Männer zuerst bei der Impfung? Frauen sind jedenfalls "Testsieger". Sie werden häufiger getestet als Männer.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

"Männer first!", lautete der Aufruf in einem Gastbeitrag der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" und löste mit dem Anstoß, Männern den Vorzug bei der Impfung gegen Corona zu geben, einige Aufregung aus. Schließlich haben Männer ein höheres Risiko, an einer Corona-Infektion zu sterben, haben eher einen schweren Krankheitsverlauf und benötigen öfter intensivmedizinische Behandlung.

Die Reaktionen reichten von einer Replik in der "Süddeutschen Zeitung" mit dem Titel "Sollen sie doch die Hände waschen" bis zu Hinweisen darauf, dass Frauen gleich häufig oder sogar häufiger an Corona erkranken – und andere Faktoren wie Alter, Vorerkrankungen und Arbeitsumfeld bei der Priorisierung der Impfungen eine gewichtigere Rolle spielen als das Geschlecht an sich.

Dünne Datenlage

Doch inwiefern sind Männer und Frauen tatsächlich unterschiedlich von Covid-Erkrankungen betroffen? Und welche Geschlechterunterschiede gibt es, sowohl was die körperliche Immunabwehr als auch die sozialen Faktoren betrifft? Während die Geschlechts- und Altersverteilung bei den Todesfällen gut dokumentiert ist, ist die Forschungslage, was das Risiko von Männern und Frauen angeht, sich zu infizieren, sehr dünn.

Das fängt damit an, dass es kaum Daten dazu gibt, wie die Testangebote von Männern und Frauen angenommen werden. Laut der Forschungsinitiative Global Health 50/50, die internationale Daten zu Geschlechterunterschieden in Bezug auf Covid-19 sammelt, geben gerade 14 Länder weltweit geschlechterspezifische Daten zu Testungen bekannt. Demnach kommen auf zehn Tests von Frauen acht von Männern. Das deutsche Robert-Koch-Institut vermeldet, dass von rund 4,3 Millionen PCR-Tests, die zwischen 23. November 2020 und 14. Februar 2021 stattfanden, 45,7 Prozent bei Frauen und 37,4 Prozent bei Männern gemacht wurden (16,9 Prozent machten keine Angabe). Die Positivraten waren allerdings mit je 12,1 Prozent gleich.

Testauswertungen

In Österreich gibt es solche Auswertungen nicht, zumindest nicht auf Bundesebene. Von derzeit insgesamt knapp 15 Millionen Testungen konnte nur aus rund 4,5 Millionen eine Geschlechterverteilung erhoben werden, heißt es auf STANDARD-Anfrage beim Gesundheitsministerium. Demnach waren 45 Prozent der Getesteten Männer und 55 Prozent Frauen. Ein ähnliches Bild zeigt auch eine extra durchgeführte Auswertung der Stadt Wien. Demnach lag der Frauenanteil bei den von der Stadt Wien angebotenen Antigentests im Jänner bei 55 Prozent. Bei den PCR-Gurgeltests, die seit kurzem vor allem in Schulen und Kindergärten eingesetzt werden, liegt der Frauenanteil derzeit bei 72 Prozent (siehe Grafik unten).

Das ungleiche Verhältnis rühre vor allem daher, dass das Personal aus dem Gesundheitsbereich, der Pflege und im Bildungssektor, das gezielt getestet wird, zum Großteil weiblich ist, sagt die Soziologin Raya Muttarak vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg.

Höheres Problembewusstsein

Neben der Beschäftigung könnten aber auch Unterschiede in Einstellungen und Verhalten eine Rolle spielen, wie eine Studie nahelegt, die Ende vergangenen Jahres im Fachblatt "PNAS" erschienen ist. Eine Befragung unter rund 22.000 Personen aus acht Industrienationen, darunter auch Österreich, ergab, dass Frauen Covid-19 eher als ernstzunehmendes Gesundheitsrisiko ansahen und eher Maßnahmen wie Masken, Abstand und häufiges Händewaschen akzeptierten als Männer.

Dieses höhere Problembewusstsein könnte auch dazu führen, dass Frauen unabhängig von Symptomen eher einen Test durchführen, vermutet Muttarak. Eine Analyse von Teststatistiken aus England und den Niederlanden habe gezeigt, dass Frauen zwischen 20 und 59 öfter testen gehen, aber eine geringere Testpositivrate haben.

Wenn man sich ansieht, wer tatsächlich ein positives Testergebnis erhält, zeigt sich, dass das Verhältnis von Frauen und Männern generell ausgeglichen ist. In Österreich beispielsweise liegt das Verhältnis bis dato bei 49 zu 51 Prozent, was der Verteilung von Männern und Frauen in der Bevölkerung entspricht.

Variables Infektionsrisiko

Weltweit gebe es aber je nach Land große Unterschiede, sagt Muttarak. Und: "Nur auf das Geschlecht zu schauen zeigt nicht das richtige Bild. Der springende Punkt ist, die Zahlen auf Altersgruppen und Geschlecht herunterzubrechen."

Auch in Österreich ist unter Menschen im erwerbsfähigen Alter der Frauenanteil bei den bestätigten Infektionen höher als der der Männer.

Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vom Wittgenstein-Zentrum für Demografie in Wien hat sie die geschlechts- und altersspezifischen Unterschiede bei Infektionen zwischen März und Dezember 2020 in neun europäischen Ländern analysiert (eine vorangegangene Studie aus dem Mai ist hier erschienen). "Frauen haben in den von uns untersuchten Ländern bis zum Alter von 60 Jahren durchwegs ein höheres Risiko, sich zu infizieren, insbesondere im erwerbsfähigen Alter zwischen 20 und 60 Jahren", fasst Muttarak zusammen. "Zwischen 60 und 79 Jahren dominieren Männer, ab etwa 80 wieder Frauen, was der generell höheren Lebenserwartung geschuldet sein dürfte."

