Messengerdienste, Mails, SMS, Anrufe und Besuche: Ein 24-Jähriger soll über Monate auf vielen Kanälen seine Ex-Freundin beharrlich verfolgt haben.

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Wien – Es klingt beinahe unglaublich, was dem 23-jährigen Stalkingopfer M. bei der Polizei widerfahren ist. Als sie dort eine telefonische Drohung durch den 24 Jahre alten Angeklagten Clemens H. anzeigen wollte, beschied man ihr, man könne ohne Beweise nichts machen und sie solle ihren Ex-Freund kontaktieren, ob der kein Geständnis ablegen wolle. Diese Erkenntnis ist nicht die einzige Überraschung, die Richterin Magdalena Klestil-Krausam im Verfahren gegen H. erlebt.

Der Überraschungsreigen startet gleich zu Prozessbeginn. Die Richterin stellt nämlich fest, dass der Bewährungshelfer des Angeklagten nicht anwesend ist. "Er hat mir gesagt, er kann nicht kommen. Er habe aber einen Bericht geschickt", verrät der ohne Verteidiger erschienene H. Klestil-Krausam. "Das ist nett, dass er das Ihnen sagt, aber er sollte auch das Gericht informieren", erwidert die.

Mäßig motivierter Bewährungshelfer

Sie greift zum Telefonhörer und ruft den Sozialarbeiter an. "Sie wissen aber schon, dass Sie verpflichtet sind, zu kommen? Deshalb habe ich Ihnen auch eine Ladung geschickt", sagt die Richterin in die Sprechmuschel und hört sich die Antwort an. "Ah, im Burgenland ist das üblich? Nun, ich kann Ihnen sagen, dass es in Wien unüblich ist", vernimmt man als Nächstes. Nach Ende des Gesprächs stellt die Richterin fest: "Andere Länder, andere Sitten" und diktiert für das Protokoll: "Nach Auskunft des Bewährungshelfers ist es im Burgenland nicht üblich, zu weiter entfernten Verhandlungen anzureisen."

Nach diesem interessanten Einblick in den pannonischen Diensteifer kann sich Klestil-Krausam dem Angeklagten widmen. Auch von ihm erfährt man Erstaunliches: Der arbeitslose Burgenländer besucht seit kurzem einen AMS-Weiterbildungskurs in seinem Heimatbundesland. "Davor war ich in einem anderen AMS-Kurs in Wien-Donaustadt, aber da wurde in den Pausen viel Suchtgift konsumiert, und ich wollte mich distanzieren."

H. war nach eigenen Angaben nämlich jahrelang schwer abhängig von illegalen Rauschmitteln. Im Oktober 2019 wurde er wegen gefährlicher Drohung zu sechs Monaten bedingt und einer ebenso bedingten Einweisung in eine Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher verurteilt. Nach Darstellung des Angeklagten schaffte er es auch so, von den illegalen Drogen wegzukommen – allerdings wandte er sich den legalen zu.

"Ich bin das Problem"

"Haben Sie ein Alkoholproblem?", fragt die Richterin daher den durchaus gepflegt wirkenden Angeklagten. "Wenn ich Alkohol trinke, habe ich ein Problem", gibt dieser zu. Wenn er zu trinken beginne, trinke er "nonstop" Bier, Weiß- und Rotwein. Die Notwendigkeit eines Entzugs sieht er aber nicht: "Ich trink ja nicht die ganze Zeit." – "Das Hauptproblem ist also der Alkohol?", fragt Klestil-Krausam. "Ich bin das Problem", zeigt H. sich durchaus reflektiert.

Reflektiert soll H. auch bezüglich der Anklage sein, schreibt der nicht erschienene Bewährungshelfer in seinem Bericht. Zwischen September und Oktober soll der Angeklagte seine Ex-Freundin M. in Wien beharrlich verfolgt haben. Die hatte sich im August nach vier Jahren On-off-Beziehung von ihm getrennt, nach seiner Schilderung wollte er einen Grund dafür wissen. Und versuchte M., immer wenn er betrunken war, mittels Anrufen, SMS, Mails, Messengerdiensten und Hausbesuchen zu einem Gespräch zu bringen. "Es hat mir das Herz gebrochen. Wieso weist man jemanden so ab nach vier Jahren Beziehung?", fragt er.

Bis zu 20-mal rief er pro Tag an, zeigen die Anrufslisten, meist vom späten Nachmittag bis in die Nacht. "Ich habe in der Nacht angerufen, da ich dachte, ich stress sie weniger, wenn sie nicht in der Arbeit ist", versucht H. sich als empathisch darzustellen. Klestil-Krausam sieht das anders: "Das ist doch unlogisch. Wenn ich in der Nacht anrufe, stresse ich doch mehr, weil ich die Person aufwecke!" – "Ja, es war eine dumme Idee", gibt H. zu.

"Dann habe ich wieder zu viel getrunken"

Nachdem er in der Halloweennacht von der Polizei aus dem Stiegenhaus bei M.s Wohnung weggewiesen wurde, habe er aufgehört. "Eine Zeitlang. Und dann habe ich wieder zu viel getrunken." M. erwirkte Ende November eine einstweilige Verfügung gegen ihren Ex-Partner.

