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Im September 2020 nahm der genesene Mattia Maestri wieder an einem Staffellauf für Opfer der Pandemie teil.

Foto: AP Photo/Antonio Calanni

Der heute 39-jährige Mattia Maestri aus dem norditalienischen Codogno südöstlich von Mailand kann sich noch gut an den Sonntagabend Mitte Februar erinnern, "als ich mich plötzlich etwas schwach fühlte und Fieber bekam". Er sei dann in der folgenden Woche, als das Fieber immer weiter anstieg, zum Krankenhaus von Codogno gefahren. Dort sei eine "leichte Lungenentzündung" festgestellt worden. Aufgrund seines noch geringen Alters habe man ihm eine Schachtel Antibiotika in die Hand gedrückt und ihn wieder nach Hause geschickt. Aber das Fieber stieg weiter, und das Atmen wurde mühseliger.

Bei seinem nächsten Besuch im Krankenhaus wurde er aufgenommen und auf die Station für Lungenkrankheiten gebracht. Auf seine Frage, ob er Covid habe, sagte ihm der Stationsarzt, "dass das Coronavirus nicht einmal weiß, wo sich Codogno befindet". Das Virus wütete damals vermeintlich erst in Wuhan, tausende Kilometer entfernt. Doch der Anästhesistin Annalisa Malara kam es merkwürdig vor, dass beim sportlichen Hobby-Marathonläufer Maestri keine der üblichen Therapien eine Besserung bewirkte. Sie machte – entgegen dem Protokoll des Gesundheitsministeriums, das Corona-Tests nur bei Rückkehrern aus China vorsah – bei Maestri einen Rachenabstrich. Um 20 Uhr am 20. Februar 2020 lag das Resultat vor: positiv.

Danach war in Italien – und nach einigen Wochen auch im übrigen Europa – nichts mehr so, wie es zuvor gewesen war. 48 Stunden nach der Bekanntgabe des ersten positiven Testresultats in Italien riegelte die Regierung Codogno und neun weitere Gemeinden in der Gegend sowie den Ort Vo’Euganeo im Veneto vollständig ab: "Zona rossa". Dann ging es Schlag auf Schlag: Am 8. März erklärte der damalige Regierungschef Giuseppe Conte die ganze Lombardei und weitere 14 Provinzen Norditaliens zur Sperrzone – elf Millionen Italiener waren von der Maßnahme betroffen. Einen Tag später war dann das ganze Land eine einzige rote Zone. Italien schaltete auf Katastrophenmodus.

Vater gestorben, Kind auf der Welt

Dem "paziente 1", wie Maestri von den Medien genannt wurde, ging es derweil immer schlechter. Er wurde auf die Intensivstation des Krankenhauses von Pavia gebracht, ins künstliche Koma versetzt und intubiert. Die Ärzte kämpften fast drei Wochen lang um sein Leben. Auch seine hochschwangere Frau kam mit Covid-19 ins Spital. Sie hat kurz nach ihrer Erkrankung Tochter Giulia zur Welt gebracht. Maestris Vater hatte sich ebenfalls mit dem Coronavirus infiziert – er überlebte nicht. Maestri hatte nach der Entlassung aus dem Krankenhaus am 21. März 2020 noch mehrere Wochen gebraucht, um sich von der Krankheit zu erholen. Inzwischen arbeitet er wieder wie früher als Forscher beim internationalen Konzern Unilever. Und er spielt wieder Fußball.

"Ich habe bis heute keine Ahnung, wo und wie ich mich angesteckt habe", sagte Maestri kürzlich in einem Interview. In China sei er in seinem ganzen Leben noch nicht gewesen. Er hatte zwar kurz vor seiner Erkrankung einen Kollegen getroffen, der gerade aus China zurückgekehrt war – in Italien glaubte man bereits, den "Patienten null" ausfindig gemacht zu haben. Doch der vermeintliche Viruseinschlepper wurde negativ auf Covid getestet. Was man damals noch nicht wusste: Das Virus war bereits im November, möglicherweise sogar schon im Oktober 2019 in Italien angekommen – und hatte sich vor allem im Norden unbemerkt und rasend schnell ausgebreitet.

"Endlich wieder ein normales Leben führen"

Maestri kann damit leben, dass immer noch das Etikett "paziente 1" an ihm klebt. "Ich war natürlich nicht die erste infizierte Person in Italien – aber ich war eben der Erste, bei dem das Virus diagnostiziert wurde." Seither sind in Italien drei Millionen Menschen positiv auf das Coronavirus getestet worden, in spätestens einer Woche wird die Zahl der Toten die Schallmauer von 100.000 durchbrochen haben.

Und nach einer Beruhigung im Februar steigen die Fallzahlen derzeit schon wieder bedrohlich. "Paziente 1" sagt, er möchte jetzt "einfach alles vergessen und endlich wieder ein normales Leben führen können". Diesen Wunsch hat nicht nur er. (Dominik Straub, 6.3.2021)