16. Juni 2019 gegen 5.15 Uhr: Auf dem Heimweg von der Regenbogenparade und der nachfolgenden Party besuchen drei junge Männer Anfang zwanzig noch die McDonald's-Filiale am Praterstern. Dort versetzte ihre Parade-typische Aufmachung (Glitzer- und Regenbogen-Make-up, einer von ihnen mit unbekleidetem Oberkörper) einen 35-jährigen Gast in extreme Wut. In seiner Rage attackierte er die drei Männer, beschimpfte sie als Schwuchteln, Schwule, Hurensöhne und schwule Sau, spuckte vor ihnen auf den Boden und drohte ihnen mit erhobener Faust an, sie niederzuschlagen und in die Eier zu treten. Diese Woche stand der Täter vor Gericht. Gegen den Willen der Staatsanwaltschaft. Denn die Anklagebehörde wollte nicht anklagen.

Der Reihe nach: Von den beiden österreichischen Opfern, Albert Pranger und Philipp Laabmayr, (der Dritte war US-Amerikaner und reiste kurz nach dem Vorfall ab) hat die Polizei in der Folge nur Laabmayr einvernommen. Pranger, der Laabmayr zur Einvernehmung begleitet hatte, wurde wieder nach Hause geschickt, obwohl er ausdrücklich um seine Einvernahme ersucht hatte. Die Polizeibeamten erklärten ihm, seine Befragung sei nicht notwendig, denn wenn das Verfahren bezüglich Laabmayr eingestellt werde, werde es sowieso auch ihm gegenüber eingestellt.

Kurz darauf stellte die Staatsanwaltschaft Wien das Verfahren wegen gefährlicher Drohung (Paragraf 107 Strafgesetzbuch) ein. Der Täter sei alkoholisiert und verärgert gewesen – und eine Absicht, die Opfer in Furcht und Unruhe zu versetzen, nicht nachzuweisen. Das Video vom Vorfall, das die Polizei in der McDonald's-Filiale sichergestellt hatte, hat die Staatsanwaltschaft nicht angefordert und nie gesehen. Das Video von der Tat hat sie nicht interessiert.

Video vom Vorfall bei der Polizei verschwunden

Pranger, den einzuvernehmen sich die Polizei geweigert hatte, wurde von der Einstellung nicht verständigt und erfuhr davon erst kurz vor Ablauf der absoluten Frist für einen Fortführungsantrag. Die maximale Frist für einen solchen Antrag beträgt drei Monate, auch wenn das Opfer von der Einstellung gar nichts weiß und von der Staatsanwaltschaft nie verständigt wurde. Obwohl er sich zügig Rechtsberatung einholte, konnte er diese Frist nicht mehr einhalten. Sein Fortführungsantrag wurde, ohne Prüfung der Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft, zurückgewiesen.

Neben dem Tatbestand der gefährlichen Drohung gibt es auch noch jenen der "Beleidigung" (Paragraf 115 Strafgesetzbuch), der dann erfüllt ist, wenn Beschimpfung, Verspottung oder (Drohung mit) Misshandlung (beispielsweise Schläge ohne Verletzung und ohne Verletzungsvorsatz) vor mindestens drei unbeteiligten Personen erfolgen. Wird eine solche Tat aufgrund von sexueller Orientierung (oder Geschlecht, Alter, ethnischer Herkunft et cetera) begangen, so obliegt die Verfolgung der Staatsanwaltschaft, jedoch ist dafür eine Ermächtigung der Opfer notwendig. Laabmayr und Pranger haben diese Ermächtigung erteilt.

Dennoch hat die Staatsanwaltschaft auch das Verfahren wegen "Beleidigung" eingestellt. Sie begründete diese Einstellung mit aktenwidrigen Behauptungen. Der Tatverdacht beruhe nur auf der Aussage von Laabmayr, obwohl im Akt eine Stellungnahme Prangers liegt, in der dieser die Aussage Laabmayrs bestätigt hatte. Im Amtsvermerk der am Tatort einschreitenden Polizeibeamten sei von Beschimpfungen nicht die Rede, obwohl dort durchaus Beschimpfungen festgehalten wurden, ebenso wie die Androhung von Gewalt. Das von der Polizei sichergestellte Video von der Tat war laut Mitteilung der Polizei nun nicht mehr auffindbar.

