Ein Plakat zum Papstbesuch in der Nähe der chaldäisch-katholischen Josephs-Kathedrale in Bagdad. Irakische Sicherheitskräfte sind seit Tagen zur Absicherung im Einsatz. Das Coronavirus ist hingegen nicht mit Waffengewalt in Schach zu halten.

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Die Alitalia-Maschine mit Papst Franziskus an Bord landete zu Mittag in Bagdad.

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Im Gegensatz zu seiner Entourage trug der Papst beim Besuch der Bagdader Kathedrale keinen Mund-Nasen-Schutz.

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Papst Franziskus besucht nicht zum ersten Mal ein islamisches Land: Er war 2014 in der Türkei, gefolgt von Aserbaidschan (2016), Ägypten (2017) sowie Marokko und den Vereinigten Arabischen Emiraten (2019), wo er gemeinsam mit islamischen Führern ein "Dokument der menschlichen Brüderlichkeit" unterschrieb. Und dennoch ist die Papstvisite im Irak, die am Freitag beginnt, in mehrerlei Hinsicht singulär – und nicht nur wegen der prekären Sicherheitssituation und der Corona-Pandemie, die im Irak alles andere als unter Kontrolle ist.

Der Besuch gilt zuerst einmal den Christen und da vor allem einer christlichen Kirche, die mit Rom uniert ist: der chaldäisch-katholischen Kirche, mit dem Patriarchen von Babylon, Kardinal Louis Raphael I. Sako (72) an der Spitze. Im Gebiet des heutigen Irak kam das Christentum bereits im 1. nachchristlichen Jahrhundert an: Es ist also das genaue Gegenteil einer westlich importierten "Kreuzfahrer"-Religion, die laut radikalen Islamisten jeder Couleur – sunnitischen und schiitischen – dort nichts verloren hat.

Zahl der Christen gesunken

Der Bevölkerungsanteil der Christen im Irak ist in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gesunken. Ende der 1950er-Jahre waren es gute drei Prozent, sogar eine Mehrheit von 60 Prozent in ihrem angestammten Siedlungsgebiet, der Ninive-Ebene. Der Exodus begann mit dem Iran-Irak-Krieg 1980, es folgten die harten Sanktionsjahre nach dem Golfkrieg 1991.

Der große Einschnitt war jedoch die US-geführte Invasion im Irak 2003, die die Diktatur Saddam Husseins stürzte, die auf allem, was sich in der Gesellschaft tat, den Deckel draufhielt. Islamistischer Extremismus begann den Christen und anderen religiösen Minderheiten das Leben zur Hölle zu machen. Von etwa 1,5 Millionen Christen und Christinnen 2003 ist die Zahl heute auf weniger als 300.000 gesunken.

Systematische Zerstörung

Ninive gehörte zu den Gebieten, in denen der "Islamische Staat" (IS) ab 2014 besonders wütete. Aus der Stadt Qaraqosh, etwa 30 Kilometer südöstlich von Mossul, flohen damals etwa 50.000 Menschen. Der IS zerstörte systematisch alles, was an das christliche Leben erinnerte. Seit dem Sieg über den IS kehren die Christen langsam wieder zurück. Der Papst wird die wieder erbaute Kathedrale besuchen.

Aber die Narben bleiben, genauso wie in Mossul, wo die Kirchen mit ihren Kreuzen stets zum historischen Stadtpanorama gehörten. Für die Christen ist der Papstbesuch ein äußerst emotionaler Moment – aber durchaus auch für Muslime und Musliminnen, die sich an das Zusammenleben vor dem Ausbruch des Konfessionalismus erinnern. So war es früher nicht selten, dass muslimische Frauen bei ihren Kinderwunsch-Gebeten die christliche Gottesmutter Maria aufsuchten. Kardinal Sako erinnerte bei einem Mediengespräch daran und erzählte von einer muslimischen Frau, die er in der chaldäischen Josephs-Kathedrale in Bagdad – wo der Papst am Samstag eine Messe feiern wird – bei der Madonnen-Grotte angetroffen habe. Sie habe den Papstbesuch, so Sako, als "letzte Hoffnung für den Irak" bezeichnet.

Gespaltene irakische Gesellschaft

Ob sich die Hoffnung auf eine heilende Wirkung auf die gespaltene Gesellschaft erfüllt, ist jedoch fraglich. Extremisten werden den Besuch als Versuch christlicher Wiederaneignung sehen, so sehr der Papst die Brüderlichkeit der abrahamitischen Religionen betonen wird, wozu auch ein interreligiöses Treffen in Ur – dem Stammland Abrahams beziehungsweise, in der islamischen Tradition, Ibrahims – gehört.

Nicht nur Zustimmung erfährt auch der für Samstag programmierte Besuch bei Ayatollah Ali Sistani in der heiligen schiitischen Stadt Najaf. Von sunnitischer Seite – nicht nur im Irak – kommt die Anmerkung, dass der Papst damit einen "Sieger" von 2003 ehre, wohingegen seit damals die Sunniten Opfer einer Mehrheit im Land sind, genauso wie die Christen. Unter Saddam Hussein hingegen waren ja religiöse Schiiten verfolgt.

Beim mächtigsten Ayatollah

Der 90-jährige Großayatollah Ali Sistani ist unter Schiiten weltweit eine der einflussreichsten Figuren; seine religiöse Anhängerschaft – und seine Reputation als religiöser Gelehrter – reichen weit über jene etwa des religiösen Führers des Iran, Ali Khamenei. Sistani hat sich nie mit der iranischen Führung angelegt, aber offen die von Khomeini für den Iran kreierte Staatsordnung für den Irak abgelehnt, die den "obersten Rechtsgelehrten" zur höchsten politischen Autorität macht. Auch in Teheran wird es einige Leute geben, die das Gewicht, das Sistani durch den Papstbesuch gegeben wird, ärgert.

Das Treffen zwischen Papst und vielleicht der mächtigsten schiitischen Autorität ist auf alle Fälle historisch: nicht zu vergleichen etwa mit der staatlich organisierten Konferenz in den Emiraten 2019 von religiösen Führern, wo die Medienwirksamkeit eines der Ziele war. BEi diesem Besuch wird Pontifex den Mullah in seinem Haus inmitten der verwinkelten Gassen der Altstadt von Najaf aufsuchen, in einem bescheidenen Ambiente. Man darf gespannt sein, welche Fotos es vom Papst und vom Großayatollah geben wird. Ein lächelnder Sistani im Handshake mit dem lächelnden Papst: undenkbar.

Vor dem Besuch wurde an einem gemeinsamen Dokument gearbeitet, es dürfte sehr diplomatisch gehalten sein. Dabei empfängt Najaf den Papst mit Plakaten mit einem Ausspruch Sistanis, in dem er die Zugehörigkeit der Christen zum Irak – aber umgekehrt auch den Islam als Teil der Identität aller Iraker – betont: "Ihr seid ein Teil von uns, und wir sind ein Teil von euch. " (Gudrun Harrer, 5.3.2021)