Die Kampagne "Sichtbar machen" von ORF, Haus der Geschichte und Journalistinnenkongress stellt Frauen aufs Podium.

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ORF-Fernsehdirektorin Kathrin Zechner sieht "altes männliches Revierdenken" als überholt. Vielen sei bewusster geworden, dass Ausgeglichenheit wichtig sei.

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"Sichtbar machen" lautet das Motto der diesjährigen ORF-Kampagne zum Frauentag. Die Aktion stellt gemeinsam mit dem Haus der Geschichte und dem Journalistinnenkongress hundert bekannte und weniger bekannte Frauen aufs Podium. Die Biografien und Fotos sind auf extra.ORF.at abrufbar. Die Geschichten dieser Frauen sollten nach dem Willen von Mitinitiatorin Kathrin Zechner viral gehen: Das Publikum ist eingeladen, diese Aktion zu erweitern und seine persönlichen Heldinnen über die Plattform einzusenden, um auch Persönlichkeiten des Alltags sichtbar zu machen. Begleitet wird die Kampagne ab 8. März zwei Wochen lang mit TV-Trailern.

STANDARD: Der Job des Generaldirektors wird im Sommer vergeben. Wäre es nicht wieder einmal Zeit für eine Frau an der Spitze von Österreichs weitaus größtem Medienunternehmen?

Zechner: Die Ausschreibung der Generaldirektion steht allen versierten Menschen offen – Frauen wie Männern.

STANDARD: Sie haben keine Präferenz?

Zechner: Es ist ein sehr anspruchsvoller Job, es gibt qualifizierte Frauen wie Männer.

STANDARD: Wäre Kathrin Zechner ausreichend qualifiziert?

Zechner: Das mögen andere beurteilen.

STANDARD: Dazu müssten Sie sich erst einmal bewerben.

Zechner: Die eine Antwort ist: Es ist ein herausragender, fordernder Job, in dem es qualifizierte Frauen und Männer gibt. Die zweite Antwort: Ich mache Programm seit vielen Jahren sehr fantasievoll und professionell. Das ist meine Stärke, und ich finde, man sollte sich auf seine Stärken konzentrieren.

STANDARD: In der nächsten Amtsperiode geht es um die Transformation des ORF ins digitale Zeitalter. Das müsste Sie doch reizen?

Zechner: Es muss ja jemand den Content ins digitale Zeitalter transformieren. In dieser Rolle sehe ich mich. Ich bin sehr davon überzeugt, dass jeder Mensch etwas kann, und wenn Menschen zusammenarbeiten, sollten die Besten ihres Fachs einander ergänzen.

STANDARD: Für den Job des Generaldirektors sehen Sie sich demnach nicht als die Beste?

Zechner: Meine große Stärke ist Content, angstfreie, professionell gemachte, neugierig gebliebene, gestaltungsfähige Content-Produktionen.

STANDARD: Wie geht es dem Content hinsichtlich Gleichstellung? Autoren, Regisseure, Kameraleute sind immer noch mehrheitlich männlich.

Zechner: Ich bin mit meinem Team sehr dahinter und haben dadurch geschafft, im Jahr 2019 immerhin schon auf 38 Prozent Frauenanteil bei Drehbuch, Regie und Produktion zu kommen. Wir sind noch nicht bei 50 Prozent, aber schon um einiges weiter. In meinem Bereich Fernsehen sind 58 Prozent der Jobs in allen Verwendungsgruppen weiblich besetzt. In der Leadership-Gruppe sind wir bei 39 Prozent. Wir arbeiten uns sukzessive voran. Bei den acht Hauptabteilungen, die ich führe, sind vier mit Frauen und vier mit Männern besetzt. Geschlechterparität herrscht auch in den TV-Chefredaktionen mit zwei Frauen und zwei Männern.

STANDARD: Ist es einfacher geworden, zu argumentieren, der Posten muss jetzt mit einer Frau besetzt werden, die kann man nicht übergehen? Oder anders: Ist der gesellschaftliche Druck gestiegen?

Zechner: Es ist durch die Arbeit von vielen beteiligten – vor allem – Frauen, aber auch einigen Männern bewusster geworden, dass Ausgeglichenheit wichtig ist. Das alte männliche Revierdenken ist nicht zielführend. Das Idealbild ist, einander zu ergänzen. Es geht darum, in den Köpfen der Männerwelt festzuschreiben, dass ein allein beackertes Revier nicht so reichhaltig und erfolgreich sein kann, als wenn man es zu zweit beackert.

