Die Klappsitze knarzen unter dem Gewicht dutzender Prüflinge, Papierbögen werden ausgeteilt, eine Aufsicht kontrolliert, dass nur jeder zweite Platz besetzt ist. Dann heißt es: Gelerntes abrufen, Fragen beantworten, Multiple-Choice-Antworten ankreuzen. Was für Generationen von Studierenden in der Klausurenphase Normalität war, ist seit der Pandemie für viele eine Seltenheit.

Anders als bei Vorlesungen und Seminaren wehren sich viele Unis dagegen, die Klausuren trotz Corona eins zu eins ins Internet zu verlegen. Zu groß ist die Angst, dass die Studierenden schummeln oder eine Gruppenarbeit daraus machen.

Daher setzen viele Fakultäten auf neue Prüfungsformate, bei denen Hilfsmittel und mehr Zeit ausdrücklich erlaubt sind. Zum Beispiel ersetzen sogenannte Open-Book-Prüfungen und Essays die klassischen Vorlesungsprüfungen. Bei Ersteren dürfen Studierende ihre Lernunterlagen oder Internetquellen benutzen. Bei Letzteren müssen sie zu einer offenen Fragestellung wissenschaftlich Stellung nehmen.

Damit nicht abgeschrieben wird, galt Abstand bei Klausuren von jeher als Gebot. Doch gegen das Virus braucht es mehr – Prüfungsmethoden mit Zeit zur Reflexion sind gefragt.
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Mit der Form ändern sich auch die Ansprüche an die Prüflinge: Während es bei Vorlesungsprüfungen bislang stark um das Wiedergeben auswendig gelernten Wissens gehe, müssten sich Studierende nun kritisch und argumentativ mit dem Stoff auseinandersetzen, sagt Alan Ross, Historiker am Institut für Bildungswissenschaft der Uni Wien.

Neues Lernverhalten

"Das hat durchaus eine positive Auswirkung auf das Lernverhalten", sagt Ross. Im Distance-Learning würde von den Studierenden vermehrt gefordert, sich den Stoff selbstständig und praktisch anzueignen. Mit gewissen Theorien auch arbeiten zu können ist hier zum Beispiel wichtiger, als nur die abstrakte Definition zu kennen. Und wer weiß, wie man Lerninhalte schnell recherchiert und anwendet, der lernt dazu auch noch nachhaltiger.

Der stärkere Fokus auf Eigenständigkeit, Recherche und Argumentation kann auch beim Jobeinstieg hilfreich sein, sagt Bernhard Wundsam. Er ist Geschäftsführer von Uniport, dem Karriereservice der Uni Wien und sagt: "Allein beim Jobinterview überzeugt in der Regel die Person, die ihre Erfahrungen und Kenntnisse argumentativ mit der Stelle verbinden kann." Und könne jemand seine Standpunkte authentisch, schlüssig und rhetorisch überzeugend präsentieren, habe er es im Job einfacher.

Besonders Studierenden, die Prüfungsangst haben, können die neuen Klausurtypen helfen. Immerhin fast ein Drittel leidet laut eigenen Angaben darunter, ergab die Studierendensozialerhebung 2019. "Genug Zeit zum Nachdenken ist das Wichtigste, um die Angst zu mildern", sagt Franz Oberlehner, Leiter der psychologischen Studierendenberatung in Wien. Aber auch bei mündlichen Prüfungen per Videocall könne die Angst sinken: "Durch die Distanz ist man weniger emotional ausgesetzt." Wenn man also nicht direkt vor dem Prüfer sitze, fühle man sich sicherer und bekomme weniger schnell Panik.

Doch das heißt nicht, dass Studierende mit Prüfungsangst grundsätzlich von der Pandemie profitieren. "Es hängt immer davon ab, wie hoch der Druck sonst ist", sagt Oberlehner. Besonders im Alltag sei dieser enorm gestiegen, der dritte Lockdown setze vielen zu.Durch die Isolation seien Studierende anfälliger für Ängstlichkeit und könnten sich schlechter auf Prüfungen konzentrieren und vorbereiten. "Etwa ein Drittel geht gerade unterund schafft es nicht mehr aus dem Pyjama – Tendenz steigend", warnt der Psychologe. Diese Studierenden seien oft so verzweifelt, dass sie gar keine Klausuren mehr ablegen könnten – egal in welcher Form.

Mehr Prüfungen abgelegt

Die meisten Prüflinge nehmen die neuen Prüfungsformate aber gut an, zeigt die Praxis. An der Uni Innsbruck freut sich Vizerektor Bernhard Fügenschuh über "sehr positive" Rückmeldungen. Im vorigen Sommersemester wurden fast 40 Prozent mehr Prüfungen abgelegt als im Jahr zuvor. Insgesamt sind die Studierenden also deutlich prüfungsaktiver – die Gründe könne man laut Fügenschuh aber derzeit noch nicht einordnen. Auch nach der Pandemie wolle man Lehrende, die lieber digital prüfen, technisch und didaktisch unterstützen.

Auch an der Uni Wien beobachtet man, dass viele Studierende wieder aktiver ihre Studienpläne verfolgen. Hier ist die Zahl der Studien, in denen Prüfungen abgelegt wurden, um 1,5 Prozent gestiegen. In Anbetracht der veränderten Rahmenbedingungen sei das laut der Vizerektorin eine beachtliche Steigerung.

Nach der Pandemie werden Prüfungen auf Papier und im Hörsaal großteils zurückkehren, erwartet Bildungshistoriker Ross. Bewährte Formate wie Open Book oder Essayswürden aber sehr wahrscheinlich weitergeführt werden. Doch: "Unis sind träge", sagt Ross. Er gehe nicht davon aus, dass es zu einer grundlegenden Reform kommen werde. (Tobias Mayr, 5.3.2021)