Das Pflanzen von Bäumen ist ein bedeutungsschwangerer Akt. Das wusste Joseph Beuys, als er 1983 vor der Angewandten die Schaufel in die Hand nahm.

Foto: Philippe Dutartre

Ganz Deutschland ist aus dem Beuyschen. Das Gesamtkunstwerk Joseph Beuys würde im Mai hundert Jahre alt werden. Allein in Nordrhein-Westfalen finden in diesem Jahr an die 25 Ausstellungen statt, erzählt Harald Krejci, Kurator der Wiener Schau mit dem Titel Joseph Beuys. Denken. Handeln. Vermitteln. Auch in Osaka, Barcelona oder Antwerpen wird dem "scharfen Hasen" – als solcher soll sich der Aktionskünstler einmal scherzhaft bezeichnet haben – die Ehre erwiesen. In Anbetracht der globalen Feierlichkeiten, die noch dazu unter den Umständen und Umständlichkeiten einer Pandemie stattfinden müssen, ist man im Belvedere hochzufrieden, überhaupt so viele repräsentative Werke – von Zeichnungen über Multiples bis zu Videodokumentationen von Aktionen – zeigen zu können. Einfach dürfte das nicht gewesen sein. Auch weil der Joseph Beuys Estate, dem Witwe und Kinder von Beuys vorstehen, bekanntlich recht genaue Vorstellungen hat, wie mit dem Nachlass zu verfahren ist.

Der mit dem Kojoten

Trotzdem hat es eine großflächige Installation wie die Hirschdenkmäler (1958/82), in der sich Mystik, Natur, Dystopie und auch Witz – das Bügelbrett von Beuys’ Mutter spielt eine Rolle – vereinen, aus dem Estate ins Belvedere 21 geschafft. In ihren Einzelteilen gelangte auch die Honigpumpe am Arbeitsplatz, die sich normalerweise im Louisiana Museum in Humlebæk befindet, nach Wien. Beuys ließ sie 1977 für die Dokumenta 6 bauen, wo sie 150 Kilogramm Honig durch ein umlaufendes Schlauchsystem pumpte.

Die zerlegte Honigpumpe im Belvedere 21.
Foto: Apa

Ein Filzanzug hängt an der Wand, und in Videos erklärt der überlebensgroße Beuys dem Toten Hasen die Bilder oder kohabitiert mit einem Kojoten (I like America and America likes me, 1974). Das kennt man, braucht man und sieht man immer wieder gerne. Auch die einzige Arbeit von Beuys, die am Friedrichshof entstand, eine Ölmalerei auf Jute, ist zu sehen. Filz, Fett, Tiere und Politisches, Anthroposophie und Fluxus – die wichtigen Motive, die Beuys’schen Must-haves sind vorhanden. Seine Vorreiterrolle für aktuelle (Kunst-)Diskurse rund um Klimawandel und Partizipation (Stichwort: soziale Plastik) lässt sich erahnen. Beuys’ Vergangenheit in der Wehrmacht wird in der Ausstellung zumindest thematisiert.

Beuys n tha hood

Dennoch tut die Schau gut daran, ihren Fokus auf einen lokalen Aspekt, nämlich die Beziehung zwischen Beuys und Wien, zu legen. Denn bei diesem Thema halten sich das internationale Interesse und damit der Run auf die Leihgabe in Grenzen. Und spannend ist diese Beziehung allemal. So geht die Schau Beuys’ enger Verbundenheit zur Galerie Nächst St. Stephan nach, in der er zusammen mit Henning Christiansen 1967 die Aktion Eurasienstab 82 min fluxorum organum verwirklichte, die dort auch nicht seine letzte bleiben sollte. Dabei balancierte Beuys einen Kupferstab als Energieleiter, eben den Eurasienstab, von Osten nach Westen. Die Intuition, die Beuys in östlichen Kulturen stärker vertreten sah, sollte so – zumindest als Metapher – in den analytischen Westen gelenkt werden.

Filzanzug
Foto: Apa

Im Hof des heutigen Museumsquartiers wollte er unter dem Titel Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung Bäume pflanzen, wie er es in Kassel mit seinem Mammutprojekt 7000 Eichen getan hatte. Daraus wurde nichts, genauso wie aus der Professur an der Universität für angewandte Kunst, die im Raum stand. Immerhin pflanzte er 1983 im Rahmen einer vielbeachteten Podiumsdiskussion mit dem Titel Bäume einige wenige ebensolche vor der Universität. Ein langes Leben war ihnen nicht beschieden, wie Peter Werkner in der Publikation Museumsdepots schreibt. So wurde eine einzige Baumleiche vom Schulwart der Angewandten, Karl Sekora, gerettet und im Keller der Universität versteckt. Sekoras Beschreibung der Angelegenheit ist lapidar-großartig: "Er (der Baum, Anm.) besteht aus einem geringen Wurzelwerk und kaum Verzweigungen. Also keine Schönheit. Beuys und Oberhuber waren keine Gärtner." Heute befindet sich der letzte verbliebene Beuys-Baum in einer Vitrine im Depot der Angewandten. Schade, dass man ihn nicht ausgestellt hat.

Der Anekdotenkönig

Aber auch das hätte ein grundsätzliches Problem der Schau – vermutlich jeder Beuys-Schau – nicht gelöst: Die Objekte allein wirken oft genauso tot wie Hase oder eben Baum. Beuys selbst war ein großer Geschichtenerzähler, der in zitablen Einzeilern ("Ja, jetzt brechen wir hier den Scheiß ab") und der Kreation von Legenden die Anekdotenhaftigkeit seiner Kunst zu befeuern wusste. Die Künstlerpersona Beuys – mit Abstand sein wichtigstes Kunstwerk – vermittelt sich in Form dokumentarisch angelegter Ausstellungen nicht besonders gut, auch wenn sie das Wort "vermitteln" im Untertitel führen. (Amira Ben Saoud, 4.3.2021)