Die Maus wird 50. Armin Maiwald gilt als ihr geistiger Vater.

Foto: WDR/Bettina Fürst-Fastré

Wenn am Sonntag, 7. März, die 2.309. Ausgabe der "Sendung mit der Maus" um 9 Uhr in der ARD auf dem Programm steht, dann blickt die Maus auf 3.320 Sach- und 3.928 Lachgeschichten zurück. Hinter den Zahlen steht der deutsche Autor, Regisseur und TV-Produzent Armin Maiwald (81), der die Sendung miterfunden hat und sie noch immer prägt.

STANDARD: Die Maus ist orange, der Elefant blau: Warum werden die Kinder seit so vielen Jahren veräppelt?

Maiwald: Das sind ja nur Zeichentrickfiguren, die unterliegen der Logik des Zeichentricks. Die Maus ist weder männlich noch weiblich und hat anatomisch nichts mit der normalen Maus zu tun, genauso wenig wie der Elefant, wobei das Größenverhältnis völlig verdreht ist. Mäuse sind im Normalfall wesentlich kleiner als Elefanten. Das ist eine Umdrehung der Verhältnisse, im Zeichentrick kann man so etwas machen.

STANDARD: Im Gegensatz zu Figuren wie der Biene Maja oder Heidi, die im Lauf der Zeit schlanker geworden sind, hat sich das Erscheinungsbild der Maus nicht verändert. Ist das auch ein Garant für den Erfolg?

Maiwald: Die Maus hat sich insofern verändert, als sie früher (bis zum Tod Friedrich Streichs im Jahr 2014, Anm.) mit der Hand auf Folien gezeichnet wurde und mittlerweile auf dem Computer gemacht wird. Wenn Sie eine Figur zeichnen und ein bisschen stärker auf den Stift oder den Tuschezeichner drücken, dann wird der Strich eben dicker. Auf dem Computer sind Striche und Farben immer gleich. Auf der Folie leben die Farben und Flächen. In der ganzen Konzeption der Figur hat sie sich aber nicht geändert.

STANDARD: Das Gehgeräusch der Maus kommt von Kokosnussschalen, das Blinzeln von Kastagnetten, aber die Maus spricht nicht. Bleibt das so?

Maiwald: Das sollte von Anfang an so sein und wird auch so bleiben. Die Maus sollte der stumme Moderator sein, was eigentlich ein Widerspruch in sich ist. Als die Maus ins Leben gerufen wurde, gab es schon genügend Zeichentrickfiguren, die alle gesprochen haben. Die Maus sollte sich davon absetzen, indem sie eben nicht redet, nur im Bild agiert und in jedem ihrer Spots eine kleine Geschichte erzählt – möglichst mit einem pfiffigen Ende. Das ist eines der Erfolgsprinzipien. Die Sprache hat sich verändert, aber wer nicht spricht, kann nicht aus der Mode kommen.

STANDARD: Anfangs gab es Kritik der katholischen Kirche, weil die "Sendung mit der Maus" sonntags am Vormittag lief – parallel zu den Gottesdiensten.

Maiwald: Anfangs hatten wir eine Sendezeit von 9.30 Uhr, und die Befürchtung der Kirche war, dass die Kinder nicht in den Kindergottesdienst gehen, sondern lieber die Maus schauen. Als die Maus dann viel später auf 11.30 Uhr gelegt wurde, gab es andere Proteste, und sie wurde im Ersten wieder verlegt, weil der "Fernsehgarten" auf einem anderen Kanal lief. Es gab immer Argumente, warum die Maus nicht an dem Sendeplatz sein sollte, an dem sie gerade war. Aber im Kika ist die Maus weiter um 11.30 Uhr zu sehen.

Isolde Schmitt-Menzel zeichnete für die Bildergeschichte "Die Maus im Laden" von Autorin Ursula Wölfel die erste orangefarbene Maus. Sie diente als Vorlage für die Maus-Trickfilme. Die Sendung startete 1971 mit dem Titel "Lach- und Sachgeschichten für Fernsehanfänger", unter dem heutigen Namen "Die Sendung mit der Maus" lief das Format erstmals am 23. Jänner 1972. Der Elefant gesellte sich im Jahr 1975 zur Maus, die Ente erst 1987.
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STANDARD: Wo verorten Sie die Maus ideologisch und politisch? Ist sie Atheistin?