STANDARD: Da sprechen Sie jetzt von sich selbst, oder? Nach der Wahl 2017 hatten Sie die Informationsagenden verloren, dafür zwei Channel-Manager neben sich und lange nicht mehr den gestalterischen Spielraum. Wie ging es Ihnen mit dem Machtverlust?

Zechner: Ich gebe es zu, es war die größte Herausforderung in meiner Arbeitswelt. Ich habe mich aber entschieden, diese Herausforderung in der mir eigenen lustvollen Veranlagung anzunehmen. Das Arbeiten als Programmdirektorin neu ist ein gänzlich anderes, weil es größerer Abstimmungsprozesse bedarf. Wenn du starke Channel-Managerinnen und -Manager neben dir hast, bedeutet das viel Arbeit im Detail für sie. Gleichzeitig konnte ich dadurch meinen Fokus auf die digitale Transformation lenken. Wir arbeiten an Probemodulen, entwerfen digital ergänzende Formate und entwickeln Technologien, mit denen wir das auch bewerkstelligen können. Das begeistert und fasziniert mich und erfüllt mich zur Gänze.

STANDARD: Stichwort Diversity, soeben bei den Golden Globes heftig diskutiert. Streamingplattformen wie Netflix tanzen Ihnen da einiges vor. Warum ist da nicht mehr möglich?

Zechner: Wie stark der Druck Richtung Diversity umgesetzt ist, kommt sehr auf das Leadership der Institutionen an, auf Produzentinnen, Produzenten. Insofern nehme ich insgesamt einen stärkeren Druck Richtung Diversity wahr, egal ob Plattformen oder Sender. Die Bereitschaft zu Veränderung ist in Europa sichtbarer als in den USA. Für uns ist Diversity bei breitenwirksamen Filmen und Serien wie Cop Stories und Schnell ermittelt selbstverständlich. Stefanie Reinsperger spielt im Landkrimi eine lesbische Polizistin, die sich in ihrer Figur mit sich selbst auseinandersetzt, ihrem beruflichen Umfeld und ihrer Partnerin. Wir erreichen mit einem mainstreamigen Produkt einen Seherinnen- und Seherkreis und bilden die Normalität dessen ab.

STANDARD: Irgendwie aber auch wieder nicht. Denn die vermeintliche Normalität wird ja sehr wohl als etwas Außergewöhnliches dargestellt, das Anderssein ist nicht selbstverständlich, sondern wird fast immer problematisiert. Reinsperger muss durch die unvermeidbare Problemzone.

Zechner: Ich würde dem teilweise widersprechen. Wir gehen aber natürlich bewusst auch in Problemstellungen. Wir tun beides. Mit dem Zugeständnis, dass auch hier Luft nach oben ist.

STANDARD: Mavie Hörbiger beklagte, mit 41 für eine Rolle abgelehnt worden zu sein. Haben Sie Verständnis?

Zechner: Mein Weg ist es, dieses Thema differenziert anzugehen. Dass man eine im Buch als 20-jährig Ausgewiesene nicht mit einer 40-Jährigen besetzt, hat nichts mit Altersdiskriminierung zu tun. Wenn die Rolle für eine 30-jährige Frau geschrieben ist, und dann kommt über die Regie eine 40-Jährige infrage, wird das natürlich thematisiert. Faktum ist aber, dass – egal wo auf der Welt – Rollen für reifere Frauen seltener sind als für reifere Männer. Für Männer wird vom jungen Dänenprinzen bis zum 80-Jährigen alterslos geschrieben. Da ist viel zu tun. Nachdem ich unverrückbare Optimistin bin, glaube ich, das wird gelingen.

STANDARD: Wo sehen Sie sich 2022?

Zechner: So nahe?

STANDARD: Zehn Jahre Zechner 2 im ORF.

Zechner: Ich sehe mich ungebremst kreativ schöpfend in der Berufswelt, in welcher auch immer.

STANDARD: Und 2027?

Zechner: Ich würde sagen, bis ich 70 bin, sehe ich mich so. (Doris Priesching, 4.3.2021)