"Die Stiegen sind für viele ein Ausschlusskriterium", sagt die Maklerin. "Besonders für Familien mit Kinderwägen ist das einfach zu anstrengend." Und tatsächlich: Hat man die Stiegen an diesem Wohnblock im 18. Wiener Gemeindebezirk erst einmal erklommen, kann man die Familien, die abgesagt haben, verstehen. Diese Mühe möchte man sich ungern freiwillig antun. Doch was ist, wenn aus Mühe Ohnmacht wird?

Denn für beispielsweise Menschen im Rollstuhl ist dieser Wohnblock ein No-Go. Keine Rampe führt den Hügel hinauf oder hinunter, etliche Wohnungen sind für Menschen mit Behinderung nicht verfügbar. Wie steht es um den barrierefreien Wohnungsmarkt in Österreich?

"Beim Neubau sind wir gut abgedeckt, der Bestand ist das Problem", sagt Barbara Sima-Ruml, Lehrbeauftragte an der TU Graz für barrierefreies Bauen und Sachverständige in dem Bereich.
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"Man muss sagen, durch die OIB-Richtlinien stehen wir gar nicht so schlecht da", sagt Barbara Sima-Ruml, Lehrbeauftragte an der TU Graz für barrierefreies Bauen und Sachverständige in dem Bereich, sie nutzt seit 2001 selbst einen Rollstuhl. OIB, das ist das Österreichische Institut für Bautechnik, das seit 2007 zu diversen Aspekten – Brandschutz, Umweltschutz und eben Barrierefreiheit – den Bundesländern Richtlinien gibt, was in ihren Bauordnungen zu stehen hat. Jedes Bundesland hat zwar einen gewissen Spielraum, aber dort, wo es wichtig ist, "nämlich im Detail, da sind alle auf einem Nenner", sagt Sima-Ruml.

Mit Details sind vor allem Kennzahlen gemeint. So müssen beispielsweise Hauptgänge eine Durchgangsbreite von mindestens 1,20 Meter aufweisen. Die Mindestgröße von barrierefreien Toilettenräumen entspricht 2,15 mal 1,65 Meter, das Waschbecken muss unterfahrbar sein. Vor oder hinter dem Haus geht es weiter, so sind auch barrierefreie Autostellplätze wichtig. Die neueste Auflage von April 2019 umfasst allein für das Kapitel "Nutzungssicherheit und Barrierefreiheit" 18 Seiten. "Beim Neubau sind wir gut ab gedeckt, der Bestand ist das Problem", sagt Sima-Ruml.

Neubau top, Bestand Flop

Das liegt vor allem daran, dass der Begriff der Barrierefreiheit ein relativ modernes Konzept ist. "Bis in die späten Neunzigerjahre wurde der Barrierefreiheit kaum Aufmerksamkeit geschenkt." Aber warum?

"Früher haben Menschen mit Behinderung einfach nicht so lange gelebt. Und wenn sie gebrechlich wurden, sind sie in Heime gekommen", sagt Sima-Ruml. Die Selbstbestimmtheit im Alter sei auch für Menschen mit Behinderung ein relativ neues Konzept, das nun aber nicht mehr wegzudenken sei.

In der Schweiz ist daher das Konzept des anpassbaren Wohnungsbaus entstanden. Ziel ist es, Wohngebäude zu errichten, die in den allgemein zugänglichen Bereichen barrierefrei sind und innerhalb der Wohnungen mit minimalen Änderungen ebenfalls barrierefrei gestaltet werden können. "Bei Barrierefreiheit denkt man immer an einen riesigen Eingriff, aber es ist ja ganz natürlich, dass sich auch der Wohnbau mit der Zeit verändert", sagt Sima-Ruml. Das wichtigste Merkmal seien dabei die Sanitärräume, die im anpassbaren Wohnbau beispielsweise durch die Anbringung von Halte- und Stützgriffen barrierefrei gemacht werden können.

Türschwellen sind Stolperfallen

Sima-Ruml kritisiert in der Debatte über Barrierefreiheit vor allem die negative Konnotation. "Ich weiß, dass viele Architektinnen und Architekten die Augen verdrehen, wenn es um Barrierefreiheit geht. Logisch, es ist mehr Arbeit, man muss mehr beachten. Aber der Anspruch sollte doch sein, etwas zu entwerfen, was allen Menschen gleich nützlich ist. Oder was so clever geplant ist, dass es mit nur wenigen Handgriffen auch an viele verschiedene Bedürfnisse angepasst werden kann."

Denn Barrierefreiheit ist nicht nur eine Notwendigkeit für behinderte Menschen – sondern auch ein Komfort für alle, die es nicht sind. Türschwellen sind nicht nur Hindernisse für Rollstuhlfahrer, sondern auch Stolperfallen. Ein breiter Gang hilft nicht nur alten Menschen mit Gehstock, sondern auch Postbeamten. "Früher war es ein Zeichen von Geiz, wenn man etwas eng gebaut hat. Heute dreht sich alles nur noch um den idealen Quadratmeterpreis." Mehr Platz kommt allen zugute. "Barrierefreiheit muss sexy werden", fasst Sima-Ruml zusammen.

Land-Stadt-Gefälle

Barrierefreies Bauen und Wohnen ist vor allem ein städtisches Thema, sagt Sima-Ruml. Auf dem Land gebe es mehr persönliche Kontakte, die meist in der Nähe wohnen und aushelfen können. In der Stadt sei das nicht immer gegeben, die Anonymität stehe dem im Weg. (Thorben Pollerhof, 9.3.2021)