Maiwald: Sie ist ideologisch weder links noch rechts noch muslimisch, katholisch, protestantisch oder sonst etwas. Sie ist ideologiefrei, würde ich sagen.

STANDARD: Und es ist wichtig, dass sich das in der Sendung widerspiegelt?

Maiwald: Klar. Wir waren schon in katholischen Kirchen, in evangelischen, in Synagogen und Moscheen. Wenn wir da ideologisch gebremst worden wären, hätten wir das nicht machen können. Wir sind nach allen Seiten frei. Sie ist eine neutrale Zeichentrickfigur, die Dinge machen kann, die nur eine Zeichentrickfigur macht. Sie kann sich den Bauch aufklappen und dort Werkzeuge rausholen, mal ist ein Wecker drinnen, oder sich den Schwanz ausreißen. Das ist ihr Vorteil, und man ist nicht an nichts Geschlechtliches und Anatomisches gebunden.

STANDARD: Mit der Maus ist aber auch das Publikum älter geworden: Im linearen Fernsehen liegt das Alter bei der "Sendung mit der Maus" laut ARD im Schnitt bei Mitte 40. Ist das überhaupt noch Kinderprogramm?

Maiwald: Natürlich. Wir gehen bei jeder Geschichte davon aus, dass das Stammpublikum die Kinder sind, die Kurzen, die noch nicht in der Schule sind oder gerade erst, und die noch keine Vorbildung haben können. Wir fangen bei jeder Geschichte bei null an, wie im Kino: Der Vorhang geht auf, und niemand weiß nichts. Mit dem ersten Bild müssen wir die Geschichte möglichst logisch und in kleinen Schritten aufbauen, sodass sie nicht langweilig, sondern spannend ist.

Armin Maiwald macht immer noch Filmbeiträge für "Die Sendung mit der Maus".
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STANDARD: Sind Kinder das kritischste Publikum?

Maiwald: Ich denke schon, ja, die lassen sich nicht so leicht hinters Licht führen, und wenn sie das Gefühl haben, sie werden auf den Arm genommen, dann schalten sie ab. Kinder sind gnadenloser als die Erwachsenen, denen man ja manchen Mist erzählen kann, und die finden das immer noch toll.

STANDARD: Ist es nur ein Mythos, oder stellen Kinder die Fragen an die Maus stellvertretend für die Erwachsenen und schicken sie?

Maiwald: Ja, das vermuten wir häufig, und das hängt damit zusammen, wie solche Mails und Briefe formuliert sind. Hätte das ein Kind formuliert, würde die Frage etwas anders lauten. Und kann es da nicht sein, dass die Eltern da ihre Kinder manchmal nur vorschicken, weil sie es selbst nicht wissen? Beweisen lässt sich das nicht, aber der Verdacht liegt nahe.

STANDARD: Gibt es wirklich keine dummen Fragen, wie es oft heißt?

Maiwald: Es gibt keine dummen Fragen, sondern nur dumme Antworten. Selbst die Fragen, die scheinbar banal oder dumm sind, da steckt manchmal eine spannende Antwort dahinter. Eine dumme Frage wie "Was wiegt eine Wolke?" ist keine dumme Frage, sondern wir mussten uns da richtig anstrengen, um das Geheimnis zu lösen.

Nick F. van der Linden

STANDARD: Im Falle dieser vermessenen Wolke waren es 25 Tonnen. War das die aufwendigste Geschichte, die Sie recherchiert haben?

Maiwald: Jein. Es gab viele aufwendige Geschichten. Ich habe kein Nachkalkulationsprogramm (lacht). Das war zwar eine, die lange in der Recherche gedauert hatte, weil man überlegen musste, wie man es schafft, eine Wolke zu wiegen. Wir haben das mit mehreren Hubschraubern gemacht, die die Wolke fotografierten, danach haben wir sie vermessen und einfach ein Rechenexperiment gestartet. Die längste Recherche war: Was macht Vitamin C in meinem Körper? Das hat insgesamt dreieinhalb Jahre gedauert, bis wir es präsentieren konnten.

STANDARD: Und das Credo lautet "Recherchieren, bis der Arzt kommt", haben Sie einmal gesagt.

Maiwald: Das gilt bis heute. Wir verlassen uns nicht auf Internetrecherchen, sondern versuchen mit den Expertinnen und Experten zu reden und ihnen Löcher in den Bauch zu fragen – bis der Arzt kommt und die Wunde wieder zunäht. Dann haben wir zwar die Fakten, aber noch keine Geschichte. Dafür kann man auch ins Internet gehen oder ein Lexikon aufschlagen. Wir machen aus diesen Fakten eine Geschichte, eine Reise, bei der wir uns selbst auf unbekanntes Terrain begeben.

