Kunsthistoriker Gottfried Fliedl warnt in seinem Gastkommentar davor, dass die Museen einfach die Corona-Pandemie auszusitzen. Dringende Reformen wären notwendig. Lesen Sie dazu auch den Gastkommentar von Kulturwissenschafter Michael Wimmer: "Bloß nicht zurück zur alten Normalität".

Kaum hat der STANDARD mit einer Debatte über wünschenswerte Veränderungen der Museen begonnen, gibt es bereits harschen Gegenwind. Stella Rollig, Leiterin des Belvedere, ist sichtlich verärgert, welche diffusen Forderungen an die Museen gerichtet werden ("Sündenfall Blockbuster-Ausstellung?". Das Geschäftsmodell (sic!) Museum sei doch erfolgreich.

Ist es nicht gerade dieses Wort Geschäftsmodell, das den problematischen Wandel der einstigen Bildungsinstitution gut kennzeichnet? Ist es nicht dieses Modell, das sich an Einnahmen, Besucherzahlen und großen, medial nach Aufmerksamkeit heischenden Ausstellungen messen lassen will?

Soll es so weitergehen wie vor Corona und den damit verbundenen Lockdowns? Oder gehören die bisherigen Konzepte verworfen, müssen dringend neue Ideen her? Museen auf der Sinnsuche: eine Besucherin in der Albertina modern in Wien.
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Unglücklicherweise sucht sich Frau Rollig gerade die sogenannten Blockbuster-Ausstellungen aus, um ihre Haltung zu erläutern. Ein Typ von Ausstellung, den sie nach eigenem Bekunden gar nicht pflegt. Wen verteidigt sie also? In der Kritik an Museen, die es seit Jahren gibt, spielt diese Frage kaum eine Rolle. Stattdessen der Wandel, den sie am Ende ihres Textes benennt. Sie sieht ein Ende des bürgerlichen Zeitalters heraufziehen und damit, ergänze ich, ein Wegbrechen der wichtigsten idealen Trägerschaft des Museums. Und sicher, es gibt einen demografischen Wandel, veränderte Wissensvoraussetzungen. Das Museum muss diverser werden – auch da kann man nur zustimmen, und es gibt ja auch immer mehr Gruppen, die ihren Ausschluss aus der Repräsentationskultur nicht mehr hinnehmen wollen.

Tabuisierte Merkmale

Das bedeutet, sich von etwas zu verabschieden, was zu den tabuisiertesten Merkmalen gerade des Museums gehört. Seine soziale Exklusivität. Heimische Bevölkerung gegen touristische Besucher auszuspielen reicht nicht, denn es geht um sozial und bildungspolitischen Elitismus, um kulturelle Hegemonie. Also um das Aufrechterhalten von Werten und Normen, die als allgemein verbindlich gelten sollen. Auch hier kann man in Rollig eine kritische Verbündete sehen, wenn sie warnt, man dürfe die sogenannte Mehrheitsgesellschaft in ihrer vermeintlichen Überlegenheit nicht bestätigen.

Nicht stehenlassen will sie aber den Vorwurf, dass Museen vergessen haben, sich als sozialer und öffentlicher Ort zu verstehen. Ein Museum ist nichts anderes als ein solcher. Genau daran entzündet sich aber seit Jahrzehnten die Diskussion: an der demokratischen Qualität dieser Öffentlichkeit, an der Teilhabe eines zum Konsumenten degradierten Publikums, an der sozialen Geltung, die es für kaum die halbe Bevölkerung gibt. Darauf müssten sich die Museen doch konzentrieren, neue Formen öffentlicher Auseinandersetzung und Wahrnehmung zu entwickeln, gemeinsame Anliegen, Fragen und Probleme mit dem Reflexionswissen der Institution zu verbinden. Kurzum ein Ort der "res publica" zu sein, mithin ein explizit politischer Ort, wo auch zur Sprache kommt, was Rollig zu Recht als bedrohlich anführt, toxischer Nationalismus und erodierende Demokratie.

Bislang unangetastet

Dann müssten Museen aber auch bereit sein, ihre eigene Rolle infrage zu stellen. Im Moment geschieht das weniger durch die von ihr geringgeschätzten Museumsneudenker als durch die Corona-Pandemie. Die wird zwar in der Überschrift genannt, aber im Text kommt sie nicht vor. Von der Pandemie gehen nicht nur die diversen Lockdowns aus, die den Museen finanzielle und organisatorische Probleme bescheren, sondern auch eine Bedrohung ihrer bislang unangetastet positiven Wahrnehmung als plötzlich nicht systemrelevant.

Museen scheinen durchtauchen zu wollen und zu verdrängen, welche langfristige Krise daraus werden könnte, die sie existenziell trifft. Man muss nicht so weit gehen wie der Museologe Krzysztof Pomian, der angesichts von Corona-Pandemie und Klimakrise dem Museum den sicheren Untergang voraussagt. Aber die Chance, die in dieser Krise liegen könnte, das Museum neu zu denken, scheint nicht erkannt zu werden.

Die Liste der Probleme ist weitaus länger: Wie steht es um den Einfluss von Galerien und Sammlern? Wie um den manchmal geradezu obszönen politischen Einfluss auf Museen? Hat man wirklich begriffen, wie nachhaltig die postkolonialen Debatten zu ethnologischen Museen das Bild des Museums verändern könnten? Warum wird der auch im fraglichen Text als wichtig beschworene Vermittlerinnenberuf – ein Frauenberuf, Vermittlerinnen sind die Supermarktkassiererinnen des Kulturbetriebs – derart marginal behandelt und prekär bezahlt? Und so weiter.

Kein glücklicher Satz

Eine Diskussion ist nötig. Aber: Die Direktorinnen und Direktoren, teilt uns Rollig mit, haben ziemlich genaue Vorstellungen davon, wie es weitergeht, das ist ihr Job. Kein glücklicher Satz, einer der die Diskussion ja fast schon beendet, und einer, der als Antwort auf Corona und andere Krisen nicht überzeugend ist. (Gottfried Fliedl, 4.3.2021)