indien erteilen, betont der EU-Kommissar. Sollte geistiges Eigentum nicht abgesichert sein, könnte der bisher so rasche Fortschritt bei der Impfstoffentwicklung ins Stocken geraten, argumentiert er.

Schlechte Erfahrungen

Die Erfahrung etwa beim Kampf gegen das Aids auslösende HI-Virus hat jedoch gezeigt, das solche Zwangslizenzen in der Praxis von der Pharmaindustrie intensiv bekämpft wurden und die Versorgung mit Aids-Medikamenten in ärmeren Ländern gebremst wurde. In Südafrika erinnert man sich allzu gut, wie die Regierung Nelson Mandelas von Pharmakonzernen geklagt wurde, als sie die nationale Produktion von antiviralen Medikamenten durchsetzen wollte. Mit der allgemeinen Aufhebung des Patentschutzes wollen sich Länder wie Indien und Südafrika unabhängig machen. Die Frage lautet also, wer das Ruder in der Hand hält.

Technische Hürden

Branchenkenner sehen andere Probleme: Die neuartigen mRNA-Impfstoffe und gewisse Medikamente lassen sich nicht einfach in Fabriken weltweit abkupfern. Die Freigabe von Patenten würde hier nur bedingt helfen. Weil in der Pandemie alles schnell gehen musste, fehlen vielfach bei den Patentanmeldungen die notwendigen Informationen für die Produktion, wie eine Expertengruppe im Magazin Science bemängelte. Hersteller in Entwicklungsländern wären somit auf die Kooperation der Entwickler angewiesen.

Der Impfstoffhersteller Moderna etwa verzichtet aktuell auf seine Patentrechte. Laut Analysten könnte die Strategie dahinter sein, die mRNA-Technologie im Weltmarkt zu verankern und als Vorreiter künftig mehr Geschäft zu machen. Entwickler konventioneller Impfstoffe wie Astra Zeneca oder Chinas Sinovac arbeiten bereits mit Lizenznehmern im Ausland zusammen. Eine Lockerung der WTO-Regeln könnte die globale Impfstoffversorgung weniger ankurbeln als erhofft. (Leopold Stefan, 1.3.2021)