STANDARD: Welche Geschichte hat bis jetzt am meisten Staub aufgewirbelt?

Maiwald: Bei einer Sommerreise haben wir einmal eine Moschee besucht, was einen richtigen Shitstorm ausgelöst hat und wir gefragt wurden, wie wir nur in eine Moschee gehen können. Kein Mensch hat sich aufgeregt, als wir eine Synagoge oder eine Kirche besucht haben, aber bei einer Moschee haben sich alle aufgeregt. Es herrscht Religionsfreiheit, und wir leben in einer Demokratie. Es gibt überhaupt keinen Grund, dass wir nicht alles gleichberechtigt ansehen. Ich war vorher auch noch nie in einer Moschee, und ich fand es spannend.

STANDARD: Was war der größte Fauxpas bis jetzt?

Maiwald: Wir haben eine Geschichte gemacht, warum sich das Geschenkband kräuselt, wenn eine Schere daran vorbeigeht. Die Hersteller wussten es nicht, der Handel auch nicht, dann haben wir uns durch etliche Universitäten telefoniert. Irgendwann hat ein Experte gesagt: Das müsst ihr euch so vorstellen. Stellt eine Kerze auf den Tisch, nehmt einen heißen Föhn und blast die Kerze von der einen Seite an. Wo es warm wird, biegt sich die Kerze. So ist es mit dem Geschenkband auch. Wir haben das gemacht und so gesendet.

STANDARD: Das war falsch?

Maiwald: Es gab riesige Proteste, denn es hat nicht gestimmt. Es gab einen Aufstand in der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, die gesagt haben: Das ist falsch. Am Institut für Kunststoffverarbeitung gab es einen Kiosk, wo alle in der Mittagspause nur Geschenkband kauften. Die Professoren haben sich gewundert, dass die Studenten mit der Schere dort saßen, um das Geschenkband zu kräuseln. Eines Tages kam ein emeritierter Professor und sah das Kräuseln. Er hat gesagt: Junge, das ist ganz einfach, das ist Materialverschiebung. Dann haben sie mich angerufen und mir das erzählt. Ich habe gesagt: Ihr könnt mir das nicht erzählen, sondern müsst mir das zeigen. Dann haben sie uns tatsächlich unter dem Rasterelektronenmikroskop gezeigt, dass das so ist. Die Schere verschiebt das Material. Wir haben das natürlich richtiggestellt und gesendet, was wieder einen Aufstand zur Folge hatte.

Nick F. van der Linden

STANDARD: Ein Beitrag zieht so weite Kreise?

Maiwald: Ja, wir haben mittlerweile drei Nobelpreisträger, die sich als Maus-Gucker geoutet haben. Ich habe vor Jahren einen Film darüber gemacht, was an Erdöl so wichtig ist. Das ist gesendet worden, und Jahre später ist im Zug ein Physikprofessor auf mich zugekommen und hat gesagt, dass er den Film im Unterricht für seine Studenten benutzt, weil man das nicht besser erklären kann. Das ist ein schönes Kompliment, wenn Geschichten ihr Eigenleben entwickeln.

STANDARD: Das alles dominierende Thema ist Corona mit vielen Erklärstücken der Maus. Erreichen die Proteste der Verharmloser auch die Redaktion, und wie gehen Sie damit um?

Maiwald: Die müssen mit dem Klammerbeutel gepudert sein. Wenn man weiß, dass dieses Virus weder Grenzen noch Sonne, Regen oder sonst was kennt und von Mensch zu Mensch springen muss, und man nicht einsieht, dass es das Beste ist, keine oder so wenige Kontakte wie möglich zu haben, dann kann man den Leuten, die das nicht begreifen, auch nicht helfen.

STANDARD: Nicht einmal die Maus?

Maiwald: Es gibt Leute, da geht das beste Argument nicht rein. Irgendwann kann man da auch nichts mehr machen.

STANDARD: Wie sieht es bei Ihnen persönlich aus? Haben Sie – wie die Maus – auch noch lange nicht genug?

Maiwald: Jede neue Geschichte stellt mich vor neue Herausforderungen. Es ist nicht langweilig, hält das Gehirn in Gang, und man ist am Puls der Zeit. (Oliver Mark, 5.3.2021)