"Spelunky" gehört zusammen mit seiner Fortsetzung zu den bekanntesten Vertretern des Genres.

Foto: Mossmouth

Als ich dieses Spiel 1989 das erste Mal in die Finger bekommen habe, wusste ich vieles nicht darüber. Dass es damals schon fast ein Jahrzehnt alt war, zum Beispiel. Dass die raubkopierte Version, die ich auf Diskette in meinen Amiga 500 schob, ein kommerzieller Misserfolg gewesen war. Dass dieses Spiel im Original nicht einmal die mickrige Grafik hatte, die ich dort sehen konnte, sondern nur aus Buchstaben und Zeichen seine Welt darstellte. Ich wusste ziemlich wenig über Rogue, außer dass es mich vom ersten Moment an faszinierte.

Was ich damals auch nicht wusste, aber auch nicht wissen konnte: dass diese Faszination über vier Jahrzehnte nach der Entstehung dieses Spiels anhalten sollte. Und dass sie dann von Millionen Spielerinnen und Spielern geteilt werden würde.

Das Original-Rogue wurde 1980 von Michael Toy, Glenn Wichman und Ken Arnold für die riesigen Unix-Mainframes an der Universität Berkeley programmiert. Das kostenlose Public-Domain-Rollenspiel stellte mit ASCII-Zeichen eine Fantasy-Unterwelt dar, durch die man rundenbasiert seinen Charakter steuerte, der durch ein Smiley symbolisiert wurde.

Foto: Michael Toy

Monster töten, Schätze finden, im Level aufsteigen: Eigentlich bot Rogue auf den ersten Blick nichts Außergewöhnliches. Seine Besonderheiten zeigten sich erst beim wiederholten Spielen: Nach jedem Tod ging es zurück ganz an den Start – nur dass die Welt diesmal anders aussah. Die Monster waren woanders, die Räume ebenso, und auch die Schätze fanden sich nicht am selben Ort. So war jeder Versuch ein ganz eigenes Abenteuer.

Das "Rogue"-Patentrezept

Das Konzept verbreitete sich schnell und brachte schon von Anbeginn in den 80er-Jahren jede Menge Nachahmer und Epigonen hervor. NetHack, Moria, Angband, ADOM, Dungeon Crawl, ToME: Die Liste der frühen und späteren Erben ist lang. Mangels eines speziellen Begriffs nannte man diese Spiele "Rogue-likes", also "Spiele wie Rogue" – und wie das mit Provisorien so ist, hat sich dieser Behelfsname durchgesetzt.

Was ein Rogue-like ausmacht, ist in Grundzügen schnell erklärt: Zufallsgenerierung sorgt dafür, dass jeder Spielstart eine neue Herausforderung bietet. "Permadeath" heißt, dass der Tod ganz an den Anfang zurückwirft. Und durch das Ineinandergreifen von rollenspieltypischen Systemen wie Ausrüstungsgegenständen, Skills und Stärkerwerden der Spielfigur ergibt sich der typische Abwechslungsreichtum, der dafür sorgt, dass auch der x-te Neustart spannend ist. Wer es ganz genau haben will, macht sich in der 2008 auf einer Spezialistenkonferenz festgehaltenen "Berliner Interpretation" zum Subgenre schlau.

"NetHack" ist 1987 erschienen und ist der Nachfolger von "Hack".
Foto: Nethack

Eine lebendige Subkultur

Eine Zeitlang waren Rogue und seine direkten Erben höchst beliebt bei jener kleinen Zahl an Menschen, die Zugang zu den sündteuren Rechnertürmen hatten, auf denen sie liefen, dann wurde dem lebenden Games-Fossil die bunte Konkurrenz auf ersten Konsolen- und Heimcomputergenerationen zum Verhängnis. Die kommerzielle Version, die mir den Einstieg in diese Welt gezeigt hatte, war kein Verkaufserfolg, sondern ein veritabler Flop.

Jahrzehntelang blühte dafür im Verborgenen eine Subkultur von eingeschworenen Rogue-like-Fans und -Machern, die Rogue und seinem Erbe die Treue hielten. Public-Domain- oder Open-Source-Entwicklung blieb ebenso wie ASCII-Grafik lange sowohl Tradition wie auch die sparsamste Lösung für Spiele, die sich dafür in Sachen Komplexität zu gewaltigen und vom Rest der Branche selten erklommenen Höhen aufschwangen. Wer das nicht glaubt, kann einen Blick auf Klassiker wie NetHack – "the greatest game you will ever play" – oder das Komplexitätsmonster Dwarf Fortress werfen. Klassische Rogue-likes mögen nach wie vor nur hartgesottene Spezialisten ansprechen, die auf Grafik keinen Wert legen – in Zeiten totaler Vernetzung globaler Fan-Communitys genügt deren Masse aber sogar für die inzwischen auch kommerzielle Wiederauferstehung und Weiterführung großer Klassiker wie etwa Adom.