Bild nicht mehr verfügbar.

Die homophobe Attacke fand nach der Regenbogenparade 2019 statt.
Foto: AP Photo/Nelson Antoine

Erst das Gericht nahm die Tat und die Opfer ernst

Pranger und Laabmayr wandten sich sowohl mit einer Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) (Laabmyar & Pranger v Austria, appl. 44268/20) und mit einem Fortführungsantrag an das Landesgericht für Strafsachen Wien, woraufhin die Staatsanwaltschaft jetzt auch noch ins Treffen führte, dass es nicht klar sei, ob überhaupt mindestens drei unbeteiligte Personen anwesend waren. Das, obwohl die Staatsanwaltschaft zu dieser Frage keinerlei Ermittlungen getätigt hatte, niemanden dazu jemals befragt hatte oder befragen hat lassen. Und obwohl zwei Unbeteiligte jedenfalls feststanden: nämlich jener McDonald's-Mitarbeiter, der die Polizei gerufen hatte, und ein von der Polizei namentlich festgehaltener Zeuge. Außerdem machte das damals diensthabende McDonald's-Personal schon mehr als drei Personen aus.

Am 23. Oktober 2020 hat das Landesgericht für Strafsachen Wien dem Antrag der Opfer stattgegeben und der Staatsanwaltschaft die Fortführung des Verfahrens aufgetragen. Am 1. März 2021 stand nun der Täter als Angeklagter vor dem Bezirksgericht Leopoldstadt, wo ihm Richterin Ingrid Weigl in der souverän geführten Verhandlung deutlich machte, dass solche diskriminierenden Übergriffe ein absolutes No-Go und kein Kavaliersdelikt darstellen. Außerdem werden solche Taten, wenn sie heute (seit 1. Jänner 2021) begangen werden, nicht als "Beleidigung" (Paragraf 115 Strafgesetzbuch: Strafe bis zu drei Monate) am Bezirksgericht verhandelt, sondern als "Verhetzung" (Paragraf 283 Strafgesetzbuch: Strafe bis zu zwei Jahre) am Landesgericht, weil die dafür erforderliche Begehung vor zumindest 30 unbeteiligten Personen in diesem Fall erfüllt war. Die Auswertung des McDonald's-Kassensystems ergab zwischen 5 und 5.30 Uhr 62 Transaktionen.

"Auf diesen Tag werde ich noch lange zurückschauen"

Die beiden Opfer schilderten dem Gericht, wie sie der Übergriff noch längere Zeit nach der Tat belastet hat, wozu dann auch noch die Unwilligkeit der Staatsanwaltschaft kam, die Sache zu verfolgen. Da der Angeklagte nicht einschlägig vorbestraft war, in der Verhandlung gestanden und sich bei den Opfern entschuldigt hat, hat ihm das Gericht eine Diversion angeboten: Verfahrenseinstellung gegen eine einjährige Probezeit, wenn er den beiden Opfern je 500 Euro Schadenersatz leistet. Sowohl der Angeklagte als auch Laabmayr und Pranger waren einverstanden. Die Staatsanwaltschaft gab keine Erklärung ab. Pranger, der dem Gericht schilderte, dass er schon öfter homophobe Übergriffe erleiden musste, zeigt sich erleichtert: "Das Wichtigste und Heilendste für mich ist, dass der Staat schlussendlich gehandelt und klargemacht hat, dass solche Hassdelikte nicht toleriert werden und nicht folgenlos bleiben. Auf diesen Tag werde ich noch lange zurückschauen."

"Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verlangt, dass homophobe Delikte mit besonderer Sorgfalt und besonderem Nachdruck umfassend und erschöpfend untersucht und die Täter wirksam sanktioniert werden. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Fall Anlass ist für die Staatsanwaltschaften, diesem Menschenrecht in Zukunft konsequent zu entsprechen", merkte ich nach der Verhandlung an.

Das von der Polizei sichergestellte Video vom Vorfall ist nie wieder aufgetaucht. (Helmut Graupner, 3.3.2021)