Es war ein deutlicher Appell, mit dem Burgtheater-Direktor Martin Kušej die Diskussion im Rahmen der Reihe "Europa im Diskurs" – eine Kooperation des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen (IWM), der Erste-Stiftung, des Burgtheaters und des STANDARD – eröffnete: "Wir können und wollen uns nicht daran gewöhnen", sagte er mit Blick auf die vor ihm leeren Publikumsreihen und in Richtung der Regierung.

Wenn Öffnungsschritte gesellschaftliches Leben an Abenden wieder ermöglichen, dann müssen auch Theater wieder geöffnet werden, forderte er. Denn eigentlich sei schon die jetzige Situation "unverdient und unnötig." Der Zuschauerraum sei ein "sicherer Ort", versicherte Kušej mit Verweis auf die leistungsstarke Lüftungsanlage des Burgtheaters.

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Eingeschränkter Blickwinkel

Vor leeren Publikumssesseln, aber per Livestream an die vereinzelten Zuhörer gesendet, diskutierten Expertinnen und ein Experte dann über ein Element, das künftig dazu beitragen wird, dass Theaterhäuser nicht bloß Aufbewahrungsstätten für Requisiten sind: die Corona-Impfung.

Dabei wurde klar: Die Impfung wird nur ein Element von vielen sein können, das uns eine wie auch immer geartete Normalität zurückbringen wird. Und: Bleibt die Perspektive so nationalstaatlich eingeschränkt, wie sie derzeit ist, wird uns die Pandemie wohl noch länger begleiten, als sich manche derzeit erhoffen: Denn "niemand ist sicher, bevor wir alle sicher sind", formulierte es Moderatorin und IWM-Rektorin Shalini Randeria in Anlehnung an internationale Organisationen, die seit Monaten vor dem Ausschluss des globalen Südens warnen.

Marcus Bachmann ist derzeit für Ärzte ohne Grenzen in Nigeria. Kürzlich sei die erste Impfstofflieferung angekommen, berichtete er: Diese reiche nicht einmal aus, um das Gesundheitspersonal zu impfen. Und 130 Länder hätten noch gar keine Dosis erhalten. Um der Knappheit entgegenzuwirken, müsse man das Patentsystem infrage stellen, sagt Bachmann: "Hier bleibt enorm viel Potenzial ungenutzt."

Weltweite Durchimpfung

Gegen diese ungleiche Verteilung gibt es moralische Argumente, es gebe aber auch Gegenargumente aus Public-Health-Sicht, meint Vakzinologie-Professorin Ursula Wiedermann-Schmidt: "Letztendlich brauchen wir eine weltweite Durchimpfungsrate." Bestes Beispiel sei die Ausrottung der Pocken, die nur global gelungen sei.

Doch während die Perspektive auf eine Impfung für die Bevölkerung vieler Länder derzeit überhaupt noch gar nicht vorhanden ist, zweifeln Menschen hierzulande an der Notwendigkeit oder der Verträglichkeit der Impfstoffe. Doch diesbezüglich gibt es positive Nachrichten zu vermelden: Politikwissenschafterin Barbara Prainsack spricht von einem "sehr nuancierten Bild", das sich in puncto Einstellungen zur Corona-Impfung zeige.

Derzeit steige die Bereitschaft, meint auch Politologin Katharina T. Paul: So seien nach einem Tief im Oktober (32 Prozent) im Jänner 47 Prozent zu einer Impfung bereit gewesen. Die Bereitschaft steige mit dem Gefühl der Informiertheit. Wiedermann-Schmidt ortet hingegen eine "Überinformationspolitik", die oftmals "nicht verdaubar" sei. Früher habe niemand nach Impfstoffherstellern gefragt.

Kein Allheilmittel

Wegweiser Richtung Normalität könne jedenfalls auch der grüne Pass als Übergangsinstrument sein, betonte Prainsack. Kollegin Paul verwies in diesem Zusammenhang auf die notwendige Zielsetzung: "Wer entscheidet, wann der Pass wieder überflüssig ist?"

Corona werde vermutlich nicht die letzte Pandemie sein. Was könne man also künftig besser machen? Auf Prävention setzen, meint Wiedermann-Schmidt. Einzelne Maßnahmen, auch die Impfung, könnten "nie Allheilmittel" sein. Mit einer Gesamtstrategie könne es aber gelingen, wieder "leichter leben zu können" – auch mit Kunst und Kultur. (Vanessa Gaigg, 14.3.2021)