Auf dem Weg in den Ausschuss.

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Natürlich gilt auch im Deutschen Bundestag Maskenpflicht. Doch wer im Untersuchungsausschuss als Zeuge aussagt, kann den Mund-Nasen-Schutz beim Sprechen abnehmen. Julian H. möchte das nicht tun. "In Anbetracht der Medienvertreter lasse ich sie lieber auf", sagt er.

Seine Anreise hat nicht lange gedauert. Seit Dezember 2020 sitzt der Drahtzieher des Ibiza-Videos in der Untersuchungshaft in Berlin-Moabit, nur rund einen Kilometer vom Bundestag entfernt. Dort wartet er auf seine Auslieferung nach Österreich, die er eigentlich gern verhindern möchte.

An diesem Freitag wird er als Zeuge im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags gehört. Dieser müht sich herauszufinden, wo die staatliche Kontrolle beim einstigen, von den Österreichern Markus Braun und Jan Marsalek geführten Dax-Liebling versagt hat. Für den Ausschuss ist H. eine Besonderheit. Normalerweise lädt das Gremium jene Zeugen, die es hören möchte. H. hat seine Aussage selbst angeboten.

Schnittmengen zu Wirecard

"Warum haben Sie sich an uns gewandt?", fragt der Grünen-Abgeordnete Danyal Bayaz. "Ich hatte das Gefühl, ein bisschen was beitragen zu können", antwortet H. Er trägt ein blaues Sakko, ein olivgrünes Shirt. Neben ihm sitzt sein Berliner Anwalt, Johannes Eisenberg. Seiner Ansicht nach, sagt H., könnte "die Rolle der Republik Österreich falsch eingeschätzt werden". Es gebe nämlich "deutliche Schnittmengen zu Wirecard".

Diesen Verdacht hat so mancher Abgeordneter auch. Doch es ist nicht so leicht, an österreichische Zeugen zu kommen. Sie müssen nicht in einem deutschen Ausschuss aussagen. H. macht es freiwillig. Also hat man ihn eingeladen, und er antwortet bereitwillig, spricht freundlich und selbstsicher.

Und wo ist nun die Verbindung zwischen Ibiza und Wirecard? Irgendjemand habe ihm gesteckt, berichtet H., dass die Detektei PRM "wohl auch für Wirecard aktiv sei". Und diese habe ja auch im Auftrag von Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache im Ibiza-Fall recherchiert.

Mit Marsalek im Club

Markus Braun, sagt H., habe er nie kennengelernt. Jan Marsalek mal in einem Club, ohne aber zu wissen, wer er sei. Er vermute aber, dass der frühere FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus Marsalek kenne. Denn er habe ihm mal von einem "interessanten Typen" namens Jan erzählt (Gudenus bestreitet das, Anm.).

Über Marsalek hat H. noch mehr zu berichten. Er soll sich beim ehemaligen Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) dafür starkgemacht haben, dass der ehemalige deutsche Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche "Einfluss auf die Neustrukturierung" des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) bekomme. "Vielleicht wollte Marsalek selbst Einfluss auf das BVT haben", mutmaßt H. Oder: "Kickl wollte sich jemandes bedienen, der sich rühmte, geniale Kontakte zu haben."

Auffällige Häufung

H. rät den Abgeordneten auch noch, sich die österreichisch-russische Freundschaftsgesellschaft anzuschauen. Die Häufung von Leuten, die Bezug zu Wirecard hätten und dort auch aktiv seien, sei "auffällig". Aber das Gremium sei eben "ein Einfallstor für russische Interessen" in Österreich. In Österreich, so H., sei es "halt offenbar möglich", einen gewissen Einfluss auf die Politik zu nehmen.

Viele Fragen allerdings kann H. nicht beantworten. "Ist Ihnen eine Tätigkeit Jan Marsaleks für Nachrichtendienste bekannt?", wird er gefragt. Seine Antwort: "Nur von Medien, nicht aus direkter Quelle." Manches kennt er vom Hörensagen, anderes hat er in Medien gelesen.

Weiteres Material nicht ausgeschlossen

"Wissen Sie, ob es noch weiteres verfängliches Material über österreichische Politiker gibt?", will der SPD-Abgeordnete Jens Zimmermann wissen. H. will das nicht beantworten.
"Existieren weitere Videos?", fragt Zimmermann nach. Kurzer Blick- und Wortwechsel mit seinem Anwalt. H. möchte auch diese Frage nicht beantworten.

"Die Aussage von Julian H. hat den Eindruck der seltsamen österreichisch-russischen Verbindungen Jan Marsaleks verfestigt", bilanziert Grünen-Abgeordneter Bayaz nach dessen Auftritt. FDP-Mann Toncar meint: "Aufschlussreich ist die Darstellung, dass sich Herr Marsalek bei Herrn Kickl für das Engagement von Klaus-Dieter Fritsche ausgesprochen haben soll. Das würde auf diese Tätigkeit nochmal ein anderes Licht werfen. Allerdings werden wir diesen Hinweis natürlich gründlich verifizieren, ehe wir eine solche Information als erwiesen ansehen. Natürlich leidet die Aussage darunter, dass viele Quellen nicht konkret offenbart werden konnten. Das war aber absehbar."

Es gab anschließend noch eine zweite, nicht öffentliche Sitzung. In dieser habe H. dann tiefe Einblicke in die Verstrickungen des Wirecard-Managements mit FPÖ und ÖVP gegeben. Das berichtete die SPD-Abgeordnete Cansel Kiziltepe. Sie plädiert nun dafür, die geplante Auslieferung des 40-Jährigen nach Österreich noch einmal zu überdenken. Das Berliner Kammergericht hatte vor ein paar Tagen entschieden, dass eine Auslieferung zulässig sei. H. war im Dezember in Berlin festgenommen worden. (Brigit Baumann aus Berlin, 5.3.2021)