Seit mittlerweile über 100 Jahren wird am 8. März jener Tag gefeiert, der global als „internationaler Frauentag“ gilt. Da gibt’s dann auch schon mal rote Rosen vom Chef, Ermäßigungen bei diversen Konzernen durch „Weltfrauentags-Rabatte“ oder der Tag selbst wird gar zum gesetzlichen Feiertag (zumindest in Berlin) erklärt.

Verwertung radikaler Ideen

Die Entstehungsgeschichte des Frauenkampftages geht unter anderem auf einen Antrag von Clara Zetkin zurück, die 1910 einen von den sozialistischen Frauen aller Länder organisierten Kampftag forderte – vordergründig zur Agitation für das Frauenwahlrecht. Die Wahl des Datums wiederum ist nicht eindeutig geklärt. Einerseits bezog sie sich auf die Textilarbeiterinnen-Streiks in New York 1857 und 1908, andererseits auf jene in St. Petersburg (1918), die die mehrfache Ausbeutung von Frauen politisierten.

Die inhaltliche Lücke zwischen der ursprünglichen Idee und dem, was heute im Mainstream als „Frauentag“ gilt, könnte kaum größer sein. Die Instrumentalisierung radikaler feministischer Forderungen ist spätestens seit der Etablierung neoliberaler Politiken – in Form von Individualisierung und Verwertbarkeit sämtlicher Lebensbereiche – zwar nichts Neues, aber trotzdem nicht weniger falsch.

Ein Beispiel dafür ist die Öffnung der Lohnarbeit für Frauen seit den 60er- beziehungsweise 70er-Jahren, die zwar äußerst notwendig für die ökonomische und dadurch existenzielle Unabhängigkeit für Frauen war (und ist), gleichzeitig aber in einer doppelten Verwertung der weiblichen Arbeitskraft in der Produktion (Lohnarbeit) und Reproduktion (Hausarbeit) resultierte. Nancy Fraser thematisierte diese neoliberalen Entwicklungen auch in der feministischen Bewegung: „Anders als früher, als sie eine auf Karrierismus ausgerichtete Gesellschaft kritisierten, raten Feministinnen den Frauen heute, sich in einer solchen einzurichten. Eine Bewegung, für die ehemals soziale Solidarität Vorrang hatte, feiert heute weibliches Unternehmertum.“

Ein Teil des Problems ist zudem, was unter anderem als „Postfeminismus“ begriffen wird. Dabei wird jenes Verständnis kritisiert, dass hinsichtlich der Gleichberechtigung der Geschlechter „eh schon alles erreicht wurde“ – und demnach gegenwärtige feministische Kämpfe obsolet wären und dadurch delegitimiert werden. Nimmt man es aber ernst mit einer (Spoiler: immer noch notwendigen) feministischen Gesellschaftskritik, so kann diese nicht in neoliberal-kapitalistischen Verwertungslogiken aufgehen. Denn damit würden zwar die Gesichter der Herrschaftsverhältnisse verändert werden, niemals jedoch die Verhältnisse selbst.

Feministisch streiken!

In ihrem 2019 erschienenen Manifest "Feminism for the 99%" kritisieren Cinzia Arruzza, Tithi Bhattacharya und Nancy Fraser genau diese Verwertung radikaler Ideen und Forderungen: Teil der feministischen Theorie und Praxis muss die Kritik an den kapitalistischen Produktions- und Reproduktionsverhältnissen sein – und vice versa. Denn schließlich geht es darum, „das System, das Chef:innen, nationalstaatliche Grenzen und ihre Überwacher:innen überhaupt erst herstellt“ abzuschaffen, und nicht lediglich dessen Oberfläche zu verändern.

Eine vielversprechende Perspektive und Praxis, die auch im Manifest thematisiert wird, ist der feministische Streik, der in seiner derzeitigen Form seinen Ausgang in Lateinamerika nahm. Feministinnen und Feministen begehrten dort seit 2015 unter dem Motto „Ni Una Menos“ („Keine einzige weniger“) massenhaft gegen Femizide, Gewalt an Frauen und gegen jene Gesellschaft auf, die diese hervorbringt, legitimiert und verteidigt. In den Folgejahren etablierte sich eine globale Praxis feministischer (Massen-)Streiks am 8. März. Die regional sehr verschiedenen Streikformen beziehen sich dabei nicht ausschließlich auf den Bereich der feminisierten Lohnarbeit, sondern umfassen sämtliche Bereiche, in denen FLINT-Personen (Frauen, Lesben, Inter-, Nonbinary- und Trans-Menschen) ausgebeutet und diskriminiert werden beziehungsweise Gewalt erfahren.

Die Vielfalt der Akteurinnen und Akteure sowie das Zusammenführen verschiedener Theorien und Praxen machen das besondere Potential der neuen feministischen Streikbewegungen aus. Der Slogan „Was ist dein Streik?“ des feministischen Zusammenhangs Precarias a la deriva aus Madrid beispielsweise impliziert nicht nur, dass nicht jede Person gleichermaßen streiken kann, sondern sie sich in jeweils verschiedenen, von den Kategorien Klasse, Geschlecht oder Herkunft strukturierten Verhältnissen wiederfindet.

