Johanna Dohnal (1939–2010): "Die Frauen haben immer nur das erreicht, was sie sich erkämpft haben!"

Foto: Robert Newald

Frauentag. Gähn. Hatten wir doch schon. Bringt doch nichts. Wahlrecht, Bildung, Führerschein, Pille, sogar Ministerinnen: alles da! Was wollen wir noch? Hören wir doch auf, uns zu beschweren. Raus aus der Opferrolle!

Ja: Nichts ist öder, als immer wieder dieselbe Leier anzukurbeln. Am Frauentag beziehen alle pflichtbewusst Stellung: die Politik, die Medien, die Promis, ein paar tapfere Aktivistinnen. Am 8. 3. wird der Vorhang zur Seite gezogen und losgeleiert: 40 bis 50 Prozent weniger Pension, 19 Prozent Gender-Pay-Gap, rückläufige Tendenz bei Frauen in Führungspositionen, Stillstand beim Gender Equality Index, und immer noch trifft jede fünfte Frau körperliche Gewalt. Ach ja, heuer mal was Neues: Corona wird überall noch ein Schäuferl drauflegen!

Zum Tagesgeschäft zurück

Hinschauen, Achselzucken, und schon ist der Vorhang wieder zu, und wir dürfen zum Tagesgeschäft zurück: in ein Leben, in dem Männer die Politik, die Wirtschaft und die Raumplanung bestimmen. In unsere Jobs, die qua natura schlechter bezahlt sind. Zu unseren Kindern, die bei uns einfach am besten aufgehoben sind. Vor die Bildschirme, in Theater und Museen, in denen Kunst von Frauen "vergessen" wird.

Wir nehmen Medikamente, die nur an Männern getestet wurden, und beten in Gotteshäusern, in denen Männer die Regeln und Frauen den Kaffee machen dürfen. War doch immer schon so! Auch jetzt lassen wir eine Handvoll Männer die Krise orchestrieren und baden die Maßnahmen gern aus. Kinder daheim, Kochen daheim, zweieinhalb Stunden unbezahlte Mehrarbeit pro Tag, Job weg, na und? Passt schon, halten wir aus. Für Widerstand fehlt uns die Lust oder auch nur die Kraft.

Mitgemeint, mitversorgt, mitregiert

"Herr und Frau Österreicher", heißt es gerne, wenn über uns als Volksseele gesprochen wird. Das Bedürfnis, sein Anhängsel zu sein, wurzelt tief. Für Frau Österreicher ist es Norm, mitgemeint zu sein, mitversorgt und mitregiert zu werden. Eigenmächtiges Denken, Fordern, Anschaffen? Besser steht uns Genügsamkeit. Beruflich begnügen wir uns mit Teilzeit, passend zur Mutterpflicht.

In den Konzernen genügen wir als Zuarbeiterinnen und Sekretärinnen. Als Systemrelevante an den Supermarktkassen und Spitalbetten werden wir mit kleinen Dankesprämien abgespeist. In den aktuellen Ministerien genügen wir, so man uns zu Wort kommen lässt, als Sprechpuppen.

Für die viele unbezahlte Arbeit in der Kinder- und Altenpflege reicht uns ein Applaus oder etwas Selbstgebasteltes und im Alter die Mindestpension. Wie wenig wir zu unserem Glück brauchen, wissen die von uns gewählten Parteien nur zu gut. Von ihnen bekommen wir, was wir verdienen: frauenpolitischen Stillstand seit Dohnal.

Stillstand seit Dohnal

Frau Österreicher wählt halt so: ein bisschen mehr grün und weniger blau, sonst aber nicht viel anders als Herr Österreicher. Da darf eine Frauenministerin Raab den Feminismus ablehnen oder sich gemeinsam mit der (Ex-)Arbeitsministerin ungeniert reaktionär-katholischen Extremisten anbiedern, da kann ein FPÖ-Präsidentschaftskandidat noch so von entthronten Familienoberhäuptern und ihren nach Brutpflege lechzenden Frauen halluzinieren: 47 Prozent der Wählerinnen machten 2019 brav ihr Kreuzerl bei der blau- (11 %) -schwarzen (36 %) Truppe.

Warum trifft eine solch altbackene Frauenpolitik den Nerv von Frau Österreicher? Ist es traditionelle Gewohnheit? Ist es der Wunsch nach kirchlicher Einmischung in die Politik? Erinnert sie sich nicht daran, wie es früher war? Weiß sie es etwa nicht?

Wem sie das ganz normal und fad gewordene Paradies (Wahlrecht, Selbstbestimmung über den eigenen Körper, Bildung etc.) zu verdanken hat? Dass es nicht die Männer, die Geistlichen oder Rechten waren, sondern die unsäglichen Emanzen, die sich für unsere ganz banalen Grundrechte die Köpfe blutig geschlagen haben?

Mit Ausnahme der Ära Kreisky und ein paar rot-blauen Ausrutschern stellt die ÖVP seit 1945 den Kanzler oder den Koalitionspartner und sabotiert seitdem soziale Gerechtigkeit und feministischen Fortschritt; und von den feuchten Alphamännchen-Fantasien einer FPÖ wollen wir gar nicht reden.

