Mak-Direktor Thun-Hohenstein: "Blickt man im Jahr 2050 auf heute zurück, dann wird sich zeigen, wo Neues und Relevantes entstand."

Foto: Sabine Hauswirth/MAK

Mit der Serie "Die Zukunft der Kultur" hat DER STANDARD eine Diskussion angefacht, die durch die Corona-Pandemie eine neue Dringlichkeit bekommen hat: Welchen Weg sollen die Museen angesichts knapper werdender Ressourcen und von weniger Besuchern einschlagen? Der Kulturessayist Michael Wimmer plädierte dafür, aus einem "Ort der Artefakte" einen der Begegnung zu machen. Belvedere-Direktorin Stella Rollig widersprach vehement. Jetzt meldet sich Christoph Thun-Hohenstein vom Museum für angewandte Kunst zu Wort.

STANDARD: In den Jahren vor der Pandemie jagte im Museumsbereich ein Rekord den anderen ...

Thun-Hohenstein: ... das war eine internationale Entwicklung. Auch für das Mak war 2019 das beste Jahr seiner Geschichte. Es kam im Museumsbereich zu einer Überhitzung. Das trifft aber auf unsere gesamte Zivilisation für die Zeit vor Corona zu. Wir wissen schon länger, dass wir unsere auf fossilem Raubbau beruhende Industriegesellschaft in dieser Art nicht mehr fortführen können. Corona hat uns das jetzt noch einmal deutlich gemacht.

STANDARD: Welche Fehlentwicklungen wurden durch diese Rekordjahre überdeckt?

Thun-Hohenstein: Die Grundfrage ist, wie nachhaltig all das war, was wir gemacht haben. Ich habe nichts gegen Blockbuster-Ausstellungen, aber sehr wohl etwas gegen ein System, in dem einige Objektstars dauernd in der Welt mit teuren Kurierbegleitungen herumreisen. In einer digitalisierten Welt muss man sich fragen, ob man bei jeder Retrospektive unbedingt die Originale aus zwanzig verschiedenen Ecken der Welt zeigen muss. Reproduktionen sind heute von einer sensationellen Qualität. Das bestimmende Thema unserer Zeit ist die von mir so genannte "Klimamoderne", daran müssen wir uns auch im Museumsbereich orientieren.

STANDARD: Was bedeutet das konkret?

Thun-Hohenstein: Ich sehe in der Mitgestaltung einer sozial nachhaltigen Klimamoderne eine Hauptaufgabe jedes zeitgenössisch arbeitenden Museums. Und wir müssen unsere eigenen Aktivitäten unter dem Aspekt der zu erreichenden Klimaneutralität durchleuchten. Die zentrale Frage lautet: Was lösen wir mit unserem Tun aus? Man wird sich fragen müssen, ob weniger nicht oft mehr ist.

STANDARD: Also weniger Ausstellungen? Keine großen Namen mehr?

Thun-Hohenstein: In Ausstellungsprogrammen braucht es immer wieder große Namen, nicht um der Namen willen, sondern weil viele namhafte Künstler auch wirklich etwas zu sagen haben bzw. tolle Kunst machen. Von der Idee, laufend neue Rekorde zu produzieren, müssen wir uns aber verabschieden. Diese Steigerungsdynamik hat auch in unserem Wirtschaftssystem eine unheilvolle Entwicklung genommen.

STANDARD: Die Jagd nach Rekorden scheint politisch gewollt zu sein: Museen stehen in Konkurrenz zueinander, müssen hohe Eigendeckungsgrade erwirtschaften.

Thun-Hohenstein: Ich bezweifle, dass der politische Wille darin besteht, ständig neue Rekorde aufzustellen. Wir müssen gut wirtschaften, das ist klar. Aber das ist nicht gleichbedeutend mit der Frage, wie viele Besucher man hat. Rekorde kann man nur mit Blockbuster-Ausstellungen brechen, doch die sind enorm teuer. In unserem Haus gibt es klare Grenzen, wie viel eine Ausstellung kosten darf. Blickt man im Jahr 2050 auf heute zurück, dann wird sich zeigen, wo Routine auf hohem Niveau herrschte und wo Neues und Relevantes entstand.

STANDARD: Könnte eine Bundesmuseumsholding der Konkurrenzsituation der Häuser einen Riegel vorschieben und gleichzeitig Einsparungen lukrieren?

Thun-Hohenstein: A priori bin ich kein Fan einer Holding. Ich lasse mich aber gern vom Gegenteil überzeugen, dass es möglich ist, unter Beachtung der Selbstständigkeit der Häuser durch Synergien Einsparungen vorzunehmen. Es muss aber erst einmal bewiesen werden, dass man durch eine Holding, die ja ihrerseits Geld kostet, auch wirklich Geld einsparen kann. Wenn das nicht gelingt, hielte ich es für vernünftiger, den Häusern Geld als Anreiz für die Behandlung der Klimamoderne zur Verfügung zu stellen.

STANDARD: Ein Umbau der Subventionen nach Klimakriterien?

Thun-Hohenstein: Ich möchte nicht von einem Umbau, sondern einem Ausbau sprechen. Wir wissen alle, dass unsere Basisdotierungen knapp und nicht indexiert sind. Da kann man nicht noch etwas wegnehmen. Finanzielle Anreize, um Arbeiten im Rahmen der Klimamoderne anzustoßen, hielte ich aber für äußerst sinnvoll.

STANDARD: Manche Häuser haben ob der Touristenschwemme auf die lokale Bevölkerung vergessen. Wie kann ein besseres Gleichgewicht hergestellt werden?

Thun-Hohenstein: Der zentrale Punkt ist für mich, wie wir in einer neuen Moderne viel gezielter zu den wichtigsten Themen unserer Gesellschaft arbeiten können. In diesen Fragen müssen Museen Orientierung und Dialog bieten. Kunstschaffende und Kreative, die zu diesen Fragen arbeiten, benötigen eine größere Sichtbarkeit in unseren Häusern, davon leitet sich dann die entsprechende Vermittlungsarbeit ab. Das Museum als Agora, als Ort der Begegnung. Dadurch wird das Museum für lokale wie internationale Besucher noch einmal interessanter. Diese Themen betreffen sie nämlich unmittelbar.

STANDARD: Die Pandemie hat die museumseigenen Sammlungen in den Vordergrund gerückt. Sind wir mit ihnen fit für die Zukunft?

Thun-Hohenstein: Wir haben die besten Voraussetzungen, die man haben kann. Warum? Viele der heimischen Museen sind Kompetenzzentren für die Wiener Moderne, sprich, wir sind einer der zentralen Orte der früheren westlichen Moderne. Viele der damaligen Überlegungen zu Nachhaltigkeit sind auch heute noch relevant. Wir werden die eigenen Sammlungen aber mit einem neuen Blick analysieren müssen. Und sie nach ihrer Relevanz für die Klimamoderne befragen müssen. (Stephan Hilpold, 3.3.2021)