Der Hocker aus Naturholz steht auf Rollen und hat einen braunen Polster als Deckel. Spektakuläres Design schaut anders aus. Doch wie so oft geht es auch hier um die inneren Werte. In dem unscheinbaren Hocker, der in der Küche Platz hat und auf dem man auch sitzen kann, leben mehrere Tausend Würmer. Die wuseln unter dem Allerwertesten des Besitzers herum und tun ihr gutes Werk.

Die Kompostwürmer verwerten nämlich all das, was an Biomüll zu Hause anfällt: Erdäpfel-, Karotten-, Eierschalen oder Kaffeesatz landen im Hocker. Das Möbelstück ist ungewöhnlich, doch das Prinzip des Wurmkomposters ist altbewährt: Die kleineren, rötlichen Verwandten der Regenwürmer ernähren sich von Mikroorganismen, die die Gemüsereste fressen.

Kompostwürmer sind rötliche Verwandte der Regenwürmer. Wem vor ihnen ekelt, der sei beruhigt: Man kann die Tiere lieben lernen – sofern man das möchte ...
Foto: Getty Images/iStockphoto/zerocattle/Suzanne Carter

Aus ihren Ausscheidungen wird Wurmhumus, der als Pflanzendünger Hobbygärtnern Freudentränen in die Augen treibt. Motivation ist für viele aber auch die Müllvermeidung. Bioabfall, der im Restmüll landet, lässt den Müllberg wachsen. Je mehr Müll Haushalte produzieren, umso öfter muss die Müllabfuhr anrücken und umso mehr Müll wird verbrannt.

Schmatzen aus der Wurmkiste

Keine Sorge – Wurmkisten sind geruchslos. Allerdings nicht ganz geräuschlos: "Wenn man den Kopf zur Kiste hält, hört man die Würmer schmatzen", erzählt David Witzeneder. Er ist der Gründer des Unternehmens Wormsystems mit Sitz im oberösterreichischen Andorf. Von dort aus werden Wurmkisten oder Wurmhocker verschickt. Auch die Würmer kommen mit der Post, wenn es draußen nicht gerade kalt ist. Im Winter wird der Versand immer wieder eingestellt, damit die Wurm-Ware nicht erfriert.

Es gibt sogar Seminare für Interessierte, die sich selbst eine solche Kiste bauen wollen. Die Düsseldorferin Ulrike Buchholz bietet derlei an. Buchholz ist ehrenamtliche Kompostberaterin beim Düsseldorfer Abfallunternehmen Awista und Gründerin der Facebook-Gruppe "Wurmkistenfreunde", in der sich auch viele Interessierte aus Österreich tummeln.

Mehr Zeit für die Würmer

"Viele hatten im letzten Jahr mehr Zeit, sich mit solchen Themen zu beschäftigen", sagt Buchholz, die im Brotberuf Industriekauffrau ist, die Wurmkisten aber als "private Berufung" sieht.

In der Facebook-Gruppe melden sich die Leute oft dann, wenn es mit den Würmern gerade nicht gut läuft. Etwa wenn sich Fruchtfliegen oder Dungmücken – ein Klassiker – in der Kiste breitgemacht haben oder Milben gesichtet wurden. Im Worst Case hilft nur ein vorübergehender Fütterungsstopp für die Würmer. Manchmal wird man in der Community von anderen Wurmbesitzern aber auch beruhigt: Die Sichtung von Springschwänzen – kleinen Tierchen mit sechs Beinen – ist zum Beispiel kein Grund zur Sorge, sondern sogar ein Zeichen dafür, dass die Bedingungen in der Kiste ideal sind.

Wurmkisten kann man sich selbst bauen, zu kaufen gibt es sie aus Plastik oder Holz – und sogar als Sitzmöbel.
Foto: wurmkiste.at

Auch Wurmkistenbauer David Witzeneder bemerkt seit Beginn der Corona-Krise steigendes Interesse an seinem Produkt. Schon im ersten Lockdown hätten viele das Garteln für sich entdeckt. "Und früher oder später fragt man sich da, woher die Erde eigentlich kommt", sagt Witzeneder. Da kommt bei Städterinnen und Städtern – den Hauptabnehmern des Produkts – ein Wurmkomposter ins Spiel, weil der Garten für den Komposthaufen fehlt.

Würmer lieben lernen

Manche gruselt es aber allein bei dem Gedanken, sich tausende Würmer in die Wohnung zu holen – auch wenn diese, wie die Experten betonen, nicht aus der Wurmkiste herauskriechen. "Man sollte schon in der Lage sein, die Würmer ohne Ekel anzufassen", sagt Ulrike Buchholz. Sie betont aber auch: "Man kann Würmer lieben lernen."

Häufig sei in Partnerschaften eine Person die treibende Kraft bei der Anschaffung der Wurmkiste, die andere eher skeptisch. Aber manchmal nur anfangs: "Bei einer Freundin begann der ursprünglich skeptische Ehemann, die Bananenschalen aus dem Büro für die Würmer mit nach Hause zu bringen." Letztendlich baute er eine Rampe, damit die Wurmkiste an schönen Tagen auf den Balkon geschoben werden kann und die Würmer Abwechslung haben.

Tageszeitungen als Futter

Noch wichtiger ist den Tieren aber die richtige Nahrung: Fleisch und Milchprodukte sind tabu. Gemüsereste müssen kleingeschnitten werden. Dafür sind die Würmer treue Medienkonsumenten. Sie müssen mit Zeitungen gefüttert werden, um auf ihre Ballaststoffe zu kommen: "Tageszeitungen eignen sich besonders gut", sagt Witzenender. Hochglanzmagazine sind gutes Lese-, aber kein Wurmfutter.

Ein wenig Geduld brauchen Wurmkistenbesitzer anfangs dennoch: Etwa ein halbes Jahr liegt zwischen der Ankunft der Würmer und dem ersten Wurmhumus, der für Pflanzen verwendet werden kann. Früher kann der erste "Wurmtee" abgezapft werden. Mit Tee hat das nichts gemein (auch wenn man den Würmern sogar Teebeutel füttern kann). Bei Wurmtee handelt es sich um Wurmkompostextrakt, der ganz unten in der Wurmkiste gesammelt wird – und mit dem man Pflanzen düngen kann. Das sei "wie der Zaubertrank bei Asterix und Obelix", schwärmt David Witzeneder.

Tausende Haustiere

Auf seine Würmer hält er überhaupt große Stücke. Er erzählt von Projekten, bei denen Würmer sogar Fäkalien in Kompost verwandeln. "Wir werden künftig noch viel von Würmern hören", ist er überzeugt. Auch Ulrike Buchholz betont, wie nützlich Würmer sind. Etwa weil sie Erdreich umgraben, in dem Starkregen versickert, anstatt für Überschwemmungen zu sorgen. "Würmer tun eine ganze Menge für uns", sagt sie. Das bleibe aber oft unbemerkt.

Nicht zuletzt hat, wer sich eine Wurmkiste anschafft, mit einem Schlag ein paar Tausend Haustiere. Haustiere, die weder haaren noch Lärm machen – vom Schmatzen abgesehen. So ein Kompostwurm hat das Herz am richtigen Fleck. Was nicht schwer ist: Würmer haben fünf Herzen. (Franziska Zoidl, 2.3.2021)