"Haben Sie ihr auch gedroht? Und auf die Mailbox gesprochen, dass Sie sie zerstückeln werden?", fragt die Richterin. "Nicht dass ich wüsste", antwortet der Angeklagte. "Was soll das heißen?" – "Ich weiß es nicht. Ich war betrunken." Allerdings habe man sich während der Beziehung verbal nichts geschenkt, merkt er an. "Sie hatten also einen eher rüden Umgangston?" – "Einen sehr impulsiven."

H. gesteht auch, im Herbst den von M. genutzten Pkw zerkratzt zu haben. "Wo und womit?", fragt Klestil-Krausam. "Ich weiß es nicht mehr. Ihre Mutter hat meinen Vater angerufen und gesagt, dass er für die Reparatur zahlen muss." Der machte das offenbar für seinen Sohn, der im elterlichen Haus lebt.

Weitere Delikte bis kurz vor der Verhandlung

Privatbeteiligtenvertreter Michael Kumpl beschert der Richterin die nächste Überraschung. Er legt der Richterin nämlich eine Auswahl an Mails vor, die belegen, dass H. ab Jänner weiter Kontakt zu M. gesucht hat. "Meine Mandantin hat mir vor der Verhandlung gesagt, dass er ihr auch gestern noch Telegram-Nachrichten geschrieben hat." Klestil-Krausam verliert merkbar die Fassung: "Das kann ja nicht Ihr Ernst sein? Sie sagen mir, Sie haben es nach der einstweiligen Verfügung verstanden? Wissen Sie, was das für einen Eindruck auf das Gericht macht?", wendet sie sich an den Angeklagten. Der weiß nicht recht, was er antworten soll.

"Wissen Sie, welche Auswirkungen das auf Frau M. hat?", will der Privatbeteiligtenvertreter noch wissen. "Nein", antwortet H. knapp. "Sie hat sich an manchen Tagen nicht einmal mehr getraut, den Müll hinunterzutragen, da sie Angst hatte, Sie könnten ihr auflauern!" Der Angeklagte nimmt das stumm zur Kenntnis.

M. will nur in Abwesenheit des Angeklagten als Zeugin aussagen, H. nimmt daher bei offener Tür im Nebenraum Platz. Im Gegensatz zum Angeklagten berichtet sie, ihm Ende August, Anfang September sehr wohl klargemacht zu haben, dass die Beziehung vorbei sei. Irgendwann reagierte sie auf seine Kontaktversuche nicht mehr, im September blockierte sie seine Nummer. Benachrichtigungen, dass er versuchte, sie anzurufen, erhielt sie dennoch weiter.

Drohung auf der Mobilbox

Bezüglich der Drohung erinnert M. sich, dass H. ihr im Herbst auf ihre Mobilbox gesprochen habe, dass er sie "am liebsten zerstückeln und unter dem Boden verstecken würde". Das habe ihr extreme Angst gemacht, als sie mit der einstweiligen Verfügung im November zur Polizei ging, sei die Nachricht vom System aber schon automatisch gelöscht worden. Woraufhin sie den eingangs erwähnten Ratschlag erhielt, H. zu kontaktieren und um ein Geständnis zu bitten. Bezüglich des Stalkings habe man ihr nur geraten, ein Tagebuch über die Kontaktversuche zu führen.

Dann zeigt die junge Frau Klestil-Krausam noch die jüngsten Nachrichten auf ihrem Mobiltelefon. "Ich bin am Mittwoch wahrscheinlich im Gefängnis. Scheiße, wie das alles gelaufen ist", findet sich dort beispielsweise. Oder: "Mittlerweile sind es vier Jahre, was für eine atemberaubende Zeit." Und: "Ich weiß, dass wir keinen Kontakt haben dürfen. Vergiss das mal kurz und melde dich!" Auch neue Anrufversuche sind dokumentiert.

Die Zeugin beschreibt, dass sie wochenlang unter Schlafstörungen litt und sich kaum mehr alleine außer Haus gewagt hat. Auf der Straße habe sie ständig ihr Handy griffbereit gehabt, um Hilfe herbeirufen zu können, falls H. auftauchen sollte. 2.000 Euro will sie von ihrem Ex für die erlittene Beeinträchtigung.

"Wusste nicht, dass es sie so mitnimmt"

H. ist grundsätzlich bereit zu einer Zahlung, merkt aber an, dass er arbeitslos sei. In seinem Schlusswort entschuldigt er sich nochmals: "Es hört sich jetzt blöd an, da ich M. erst gestern angerufen habe, aber es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass es sie so mitnimmt."

Klestil-Krausam verurteilt H. schließlich zu fünf Monaten unbedingter Haft. "Ich sage Ihnen auch ganz klar, warum: Weil Sie einfach weitergemacht haben, bis gestern", begründet die Richterin, warum für sie keine neuerliche bedingte Strafe infrage kommt. Die offene Vorstrafe und die bedingte Einweisung widerruft sie aber nicht. Weisungen, etwa zu einem Alkoholverbot, kann sie bei einer unbedingten Strafe nicht erteilen. "Das kommt dann eventuell bei einer bedingten Entlassung aus dem Gefängnis", prophezeit die Richterin noch. M. werden 500 Euro Schmerzensgeld zugesprochen.

Die Staatsanwältin ist mit der Entscheidung einverstanden, H. erbittet sich Bedenkzeit, das Urteil ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 4.3.2021)