In der Pandemie greifen viele wieder nach den Sternen.

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Jeden Morgen, noch vor dem Frühstück, verbindet Katharina ihr Handy mit ihrem Bluetooth-Lautsprecher, um in den Tag zu starten. Aber durch ihre WG-Küche hallen nicht motivierende Beats, die den letzten Rest Schlaf abschütteln sollen, sondern sphärische Musik, über die eine Frauenstimme Sätze spricht wie: "Mars wechselt in der kommenden Nacht in dein Zeichen." Die 24-jährige Studentin hört jeden Morgen Dein Tag, einen Podcast, der täglich in zwölffacher Ausführung auf Spotify erscheint – mit jeweils einer Episode pro Sternzeichen.

Mehr Ritual als Glauben

Katharina ist nicht allein: Seit Monaten boomen Astrologie und Horoskope, vor allem bei jungen Menschen. Die Instagram-Feeds sind voll mit astrologischen Anspielungen, neben dezidierten "Astrofluencern" beschweren sich auch Celebritys in den sozialen Medien über ungünstige Sternenkonstellationen, erzählen von Erfahrungen mit romantischen Steinböcken, nervigen Skorpionen oder eifersüchtigen Krebsen.

Dazu kommen hunderte Instagram-Accounts, die sich auf Memes für jeweils ein Sternzeichen spezialisiert haben. Sie tragen Namen wie "Daily Sagittarius", "Virgoholics" oder "Capricorn Content", manche von ihnen haben hunderttausende Follower. Selbst auf die Datingplattform Tinder ist der Astrologie-Hype geschwappt. Auf vielen Profilen findet man neben Alter und Hobbys nun auch Sternzeichen-Emojis – als hätten sie Einfluss auf die Partnerwahl.

Was ist da los? Ist der Astrologie-Hype eine antiaufklärerische Gegenbewegung? Ein sachter Hauch von Esoterik? Oder ist es bei all dem Pandemiefrust nicht logisch, dass wir irgendwann genervt den Kopf in den Nacken werfen und die Weisheit in den Sternen suchen?

Kalenderspruch am Morgen

"Für mich ist das mehr Lifestyle als Spiritualität", sagt Katharina über ihr morgendliches Horoskop-Ritual. Der Astro-Podcast Dein Tag, den Spotify nach großem Erfolg in den USA erst seit kurzem auch auf Deutsch produziert, erinnert eher an Kalendersprüche als an die "Tu dies, tu das"-Empfehlungen klassischer Zeitungshoroskope. Katharina glaubt zwar daran, dass die Lage der Planeten bei der Geburt "irgendwie" einen Einfluss auf das Leben hat, aber nicht, dass man derlei auf ein Tageshoroskop herunterbrechen kann. Sehr wohl aber könnten positive Gedanken den Tag formen. Und genau diese liefert ihr das Audio-Horoskop. "Das gibt dem Tag mehr Spin", sagt die Modestudentin. "Es ist ein bisschen so wie Yoga."

Befeuert haben den Astrologie-Trend auch Apps wie Co-Star. Die App behauptet von sich selbst, "Astrologie ins 21. Jahrhundert" zu bringen. Statt nach dem Sternzeichen fragt Co-Star nach Geburtsminute und -ort, künstliche Intelligenz und Nasa-Daten sollen darauf nach eigenen Worten eine "hyperpersonalisierte Erfahrung" fabrizieren.

Die App Co-Start wurde millionenfach heruntergeladen, vor allem von jungen Frauen.
Foto: Co-Star

Und tatsächlich hat Co-Star mit den Boulevard-Horoskopen wenig zu tun. Die App spuckt vor allem allgemeine Weisheiten aus. Nur ein Beispiel: "Menschen, die sich daran gewöhnt haben, Kontrolle zu haben, geben sie selten freiwillig auf." Aha! Hin und wieder wird Co-Star befremdlich konkret ("Kauf dir ein Flugticket") bis unfreundlich ("Versuche heute mal keinen Scheiß zu reden"). Ein gefundenes Fressen für Astrofluencer, die solche Statusmeldungen fleißig teilen und den Erfolg der App weiter beflügeln.

Mit Apps wie Co-Star kann Valerie nichts anfangen. "Wir schauen eh alle viel zu viel auf Bildschirme", sagt die 20-jährige Studentin, die sich nach dem Analogen sehnt. "Während Corona haben sich alle neue Hobbys gesucht, bei uns war es Tarotkartenlegen." Alle drei Monate trifft sie sich mit ihren Freundinnen für eine Sitzung. Ihnen geht es vor allem um das gemeinsame Ritual – aber nicht nur. "Irgendwas muss da einfach dran sein", sagt sie. "So genau, wie das immer zutrifft."

Ob da nicht der Barnum-Effekt mit hereinspielt, mit dem Psychologen das Phänomen beschreiben, selbst die allgemeinsten Aussagen auf sich zu beziehen? "Was die Zukunft betrifft, sicher", sagt Valerie, schließlich könne man sein Leben nach den Karten richten. Für die Vergangenheit sprächen die Karten aber eine zu klare Sprache, als dass es sich um puren Zufall handeln könnte. Als Alternativerklärung zur Wissenschaft sieht sie die Kartenlegerei trotzdem nicht, sondern eher als Ergänzung für ungeklärte Phänomene – und ihr Leben richtet sie sowieso nicht nach den Sternen aus.

Astrologie light

"Das Interesse an der Astrologie kommt in Wellen", sagt der Psychologe Andreas Hergovich zum STANDARD. Sie gebe die Illusion von Kontrolle – und in Zeiten der Unsicherheit sei dieses Kontrollbedürfnis besonders stark. "Man greift nach jedem Strohhalm", sagt Hergovich – und die Astrologie sei leicht verfügbar, besonders junge Menschen seien anfällig für Glauben. Als Einstiegsdroge in Verschwörungszirkel sieht Hergovich die Astrologie nicht. "Für die meisten ist das nur eine Phase."

Viele konsumieren Horoskope wohl wie Reality-TV: seichte, trashige Unterhaltung mit einem Wahrheitsanspruch, der auf lockeren Sockeln steht. Wer als Erstes "Fake" ruft, ist der Spielverderber.

Selbst die Gründerin und Chefin von Co-Star, Banu Gular, gibt zu, dass sich in ihrer App nicht alles um knallharte Himmelsmechanik dreht. "Es geht vor allem darum, Menschen zusammenzubringen, unabhängig davon, ob sie sich für Astrologie interessieren oder nicht", sagte Gular zum Onlinemagazin Bustle. "Das Magische an Astrologie ist, dass sie Gespräche ermöglicht."

Und Gesprächsstoff kann man in Zeiten, in denen viele wenig erleben, wohl immer gut gebrauchen. (Philip Pramer, 8.3.2021)