Katharina Schüttler und Tom Schilling in Schalkos "Ich und die anderen".

Foto: sky, superfilm

Berlin/Wien – In einer Zeit, in der das Wünschen noch geholfen hat, ist die neue Serie "Ich und die Anderen" angesiedelt: Dem Jetzt. Oder besser gesagt: Dem Bildschirm-Jetzt. Also der Bildschirm-Realität. Die es an sich nicht gibt, weil sie eben das ja nicht sein kann. Realität. Kurz gesagt: David Schalko hat wieder ein Werk abgeliefert. Vielleicht sein Meisterwerk im Serienbereich. Premiere war auf der laufenden Online-Berlinale 2021.

Letztlich ist "Ich und die Anderen" eine narrative Versuchsanordnung, ein Metawerk, das sich sooft in seinem eigenen Abbild spiegelt, dass es seinen Kern entblößt. Die Hauptfigur aller sechs Teile der in Wien gedrehten Miniserie ist Tristan, großartig interpretiert vom derzeit omnipräsenten Tom Schilling. Er erwacht pro Folge unter anderen Parametern, je nachdem, wie sein Wunsch am Vortag ausgefallen ist. Es ist die absolute Omnipotenz.

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Kapitelweise

Spielt sich Tristans Tag in Kapitel I unter der absurden Ausgangslage ab, dass alle Figuren der Serie – vom Passanten auf der Straße über die Arbeitskolleginnen bis zur Freundin – alles über ihn wissen, ändern sich in Kapitel II die Voraussetzungen vollends. Auf die surreale Ich-Bezogenheit folgt eine Welt, in der jeder jedem ausschließlich die Wahrheit sagt, während Kapitel III eine Umgebung zeigt, in der alle Tristan bis zum Wahnsinn lieben. In Kapitel IV wiederum ist er es, der alle Elemente der Welt liebt, während ihm in Kapitel V von einem elektronischen Helferlein alle Entscheidungen abgenommen werden. In Kapitel VI folgt die logische Kulmination.

Und zugleich ist diese kondensierte Schilderung des Narrationsskeletts eine beinahe unzulässige Verkürzung des Schalko-Universums, das sich als "Und täglich grüßt das Murmeltier" auf LSD am ehesten umschreiben lässt. Noch nie war der Regieautor mit seinen Serienprojekten wie "Altes Geld" oder "M" so nahe an Seriensurrealist David Lynch, dessen farbsatt-psychedelische Bilder Martin Gschlacht wieder mit seiner Kameraführung evoziert. Noch nie hat Schalko diese Attitüde zugleich so humorvoll im selben Moment wieder gebrochen.

Rois, Wuttke, Frick, Eidinger, Maertens, Hörbiger

Geschliffene Dialoge werden da allen Figuren untergeschoben, wenn Sophie Rois und Martin Wuttke als Künstlerelternpaar Tristans standhaft über die Schwanzgröße des Vaters sinnieren, Sarah Viktoria Frick als Künstlerschwester stets an sich und der Kunst verzweifelt oder Lars Eidinger der egozentrische Agenturchef ist, während Michael Maertens als Therapeut für philosophische Wortgefechte parat steht. Und doch sind dank der Spielregeln von "Ich und die Anderen" all diese Charaktere multiple Persönlichkeiten, wandelbar je nach Situation.

Doch selbstredend wäre Schalko nicht Schalko, wenn er sich sklavisch an ein einmal gestelltes Konzept hielte. Im Gegensatz konterkariert er die eigenen Vorhaben stets genussvoll. So reflektiert mit "Ich und die Anderen" das Medium immer auch sich selbst, werden die Leiden einer Serienfigur als Zentrum des Interesses samt daraus folgendem Egorausch auf die Metaebene gehoben. Da, wo der als Zeremonienmeister fungierende Taxifahrer von Ramin Yazdani oder die als Erinnerung stets präsente und in die Handlung eingreifende Jugendfreundin Franziska (Mavie Hörbiger) längst sind.

Wer sich Rois'sche Stilblüten wie "Ich war Dir eine schlechte Mutter. Jetzt erwarte ich von Dir, dass Du ein schlechter Sohn bist. Das gebietet der Anstand" oder Therapeutenweisheiten wie "Eigentlich müssten wir Gott therapieren, um die Welt zu verändern" zu Gemüte führen will, der muss sich nach jetzigem Stand bis Sommer gedulden. Dann ist die Koproduktion der Wiener Superfilm beim Bezahlsender Sky zu sehen. (APA, 4.3.2021)