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Mehrere Wogen feministischer Rebellion sind in die Lande gezogen, die eines gemeinsam haben: Ihre Aktivistinnen wurden mit männlicher Herablassung zur Seite geschoben.

Foto: Picturedesk.com / AFP / Lluis Gene

Suffragette, Blaustrumpf, alte Jungfer, Xanthippe, Emanze, Karrierefrau, Tussi, Schlampe: An den männlichen Schmähworten zur weiblichen Selbstermächtigung lässt sich schon die emanzipatorische Entwicklung ablesen. Mehrere Wogen feministischer Rebellion sind in die Lande gezogen, die eines gemeinsam haben: Ihre Aktivistinnen wurden mit aller verfügbaren männlichen Herablassung zur Seite geschoben.

Längst geht es nicht mehr um Gleichheit vor dem Gesetz, Wahlrecht, Zugang zu Bildung und Erwerbsarbeit wie im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, und auch nicht mehr um Selbstbestimmung ("Mein Körper gehört mir") wie in den aufmüpfigen 1970er-Jahren. Es wurde einiges erreicht.

So erlebt man zumindest in gebildeten urbanen Milieus eine ganz selbstverständliche Emanzipation der jungen Generation, auch der jungen Männer. So viele sind durch Scheidungen nur oder hauptsächlich von Müttern erzogen worden, konnten eine Sozialisierung durchlaufen, die Geschlechtergerechtigkeit hochhält, Männlichkeitsgetue ist ihnen so fremd wie verbale oder physische Übergriffe.

Offenes Reden über Körperflüssigkeiten, Pornografiekonsum und Menstruationsbeschwerden unter jungen Leuten und in digitalen Netzwerken mag allerdings darüber hinwegtäuschen, dass geschlechterstereotype Diskriminierungen nicht in allen gesellschaftlichen Gruppen gleich erfahren werden.

Inzwischen besteht die Mühsal nicht mehr nur darin, Terrain zu erkämpfen, sondern auch darin, Rückschläge abzuwehren. Die gegensätzlichen Spielarten des Postfeminismus, des Antifeminismus und die dritte Frauenbewegung (etwa ab Mitte der 1990er-Jahre) existieren gleichzeitig, widersprechen einander und sabotieren einander.

Unbehagen der Geschlechter

Zweigeschlechtlichkeit ist längst ersetzt durch Vielgeschlechtlichkeit, im Gefolge von Judith Butler (Das Unbehagen der Geschlechter, 1991) sind Geschlechtsidentitäten fluide, zahlreich und performativ hergestellt durch Nachahmung und Wiederholung, diskursiv konstruiert und jedenfalls weder naturgegeben noch unumgänglich. Feminismus hat sich dementsprechend erübrigt – wenn es keine Frauen mehr gibt, braucht man auch nicht für ihre Rechte zu kämpfen.

Aber Postfeminismus kann ja alles Mögliche bedeuten. So wird die emanzipatorische Ermächtigung der 1970er-Jahre teils abgelehnt, teils ignoriert, aus vielen Gründen, weil sie zu weiß, Mittelschicht und heteronormativ sei, weil der (Opfer-)Feminismus jener Tage humorbefreit in Schlabberhosen und Birkenstock noch den unschuldigsten Mann als Verbrecher an den Pranger stelle und weil er – frustriert, verbittert und verbissen – Frauen stigmatisiere, die Freude haben an Selbstdarstellung und Konsum, Schminke, Mode und Sexualität, besonders Heterosexualität und Pornografie.

Die Nachfahrinnen also wollen nicht mehr die hässliche, männerverachtende Emanze sein, lieber stattdessen die sexy Girlie-Version des Frau-Seins durch unbequemes Outfit betonen, kurze Röcke, hohe Absätze, tiefe Ausschnitte, Selbstinszenierung als Objekt des Begehrens, zeitweise Sexarbeit, warum nicht? Für "easy money".