Frauen sind mehr in exponierten Berufen wie im Gesundheitsbereich, der Pflege oder im Handel tätig und daher einem größeren Infektionsrisiko ausgesetzt, schließen die Studienautoren und -autorinnen. Außerdem zeigte sich, dass sich der Gender-Gap bei den Infektionen schließt, je flächendeckender (und über alle Berufs- und Altersgruppen hinweg) getestet wird.

Welche Rolle das Arbeitsumfeld und die sozialen Bedingungen spielen, zeige auch, dass in Ländern wie etwa Katar, Singapur, Pakistan und Bangladesch, wo Männer den Arbeitsmarkt dominieren und Migranten in beengten Quartieren leben, bis zu 90 Prozent der bestätigten Infektionen auf Männer zurückgehen, sagt Muttarak.

Höhere Todesraten bei Männern

Fest steht, dass eine Corona-Erkrankung bei Männern häufiger zum Tod führt als bei Frauen. Laut internationalen Studien haben Männer weltweit ein fast dreifach höheres Risiko, eine intensivmedizinische Behandlung zu benötigen, und sterben (je nach Studie) etwa 1,4- bis 1,7-mal so häufig an Covid-19 als Frauen.

In Österreich ist das Verhältnis ausgeglichener. Die Schere ging allerdings im Verlauf der Pandemie in Österreich immer weiter zu: Stellten im April 2020 Männer noch 60 Prozent der mit Covid-19 assoziierten Todesfälle, waren es im gesamten Jahr 2020 52 Prozent, wie die aktuellste Erhebung der Statistik Austria belegt, die Ende vergangener Woche veröffentlicht wurde. Allerdings war der Anteil der Männer in den Altersgruppen von 50 bis 79 Jahre zum Teil mehr als doppelt so hoch als jener der Frauen. Und bei den Hospitalisierungen und intensivmedizinischen Behandlungen gibt es auch in Österreich einen deutlichen männlichen Überhang (siehe Grafik unten).

Über die Gründe für die Vulnerabilität der Männer herrscht noch wenig Klarheit. Männer, insbesondere aus der älteren Generation, achten weniger auf ihre Gesundheit, rauchen häufiger, ernähren sich schlechter, trinken häufiger Alkohol. Zudem treten Vorerkrankungen wie Diabetes, Fettleibigkeit und Herzkreislauferkrankungen bei Männern häufiger auf.

Stärkeres weibliches Immunsystem

Auf der anderen Seite scheint das weibliche Immunsystem besser gerüstet gegen Sars-CoV-2 zu sein. So beginnt die angeborene Immunantwort auf virale Infektionen bei Männern ab etwa 60 Jahren massiv abzufallen, während dieser Rückgang bei Frauen erst etwa sechs Jahre später einsetzt, wie die Immunologin Akiko Iwasaki von der Yale University gemeinsam mit ihrem Kollegen Takehiro Takahashi im Jänner in einer Zusammenfassung der biologischen Geschlechterunterschiede in Bezug auf Covid-19 in "Science" darlegte. Aber auch die Immunabwehr, etwa durch T-Zellen, in der frühen Phase einer Corona-Infektion ist selbst bei älteren Frauen robust, während bei älteren Männern ein deutlicher Abfall bei der T-Zellen-Aktivierung zu beobachten ist.

Auch das weibliche Sexualhormon Östrogen scheint eine Schutzfunktion zu erfüllen, indem es Rezeptoren unterdrückt, die Sars-CoV-2 nutzt, um in Zellen einzudringen. Zudem enthält das X-Chromosom viele Gene, die die Immunantwort regulieren und insbesondere in der Frühphase der Infektion eine bedeutende Rolle spielen.

"Frauen haben eine stärkere initiale Immunantwort und können daher eher eine hohe Viruslast bewältigen", erläutert die Infektionsbiologin Sylvia Knapp von der Med-Uni Wien. "Bei Männern dauert die Antwort länger, wodurch es eher zu überschießenden Immunreaktion, außer Kontrolle geratenen Entzündungen und schweren Lungenschädigungen kommen kann."

Unklarheit über Impfungen

Doch inwieweit wirken sich diese Unterschiede auf die Impfung gegen Covid-19 aus? "Klinische Untersuchungen an anderen Impfstoffen haben Unterschiede zwischen Frauen und Männern gezeigt: Frauen zeigen eine stärkere Immunantwort, die die Wirksamkeit des Impfstoffs erleichtern kann. Sie zeigen aber auch häufigere und schwerwiegendere Nebenwirkungen", sagt die Impfstoffexpertin Christina Nicolodi. Forschungen hätten gezeigt, dass diese Unterschiede in der Reaktion über die gesamte Lebensspanne bestehen.

"Wir wissen noch nicht, ob Frauen auch auf Sars-CoV-2-Impfungen besser ansprechen – und ob das auch einen besseren Schutz bedeutet", sagt Sylvia Knapp. Die großen Impfstoffstudien lassen bisher aufgrund geringer Fallzahlen bei Infektionen unter Geimpften noch keinen Schluss darauf zu oder gehen nicht genau auf Geschlechterunterschiede ein. Es bleibe zu hoffen, dass die Pandemie dazu führt, dass die weltweiten Aufrufe von Wissenschafterinnen, wie etwa dieser in "The Lancet", gehört werden – für mehr geschlechterspezifische Daten und einen besseren Zugang dazu. (Karin Krichmayr, 3.3.2020)