Während die Staatsanwaltschaft kritisch hinterfragt, wird die Staatsanwaltschaft selbst kritisch hinterfragt. Die wahren Motive derer, die die Staatsanwaltschaft besonders kritisch hinterfragen, werden aber nicht hinterfragt und können also nur vermutet werden.

Bei einem amtierenden Finanzminister wird eine Hausdurchsuchung durchgeführt. Ungewöhnlich. Sehr ungewöhnlich sogar. "Unverhältnismäßig!", schreien die Kritiker der Staatsanwälte wutentbrannt auf. Aber wie kann man etwas im Vorhinein als unverhältnismäßig brandmarken, wenn man noch gar nicht weiß, was sich am Ende herausstellen wird? Oder ist es a priori "unverhältnismäßig", dass ein unabhängiger Richter erlaubt, einem Finanzminister das Handy wegzunehmen, wenn es einen begründeten Verdacht dafür gibt? Das mit dem begründeten Verdacht ist natürlich eine Annahme, die unter anderem darauf beruht, dass ein, bei einigermaßen intaktem Verstand befindlicher, Richter nicht mit einem einzigen Federstrich seine Existenz und die seiner Familie auf die Sondermüllhalde werfen will.

Dann ist da noch ein Bundeskanzler, der bei ebendieser Korruptionsstaatsanwaltschaft eine Aussage machen will. Man darf annehmen, eine den Verdächtigen – mit all dem Gewicht eines Kanzlers – entlastende Aussage. Aber ausgerechnet bei einer Behörde, die, seiner mehrmals veröffentlichten Meinung nach, reformiert werden sollte? Dass mit "reformiert" eigentlich "wegreformiert" gemeint sein könnte, ist ebenfalls nur eine Annahme.

Die gefürchtete Prüfungsfrage

In dutzende ähnlich gelagerte Angelegenheiten involviert ist ein mächtiger Sektionschef im Justizministerium. Er wird überraschend suspendiert. Überraschend deshalb, weil seine Ministerin einige Zeit ohne Erfolg versucht hat, ihn loszuwerden, und es erst in ihrer Abwesenheit gelungen ist. Vielleicht auch wegen ihrer Abwesenheit. Welcher Intrige der Sektionschef zum Opfer gefallen ist, lässt sich zur Stunde noch nicht sagen. Vermutlich waren es oppositionelle Kräfte, die zuvor, in einem parlamentarischen Ausschuss, versucht hatten, auf ihre polemischen Fragen Antworten zu erzwingen. Dies konnte aber gerade noch durch den selbstlosen Einsatz des Vorsitzenden dieses Ausschusses verhindert werden. Dass die Suspendierung auf das Weitergeben von vertraulichen Informationen beruht, ist eine unbewiesene Hypothese.

Ein ehemaliger Justizminister, der in der Vergangenheit schon Anwalt eines Bundeskanzlers war und jetzt Verfassungsrichter ist, soll einem Mandanten per Handy eine Warnung über eine bevorstehende Hausdurchsuchung geschickt haben. Die Information dazu soll von dem oben erwähnten Sektionschef gekommen sein. Die Sache ist aber augenscheinlich irrelevant, weil der Verfassungsgerichtshof selbst schon zum Schluss gekommen ist, dass der ehemalige Minister Verfassungsrichter bleiben darf.

So, aber jetzt zur Frage: Gibt es in dem hier frei erfundenen Staatsgefüge eine funktionierende Gewaltentrennung? Wenn – Ihrer Meinung nach – ja, arbeiten Sie bitte den Stoff nochmals durch und lassen sich einen neuen Prüfungstermin geben. Wenn nein, sollten Sie sich die Fortsetzung Ihres Ethikstudiums vielleicht doch noch einmal überlegen. (Harry Bergmann, 1.3.2021)