Großayatollah Ali Sistani empfängt Papst Franziskus im irakischen Najaf.

Foto: AFP/ALI NAJAFI

Ein finster dreinblickender Mann mit schwarzem Turban, für dessen Ansichten über Gesellschaft und Moral das Wort "erzreaktionär" eine schwere Untertreibung ist: Mit diesem 90-jährigen Mullah die gemeinsamen religiösen Wurzeln in Abraham zu beschwören gehört nicht einmal für einen Papst zu den einfachsten Unternehmungen. Franziskus, der am Freitagabend seinen Irak-Besuch beginnt, riskiert es und stattet Großayatollah Ali Sistani in der den Schiiten heiligen Stadt Najaf einen Besuch ab. Das ist "historisch", noch nie hat es ein Treffen zwischen einem römisch-katholischen Pontifex und einem schiitischen Marja’ al-taqlid gegeben.

Marja’ al-taqlid, Quelle der Nachahmung, ist ein Titel, den nur ganz wenige Ayatollahs erreichen und der den Träger, wenn man es auf katholische Verhältnisse übersetzen will, zu einer Art Papst macht: Allerdings wird er nicht von einem Kollegium gewählt, sondern erreicht diesen Status durch den Zulauf an Gläubigen, die ihn als Autorität erachten – und seinen Institutionen Geld spenden. Solche Anhänger hat Sistani weltweit – wobei er durchaus auch von Schiiten und Schiitinnen geschätzt und verehrt wird, die in ihrem täglichen Leben auf seine rigide Morallehre pfeifen.

Sistani, vor 90 Jahren im Iran geboren und vor fast 70 in den Irak gekommen, wird oft als "quietistisch" bezeichnet: Damit soll gemeint sein, dass er sich – ganz im Gegensatz zu den iranischen Mullahs – nicht direkt politisch betätigt.

Seine Distanz zur vom späteren Revolutionsführer Ruhollah Khomeini ersonnenen iranischen Staatsordnung, wo ein "oberster Rechtsgelehrter" die höchste politische Instanz verkörpert, ist bekannt. In Teheran nimmt man das zähneknirschend zur Kenntnis: Sistanis theologisches Profil ist eindeutig höher als das des religiösen Führers des Iran, Ali Khamenei.

Freitagspredigten mit politischen Ansagen

Hochpolitisch ist Sistani, auch wenn er die politische Schia nach iranischem Muster ablehnt, dennoch. Aus seinen Freitagspredigten, die er mittlerweile von Stellvertretern vortragen lässt, kommen auch tagespolitische Ansagen wie etwa Kritik an der Regierung, an Korruption und Misswirtschaft sowie Verständnis für Demonstrationen dagegen. Dann pflegen die Politiker in Bagdad kurz nervös zu werden – und machen danach weiter wie bisher. Auf die schiitischen Milizen, die sich ihre Befehle in Teheran holen und den Irak zum US-iranischen Schlachtfeld zu machen drohen, hat er ebenfalls keinerlei Einfluss. (Gudrun Harrer, 5.3.2021)