Für Frauenrechte muss weiterhin gekämpft werden, wie hier am Weltfrauentag 2020 in Ankara.
Foto: APA/AFP/YASIN AKGUL

Wegbereiterinnen und Wegbereiter

Zurück zur anfänglichen Kritik: Kapitalismus funktioniert also nur auf der Grundlage unbezahlter Reproduktions- sowie schlecht oder nicht bezahlter, feminisierter und prekarisierter Lohnarbeit. Spätestens durch die Kampagne „Lohn für Hausarbeit“, welche zu Beginn der 1970er-Jahre initiiert wurde, formulierte sich innerhalb der Zweiten Frauenbewegung der marxistisch-feministische Ansatz, Reproduktion in ihrer kapitalistischen Ausprägung zu kritisieren, sowie sie neu definieren und verändern zu wollen.

Das Private als Politisches wurde damit nicht nur als Kritik an patriarchaler Gewalt, sondern auch als Ablehnung geschlechtsspezifischer kapitalistischer Arbeitsteilung – der Unterordnung und Minderbewertung von Reproduktionsarbeit unter die Lohnarbeit und somit von Frauen unter Männer – verstanden. Wenn auch innerhalb feministischer Debatten nicht ohne Kritik rezipiert, schuf die Kampagne einen erweiterten Begriff von „Arbeit“ und somit eine Grundlage zur Neudefinition des Streikbegriffes – denn wie Mariarosa Dalla Costa 1974 festgestellt hatte, war „no strike [...] ever [...] a general strike. When half of the working population is at home in the kitchen, when the others are on strike, it’s not a general strike”. Mit Slogans wie „If we don’t get what we want, we will simply refuse to work any longer” wurden durch die Kampagne bereits Ansätze eines feministischen Streikkonzepts geschaffen. Darauf bezogen sich beispielsweise auch die ersten expliziten „Frauenstreiks“ in Island (1975), der Schweiz (1991) und der BRD (1994).

Aktuelle Notwendigkeit

Der Umgang mit der Corona-Pandemie hat zusätzlich verdeutlicht, wie vergeschlechtlicht der Kapitalismus funktioniert und wie sehr sich patriarchale Strukturen in der bezahlten und unbezahlten Arbeit widerspiegeln – und wie sich diese Verhältnisse in Krisen zuspitzen. Die gesellschaftlichen Veränderungen durch die Krise sind zum jetzigen Zeitpunkt rückschrittlich: Gewalt, Diskriminierung, Konkurrenz und Vereinzelung verstärken sich zunehmend. Zumindest in der Theorie hat die aktuelle Krise jedoch das Potential, ein Bewusstsein für gemeinsame Betroffenheiten und Interessen zu schaffen und dadurch kollektive Prozesse zu forcieren.

Die praktischen Ansätze des feministischen Streikkonzeptes zielen ebenfalls auf konkrete Unterstützungen und Solidarität im alltäglichen Kampf ab – und genau hier muss eine feministische Bewegung ansetzen und eine scheinbar utopische Perspektive zu einer real greifbaren transformieren. Anknüpfend an die Ziele und Strategien des feministischen Streiks und deren Aktivistinnen und Aktivisten gilt es also, kollektive, solidarische und transnationale Praxen weiterzuentwickeln, um die Welt, wie sie ist, zum Stillstand zu bringen – und eine andere Welt zu schaffen.

Dieses Jahr zum 8. März mobilisieren feministische Aktivistinnen und Aktivisten der AG Fem*Streik zu diversen Aktivitäten auf den ehemaligen Karlsplatz. Denn „wenn Feminist:innen über ihre Erfahrungen sprechen, strukturelle Gemeinsamkeiten erkennen und sich für ihre gemeinsamen Interessen organisieren, sind sie tatsächlich in der Lage, Herrschaft radikal in Frage zu stellen“.

In diesem Sinne wünschen wir einen kämpferischen 8. März – ein wichtiger Tag für eine lustvolle, kollektive und feministische Raumnahme – und jährlich 364 weitere Tage, an denen wir versuchen, die Gesellschaft feministisch und antikapitalistisch zu transformieren. (Anna Jungmayr, Bianca Kämpf, 8.3.2021)

Anna Jungmayr arbeitet zu Vergangenheitspolitik, gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen, Antifeminismus und feministischen Bewegungen.

Bianca Kämpf forscht und schreibt über feministische Gesellschaftskritik, Antifeminismus und Rechtsextremismus.

Literaturhinweise

Eine detailliertere Auseinandersetzung zum feministischen Streik in Krisenzeiten von Anna Jungmayr und Bianca Kämpf ist in der aktuellen Ausgabe von AEP (Arbeitskreis Emanzipation und Partnerschaft) 2021/01: Im Krisenmodus. Ideologie – Kapitalismus – Geschlecht zu lesen. Die Zeitschrift "aep informationen" des Vereins Arbeitskreis Emanzipation und Partnerschaft erscheint seit 1974 vierteljährlich und versteht sich als Beitrag zur feministisch-kritischen Öffentlichkeit. Jede Ausgabe hat einen thematischen Schwerpunkt und versammelt außerdem aktuelle Kurzmeldungen zu Politik, Kunst und Kultur sowie Rezensionen.

Veranstaltungen am und rund um den 8. März finden Sie hier.

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