Die Freiheit, dem Mann zu gefallen

Sie pflegen das, was ihre kämpferischen Großmütter und Mütter verächtlich Weibchenschema genannt hätten, perfektionieren ihr Selbstbild in einer Überbetonung des Körpers, der als Projekt verstanden wird, dessen Ästhetisierung aber nicht aufgrund von gesellschaftlichem Druck erfolge, sondern aus Vergnügen und Freude.

Gegenreaktionen fordern sie gern heraus, Tussi-Beschimpfungen sind auch nur eine Anerkennung, Slut-Shaming (Die Schlampe soll sich schämen!) und Victim-Blaming (Das Opfer ist selbst schuld) bloß neidische Reaktionen jener, die nicht mitkönnen.

Dazu durchaus im Widerspruch gedeiht, medial vermittelt, der Alpha-Mädchen-Frauen-Mythos, auch Bobofeminismus, später Hipsterfeminismus, mit hübschem, aber nicht provokantem und intellektuellerem Auftreten, ehrgeizig, zielstrebig und fleißig.

Über männliche Mikroaggressionen wie anzügliche Bemerkungen und unerwünschte Anmache wird entspannt hinweggegangen, ebenso über sexualisierte Komplimente und Belehrungen von oben herab (Mansplaining) – als zickig möchten diese Frauen unter gar keinen Umständen verschrien sein.

Eine andere feminine Realisierung glorifiziert eine erwachsene Version des Girlies, beruflich erfolgreich, glückliche Familie, wohlerzogene Kinder, makelloses Aussehen und dabei nichts als weiblich, aber nur nicht feministisch, in gänzlichem Leugnen oder Ignorieren der Leistungen der Vorgängergenerationen, ohne die sie weder Ausbildung noch Berufschancen hätten.

Freiheit ist – schon wieder – die Freiheit, dem Manne zu gefallen, eine konservative Gesinnung, ein neues Biedermeier breitet sich aus, überholt geglaubte Geschlechtermuster feiern Wiederauferstehung im bekannten Insta-Weibchenbild, das die angepassten Werbeträgerinnen, vulgo Influencerinnen, freiwillig und für Geld im Interesse marktliberaler Ökonomien pflegen.

Inszenierte Weiblichkeit

Solch coole Typinnen, die blendend aussehen, alles meistern, die Verehrer liegen ihnen zu Füßen, es gibt sie zuhauf in der Populärkultur, sie touren durch Filme und Serien (Vorstadtweiber), Comics und Werbung. Medienprodukte werfen ihre Schatten in die realen Welten, die Protagonistinnen und die sie verkörpernden Schauspielerinnen wirken als Idole.

Im Postfeminismus, auch Pseudofeminismus, wird Feminismus beliebig, verkehrt sich umstandslos auch in einen Antifeminismus und in Frauenfeindlichkeit, indem er ungeniert einen ideologischen Rückschlag provoziert. Die dritte Welle der Frauenbewegung wird einerseits als Reaktion auf den Postfeminismus gefeiert, zugleich aber auch als dessen Synonym verstanden.

Eine Periodisierung scheint wegen parallel verlaufender Entwicklungen nicht möglich, die widersprüchlichen und einander entgegenwirkenden Strömungen entziehen sich einer Kategorisierung. Theoretische Begriffsarbeit täte not, sie wird an den Universitäten zwar geleistet, findet ihren Weg aber nicht in die Medien und in die Köpfe einer breiten Öffentlichkeit.

All diese inszenierten Weiblichkeiten, die einander widersprechen und ineinanderfließen, verkehren das eigentlich Frauenfeindliche in Selbstermächtigung – scheinbar. Denn die "postfeministische Maskerade" (Angela McRobbie), segnet bloß die hierarchisierte Geschlechterordnung ab – erneut ein Triumph des Patriarchats.

Verklemmte Männlichkeit

Bei McRobbie, britische Kommunikationswissenschafterin (Top Girls, 2010), hat diese Inszenierung weiblichen Handelns viel zu tun mit neoliberaler Selbstoptimierung auf allen Ebenen, Disziplinierung, Sport, Leistung. Und wenn es schiefgeht: aufstehen, abputzen, lächeln.