"Adom" ist 1994 erschienen und wird bis heute weiterentwickelt.
Foto: Thomas Biskup

Wiedergeburt im Geiste von Indie

Eigentlich standen schon das Original-Diablo und der Aufstieg des gesamten Action-Rollenspiel-Genres mehr oder weniger in der direkten Nachfolge von Rogue, doch der Grund, warum Rogue-likes im Jahr 2021 in aller Munde sind, ist ein anderer. Daran ist Derek Yu schuld: Der US-Indie-Entwickler hat 2008 mit seinem zuerst kostenlos und halbfrei veröffentlichten Spelunky das Kunststück geschafft, die Seele von Rogue ins Genre der Plattformer zu transferieren. Als pixeliges Indiana-Jones-Lookalike brach man hier in bester 2D-Jump-'n'-Run-Manier in immer neu generierte Tempelruinen auf. Auch Permadeath und Abwechslungsreichtum hatte Yu aus der Welt der rundenbasierten Rollenspiel-Fossilien mitgenommen.

Der Beweis war erbracht: Das Rogue-like-Rezept ließ sich auf andere, fast beliebige Spielegenres übertragen. Ein neues, leider noch undurchsichtiger benamstes Subgenre war geboren – das Rogue-like-like. Um Verwirrung zu vermeiden, pochen vor allem Puristen darauf, dass man es hier nicht mehr mit "echten" Rogue-likes zu tun habe. Für diese Spiele in der entfernteren Nachfolge hat sich der kürzere Begriff "Rogue-lite" leider noch nicht ganz durchgesetzt; die Spiele selbst hingegen schon. Spiele wie The Binding of Isaac, Rogue Legacy, FTL, Crypt of the Necrodancer, Nuclear Throne, Darkest Dungeons und unzählige andere Genrekollegen sind untrennbar mit dem Aufstieg von Indie-Games zur bedeutenden Alternative in der Games-Industrie verbunden.

Spätestens mit perfekt produzierten Indie-Bestsellern wie Dead Cells und Hades haben sich diese modernen Rogue-likes auch im Mainstream eingefunden und ein Millionenpublikum erreicht. Letzteres Spiel, ein Action-Rogue-lite im Setting der griechischen Mythologie, gilt vielen Spielerinnen und Spielern als eines der besten Games des letzten Jahres, das völlig zu Recht auch bei großen Branchen-Awards mit Preisen überhäuft wurde.

"Hades" hat 2020 zahlreiche Preise abgeräumt.
Foto: Supergiant Game

Gekommen, um zu bleiben

Ein Spielprinzip wie Rogue, das sich mit Evolutionen und Abwandlungen, aber immer noch charakteristisch 40 Jahre lang in einer von rasantem Wandel getriebenen Welt wie jener der Videospiele hält, ist nicht nur wegen seiner offenkundigen Unverwüstlichkeit etwas Besonderes; sein Kern liegt im Reiz des Zufalls, in einer gewissen Härte und einer endlosen Wiederspielbarkeit.

Das hätten sich die Macher von Rogue, Michael Toy, Glenn Wichman und Ken Arnold, allesamt heute in ihren Sechzigern, wohl auch nicht träumen lassen: dass ihr Spiel und sein Erbe sie nicht nur über Jahrzehnte begleiten, sondern sich zu einem derart triumphalen zweiten Frühling in einer völlig veränderten Games-Welt aufschwingen würde. Der Stolz darauf – und die Zeit, die alle Wunden heilt – wird die Enttäuschung über den kommerziellen Misserfolg des Originals damals, Mitte der 80er-Jahre, wohl schon abgeschwächt haben.

Im Steam-Store ist das Spiel "Rogue" heute zu finden.
Foto: Valve

Übrigens: Exakt diese Version von Rogue – ja, genau, die erste, sich nur mäßig verkaufende kommerzielle Version des Spiels, die ich 1989 als raubkopierte 3,5-Zoll-Diskette das erste Mal in meinen Amiga 500 schob – ist seit Oktober 2020 endlich auch auf der größten Download-Plattform Steam erhältlich. Dort habe ich sie, wie andere Nostalgiker und Puristen, um 2,39 Euro mit 32 Jahren Verspätung spät, aber doch ganz legal gekauft.

Kategorisiert ist das Spiel dort übrigens als "Rogue-like". Der Permadeath – Rogue selbst ist ihm entkommen. (Rainer Sigl, 6.3.2021)