Kathrin Kolleritsch alias Kerosin 95: "Warum können Jungs nicht Kathrin heißen?"

Foto: Hanna Fasching

Mit der Band My Ugly Clementine hat Kathrin Kolleritsch vor zwei Wochen den "European Independent Album of the Year Award" für das 2020 erschienene Album "Vitamin C" gewonnen. Als Kerosin 95 veröffentlicht Kolleritsch am 19. März das Album "Volume 1". Ein persönliches Werk über das Dasein als nichtbinärer Mensch, also weder ausschließlich männlich noch weiblich.

Medien wurde im Vorfeld der gewünschte Umgang nahegelegt: "Hinweis zur Gender-neutralen Sprachverwendung: Hiermit möchte ich auf die Verwendung von Gender-neutraler Sprache aufmerksam machen. Im Deutschen verzichte ich in Bezug auf meine Person gänzlich auf die Verwendung von Pronomen und erwarte mir, dass dies im Gespräch/in Beiträgen respektiert und umgesetzt wird. Konkret bedeutet das, dass in der Satzbildung weder Gender-spezifische, strikt binäre Pronomen (sie/er, ihres/seines) noch Gender-unspezifische Pronomen (xier, dier, xies etc.) zu finden sind."

STANDARD: Sie bestehen für die Berichterstattung zu Ihrem Musikprojekt Kerosin 95 auf genderneutraler Sprache. Warum?

Kerosin 95: Weil ich in der Sprache gern existieren würde. Das tu ich sonst nicht. Deshalb fordere ich das. Es gibt nicht nur Cis-Männer und Cis-Frauen. Und wenn ihr alle Menschen ansprechen und respektieren wollt, schreibt genderneutral. Ich erwarte mir, dass nicht so getan wird, als ob das nicht wichtig wäre.

STANDARD: Was, wenn ein Medium das nicht akzeptiert?

Kerosin 95: Dann ist es halt respektlos. Wir kommunizieren das so, und trotzdem wird es in fast allen Fällen falsch gemacht. Wenn ihr ein Interview mit Kerosin 95 führen wollt, müsstet ihr doch die Person akzeptieren. Würde ich alle Interviews streichen, in denen es falsch gemacht wird, gäbe es keine mehr.

STANDARD: Aus Gesprächen mit unseren Leserinnen und Lesern ist bekannt, dass sie das Thema interessiert, aber Sternchen oder Binnen-I sie beim Lesen stören.

Kerosin 95: Na ja, das ist die Ausrede Nummer eins. Das ist einfach nur verinnerlichte Arroganz, Respektlosigkeit oder Feindseligkeit. Bevor ich mich damit befasst habe, fand ich das auch anstrengend, aber nach ein paar Monaten wird das normal.

STANDARD: Das mag für Sie stimmen, für andere nicht. Wer zählt mehr?

Kerosin 95: Das ist dann eine Realität versus die andere. Entweder werden Personen, die nicht Cis-Mann oder Cis-Frau sind und die strukturell unterdrückt sind, sichtbar gemacht, oder die Leute sagen, das ist mir zu anstrengend. Die sollen sich über die Gewichtigkeit Gedanken machen. Für den Preis, dass sie gemütlicher lesen können, werden andere ignoriert. Am Anfang ist es weird, mit Sternchen zu lesen, zu schreiben und zu sprechen, aber später fällt es einem nicht einmal mehr auf.

STANDARD: Studien besagen, dass 0,5 Prozent der Bevölkerung transgender sind. Sollen diese 0,5 die Sprache von 99,5 Prozent verändern?

Kerosin 95: Ich kann zu Statistiken nichts sagen. Ich weiß nur, dass es viel, viel mehr Leute sind, als wir glauben. Diese Statistiken fühlen sich für mich so an, als wäre das viel, viel größer. Ich kann nur sagen, wie es sich für mich anfühlt.

STANDARD: Die gefühlte und die tatsächliche Wahrheit sind aber nicht unbedingt dasselbe.

Kerosin 95: In meinem Umfeld verwendet jede zweite Person kein Pronomen, das ist ein Schnitt von 50 Prozent. Sogar meine Mutter gendert mit Sternchen, ohne dass ich was dazu getan habe.

STANDARD: Mit Unschärfen leben alle Menschen. Wir sind ja auch nicht weiß wie Papier, sondern rosa oder beige, dunkelhäutige Menschen nicht schwarz.

Kerosin 95: Aber ich muss ständig Kompromisse machen.

STANDARD: Die gehören in demokratischen Gesellschaften dazu.

Kerosin 95: Aber warum muss ich ständig so viele machen, dass ich unglücklich werde? Wieso kann ich nicht einfach existieren?

STANDARD: Wäre nicht Gleichberechtigung das bedeutendere Ziel als die Befriedigung individuell gefühlter Bedürfnisse?

Kerosin 95: Das höre ich oft, das ist dann die Warteschlange. Zuerst müssen wir uns darum kümmern, dann darum ... Aber wir müssen diese Kämpfe parallel führen. Alle müssen schauen, dass es allen gutgeht. Und das ist anstrengend. Aber wieso sind die einen Leute wichtiger als die anderen?

STANDARD: Wie ist das, wenn ein Ober Sie mit "Gnädige Frau" anspricht? Das ist ja eine höfliche Floskel ohne böse Absicht.

Kerosin 95: Das ist jedes Mal eine kleine Narbe. Den Umgang damit suche ich mir aus, weil ich kann ja nicht jedes Mal hingehen und sagen: Leitln, bitte.

STANDARD: Aber es gibt einen Unterschied zwischen einer bewussten Respektlosigkeit und einer, die unbewusst passiert.

Kerosin 95: Die Gewichtung ist anders, aber arg ist es trotzdem für mich.

STANDARD: Das von Ihnen geforderte Sichtbarmachen soll über Änderungen in der Sprache erfolgen. George Floyd hat es nichts genützt, korrekt als Afroamerikaner angesprochen zu werden, systematischer Rassismus hat ihn trotzdem das Leben gekostet. Ist das Insistieren auf einer bestimmten Nomenklatur nicht ein Scheingefecht auf Kosten wahrer Probleme?

Kerosin 95: Da sind wir wieder bei der Warteschlange.

STANDARD: Sie spielen bei My Ugly Clementine mit Ihrem Mädchennamen Kathrin Kolleritsch – ist das konsequent oder inkonsequent?

Kerosin 95: Warum können Jungs nicht auch Kathrin heißen? Ich hätte gerne gehabt, wenn meine Eltern einen genderneutralen Namen genommen hätten.

STANDARD: Dann würden alle fragen: Bub oder Mädchen?

Kersosin 95: Aber dann fragen sie mich, und ich krieg nicht gleich ein Pickerl verpasst. (Karl Fluch 7.3.2021)