Im zurückgebauten Sozialstaat wird das weibliche Humankapital fit gemacht für die Arbeitsmärkte, Körperkontrolle, Gewichtskontrolle, Kontrolle in digitalen Netzwerken, Kontrolle durch Apps und durch Blickregime, denen sich die Protagonistinnen freiwillig ausliefern, weil sie auffallen und gefallen möchten, und Erfolgreich-Sein.

Nach Jahrzehnten feministischer Sisyphusarbeit sind die vergeschlechtlichten Machtdynamiken verfeinert, und sie sind tückischer geworden. Weibliches Handeln wird vordergründig nicht bestimmt von männlichem Willen, sondern von Spaß am Konsum. Was scheinbar selbstbestimmt ist, gehorcht tatsächlich profitorientierten Interessen.

Nicht Männer sind geschlechtsblind, ganz im Gegenteil, sondern die Konsumentinnen sind machtblind und ignorieren die subtilen Machenschaften jener, die hinter den Glitzerfassaden der Einkaufstempel die Fäden ziehen. Aldous Huxleys Schöne neue Welt (1932) beherbergt Menschen ohne Bedürfnis nach kritischem Denken und politischer Freiheit, da ihre Wünsche nach Konsum, Sex und Drogen erfüllt sind.

"Pence-Effekt"

Dazu passt eigentlich gut #MeToo, ursprünglich ein Aufschrei gegen Machogehabe, sexualisierte Gewalt und das männliche Ausnützen von Machtpositionen. Aber auch dieser Schuss ging nach hinten los, spätestens seit der amerikanische Vizepräsident Mike Pence, ein Republikaner natürlich, weinerlich wehklagte, er traue sich nicht mehr allein mit einer Frau, außer seiner eigenen, die er "Mutter" nennen soll, öffentlich zu dinieren.

Dafür bestraft ihn die Zukunft, denn der "Pence-Effekt" ist nicht mehr als eine Fußnote in der Feminismusgeschichte. Aber nun schlägt eine verklemmte Männlichkeit zurück, ängstliche, mittelalte Konservative lamentieren: Man darf ja nichts mehr sagen, alles ist gleich sexistisch. Frustriert, sind sie nun selbst zu feige für Übergriffe, aus Angst vor Beschuldigungen und Denunziationen, vor dem, was eine Säuberungswelle sei mit politisch rechtem Touch.

Ein Rückschlag nach dem anderen also für Gleichstellung und Gerechtigkeit. Das emanzipatorische Element vertritt derzeit eine Transgender-Bewegung, die im Kampf gegen die Asymmetrien der Geschlechter weltweit für deren juristische Abschaffung eintritt. Die Identitäten – männlich, weiblich, nichtbinär – sollen vom Körper abgekoppelt werden, den Wechsel soll ein einfacher Sprechakt ermöglichen.

Marktmacht

Und nun diese Linda Scott, ebenfalls Britin, mit ihrem Buch Das weibliche Kapital (2020), das sehr kontrovers diskutiert wird, weil es Kapitalismus und Neoliberalismus nicht infrage stellt. Ihr Rezept einer feministischen Ökonomie: Frauen sollen nicht mit Argumenten um Gleichstellung kämpfen, sondern als Konsumentinnen durch Verweigerung, und zwar von Einkaufen. Wenn sie weniger Verbraucherausgaben tätigen, werde sich ihre Marktmacht schnell zeigen – eine effiziente Attacke auf männliche Dominanz.

So etwas gab es doch schon einmal, in Aristophanes’ Komödie Lysistrata (411 v. Chr.): Darin verweigern die griechischen Frauen die ehelichen Rechte und Pflichten und zwingen so die Männer zum Friedensschluss und zur Beendigung des Peloponnesischen Krieges. Jetzt also nicht Sexstreik, sondern Konsumstreik: Dass die diversen feministischen Strömungen in zweieinhalb Jahrtausenden ihre Methoden noch nicht wirklich optimieren konnten, ist ein bisschen entmutigend. (Ingrid Thurner, ALBUM, 6.3.2021)