Belvedere-Chefin Stella Rollig deutete den Willen zu Veränderung an. Dafür gibt es Verbündete, sagt Kulturwissenschafter Michael Wimmer im Gastkommentar. Lesen Sie dazu auch den Beitrag von Kunsthistoriker Gottfried Fliedl "Durchtauchen und verdrängen".

Seit 8. Februar darf wieder Publikum in die Museen. Der Andrang ist jedoch mit der Vor-Corona-Zeit nicht zu vergleichen. Der KHM-Museumsverband, zu dem auch das Kunsthistorische Museum in Wien gehört, zählte 27.000 Besucherinnen und Besucher.
Foto: APA / Roland Schlager

Wer erinnert sich noch an Wilfried Seipel, der von 1990 bis 2008 Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums war? Als eine Art Clan-Chef war es sein Ziel, rund um sich ein kulturbetriebliches Imperium zu bilden. Folglich beanspruchte er auch gleich den Posten eines Chefberaters, um der zuständigen Ministerin Elisabeth Gehrer zu sagen, wo es seiner Meinung nach kulturpolitisch langgehen sollte.

Eine Majestätsbeleidigung

Für ihn wäre der Beitrag Alles neu? Über die Zukunft der Museen von Stephan Hilpold im STANDARD einer Majestätsbeleidigung gleichgekommen, um es bestenfalls mit eisigem Schweigen zu quittieren. Im Vergleich dazu repräsentiert die Direktorin des Belvedere, Stella Rollig, einen neuen Typ der Museumsleitung: In ihrem Gastkommentar Sündenfall Blockbuster-Ausstellung? nimmt sie am gerade entstehenden öffentlichen Gespräch teil, bringt ihre Argumente ein, legt eine Reihe von Zwängen offen und – das ist vielleicht die entscheidende Botschaft ihres Gastkommentars – ersucht um Kooperation.

Dafür ist die Ausgangssituation nicht einfach: Von einem Tag auf den anderen sind die Grundlagen des "Museumsmodells, das bis zum Pandemiejahr 2020 die Museen von Erfolg zu Erfolg geführt hat", in sich zusammengebrochen. Die vielgerühmte Auslagerung machte die Museen zu einer verlängerten Werkbank der internationalen Tourismusindustrie und zeigt jetzt ihre Schattenseiten: Die Millionen an Touristinnen und Touristen sind einfach nicht da und werden in der erforderlichen Anzahl auch so schnell nicht wiederkehren – der "Sündenfall Blockbuster-Ausstellung" hat sich fürs Erste erledigt.

Musealer Machtrausch

Nach dem Machtrausch des Herrn Seipel hat die Kulturpolitik alles darangesetzt, sich gleich ganz zum Verschwinden zu bringen. Im Kleid der Autonomie wurden die Museen auf einen sich selbst regulierenden Markt verwiesen, um dort untereinander in Konkurrenz zu treten. Gleichzeitig wurden alle Versuche einer kulturpolitischen Schwerpunktsetzung (Stichworte "Weißbuch" oder gar "Generalsekretär") von den Direktorinnen und Direktoren erfolgreich abgeschmettert. Sie wollten Herren und Frauen des Geschehens bleiben und sich im Vollzug ihrer Marktstrategien von niemandem etwas dreinreden lassen.

Aber jetzt der Affront: Wurde von den Direktorinnen und Direktoren noch knirschend zur Kenntnis genommen, dass ihnen ausgerechnet der Gesundheitsminister Rudolf Anschober vorschreiben wollte, ob sie aufsperren dürfen oder nicht (wir erinnern uns an das diesbezügliche Aufbegehren des Albertina-Chefs Klaus Albrecht Schröder), so entsteht jetzt auch noch ein öffentliches Gespräch über die Relevanz der Museen unter den neuen Umständen. "Man könnte die Direktoren und Direktorinnen fragen, wie es weitergeht", meint Rollig. Als ob die leitenden Angestellten dieser öffentlichen und damit von uns allen getragenen Kultureinrichtungen nicht bisher eine Monopolstellung innegehabt hätten, den museumspolitischen Diskurs zu lenken.

Öffentliches Gut

Der Hilferuf, den ich aus Rolligs Gastkommentar herauslese, verweist auf ein eklatantes Versagen der Kulturpolitik. Heute rächt sich, das öffentliche Gut Museum dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen zu haben. Um das Geschäftsmodell "hohe Einnahmen gegen teure Ausstellungen" aufrechterhalten zu können, musste ein Massenpublikum mithilfe ausgefeilter Marketingstrategien auf eine Konsumentinnen- und Konsumentenfunktion reduziert werden. Dieser Dynamik war eine defensive Kulturpolitik in keiner Weise gewachsen. Bis heute begnügt sie sich mit dem Versprechen einer baldigen Rückkehr in die alte Normalität. Aber gerade jetzt wäre eine neue Agenda der Kulturpolitik und damit ein klar erkennbarer Gestaltungswillen so notwendig wie nie zuvor, soll es nicht zu einer existenziellen Gefährdung weiter Teile des Kulturbetriebs kommen.

Auch wenn Rollig ins Treffen führt, dass "umfassende Vermittlungsprogramme" die lokale Bevölkerung adressieren, weist noch nichts darauf hin, dass diese zu einer nachhaltigen Veränderung der Publikumsstruktur geführt haben.

Kein Patentrezept

Nein, wir, die eine Außensicht auf die Zukunft des Kulturbetriebs einbringen, haben keine Patentrezepte, wie es weitergehen könnte. Aber wir können darauf aufmerksam machen, dass bereits vor dem Ausbruch der Pandemie einiges schiefgelaufen ist und dass nach dem Ende der Pandemie vieles nicht mehr so sein wird wie davor. Und dass es viele Menschen inner- und außerhalb der Museumsmauern gibt, die bereit wären, sich an der Weiterentwicklung zu beteiligen.

Ich habe mit Freude gelesen, dass mit Rollig die Leiterin eines der führenden Bundesmuseen des Landes öffentlich erklärt, bereit für Veränderungen zu sein, und dafür Verbündete sucht. Würden Museen ihre Einrichtungen nicht nur aus der Sicht der Artefakte, sondern in gleicher Weise aus der Sicht der möglichen Besucherinnen und Besucher betrachten, sie würde sich wundern, wie viele neue Verbündete ihr zur Seite stünden. (Michael Wimmer, 4.3.2021)