Gefährliche Wissenslücken

Das Sündenregister des rechtskonservativen Flügels kennen, persönlich nehmen, misstrauisch werden? Fehlanzeige! Wer Frau Österreicher frauenpolitisch abklopft, bekommt es mit gefährlichen Wissenslücken zu tun – und/oder mit grenzenloser Härte gegenüber den eigenen Geschlechtsgenossinnen.

Wie groß ist ihr Mitleid mit den armen Männern und wie verschwindend die Empathie für Frauen in Situationen, in die sie selbst erstaunlich schnell gelangen könnte. Gender-Pay-Gap? Lass mich mit diesem Genderdings in Ruh’! Männer gehen nicht in Karenz? Mir recht, ist eh wider die Natur! Altersarmut? Bin doch versorgt! Alleinerzieherin? Selber schuld! Sexuelle Gewalt? Passiert mir nicht, selber schuld! Sexuelle Belästigung? Luxusproblem, wo bleibt die Romantik! Abtreibung? Sünde, passiert mir nicht, selber schuld!

Das Verleugnen der ungelösten frauenspezifischen Probleme sitzt bombenfest; zumindest so lange, bis es eine selbst trifft.

Ideologische Gräben

Es gab sie einmal, die frauenpolitische Bewegung, die erfolgreich an einem Strang zog. Es gibt sie, die großartigen Aktivistinnen, Journalistinnen, Museumsdirektorinnen und Medizinerinnen, die an den Rädchen drehen – aber selten im Kollektiv. Seit den Achtzigerjahren finden sich eher Autofahrer, EU-Gegner und Männer (sic!) zu Parteien zusammen, als dass Frauen im großen Stil politisch kooperieren würden.

Dass die zahlenmäßig größte gesellschaftliche Gruppierung keine autochthone politische Partei zustande bringt und brachte, ist so bezeichnend wie frustrierend. So groß kann die Schnittmenge der gemeinsamen Interessen gar nicht sein – die ideologischen Gräben zwischen den einzelnen Frauenfraktionen sind größer.

Als Ausnahme sticht da das Frauenvolksbegehren 1997 heraus, das immerhin mit 650.000 Unterschriften und der Umsetzung von zwei (von elf) Forderungen zu Buche schlug. Dass das zweite Frauenvolksbegehren 2018 16.000 Stimmen weniger einfuhr und im Nationalrat abgewürgt wurde, passt zum Wurschtigkeitstrend. Quoten, Umverteilungen, Rechte für Migrantinnen, Gratisverhütung: Das war Frau Österreicher dann doch zu radikal. Sicher hat sie andere Sorgen.

Welle des Feminismus verschlafen

Der Feminismus verabsäumt nicht erst seit kurzem, Frau Österreicher dort "abzuholen", wo sie in den 80ern ausgestiegen ist. Vielleicht ist sie so mit dem Privaten beschäftigt, dass sie sich nicht politisieren konnte. Vielleicht hat sie schon die zweite Welle des Feminismus verschlafen; bestimmt aber die dritte. Vielleicht sind ihr Frauen als Leitfiguren unheimlich? Oder ihr ist das Gendersternchen so wurscht, wie die Lohnschere offen ist, und nach einem langen Tag zwischen praktischer Erwerbsarbeit, Hausarbeit und Kinderbetreuung sind ihr theoretische Genderdebatten zu abgehoben?

Vom feministischen Diskurs wird sie sowieso zum heteronormativen Saurier gestempelt, der doch schon ausgestorben ist! Am Wahltag taucht Frau Österreicher aber aus dem präfeministischen Ursumpf auf und macht ihr Kreuzerl dort, wo es für sie in die 50er-Jahre zurückgeht.

Trotz aller Ungerechtigkeiten fühlt sie sich bei den guten, alten Patriarchen besser aufgehoben als bei der politischen Konkurrenz, die eine gerechtere Frauenpolitik anböte. Irgendwas an diesen Türe-Aufhaltern und Mädels-Beschützern ist überzeugender!

Manifestierte Ungerechtigkeiten

Diese 47 Prozent stehen quasisolidarisch auf der Bremse; ohne sie wird sich an den wichtigen Angelpunkten nichts bewegen. Von einem solchen Zusammenhalt können Feministinnen untereinander nur träumen. Rot, Grün und Pink müssen sich fragen, was an einer modernen Frauenpolitik so abschreckend ist. Und der Rest von uns, warum es eine Piratenpartei und Bierpartei gibt, aber keine Frauenpartei.

Wenn der Frauentag nur dazu da ist, manifestierte Ungerechtigkeiten abzunicken, können wir ihn gleich Eh-wurscht-Tag nennen. Und uns dafür, dass wir uns nicht auflehnen, mit Blumen und Rabatten überhäufen lassen. Stopfen wir uns mit Pralinen voll, schenken wir den Prosecco nach und knallen uns Hollywood in die Birne. Spätestens wenn die blutjunge Schauspielerin den würdevoll vergreisten Helden anschmachtet, sind wir wieder in der Realität eingenordet. Morgen ist eh wieder Männertag! (Gertraud Klemm, ALBUM, 6.3.2021)