Herrscherin über ein veritables Tourismusimperium, Multifunktionärin: Die Tirolerin Martha Schultz ist kein Leichtgewicht. Zum Interview bringt sie Broschüren mit. Als Vorsitzende von "Frau in der Wirtschaft" will sie die Sache der Frauen voranbringen. Hauptberuflich regiert die Vizepräsidentin der WKO mit ihrem Bruder von der Unternehmenszentrale im Zillertal eines der großen Unternehmen im Alpentourismus. Mit sechs Skigebieten, dutzenden Hotels und mehreren Hütten.

STANDARD: Mit dem großflächigen Aufsperren der Hotels ist es so schnell nichts. Der Bezirk Schwaz, wo Sie daheim sind, wird aber Impfregion.

Schultz: Ja. Ich glaube, ganz Österreich wartet darauf, geimpft zu werden.

STANDARD: Das Virus ist hartnäckig. Sie sind es auch. Sie haben anno dazumal als Alleinerzieherin so lange für Kinderbetreuung gekämpft, bis ein Gesetz geändert wurde. Männer haben Sie dafür auf den Scheiterhaufen gewünscht. Sie haben eine dicke Haut?

Schultz: Die habe ich mittlerweile gekriegt. Wir waren damals eine Handvoll Frauen und sind nach Innsbruck ins Landhaus zu einem Gespräch eingeladen worden. Wir sind mit zwanzig Kindern angereist, denn wir haben uns gesagt: Wenn wir die Kinder wieder irgendwie unterbringen, denkt sich jeder der Herren, die dort sitzen: Das haben sie eh geschafft, warum sollen wir etwas ändern?

Selbstbewusst war Schultz schon als Kind. Ihren Ausbildungsweg hat sie 13-jährig ohne Wissen der Eltern organisiert. Die hätten sie gerne in die dreijährige Fachschule in Tirol geschickt, sie wollte in die fünfjährige nach Kleßheim. Das hat sie dann auch gemacht.
Andy Urban

STANDARD: Das klingt aufmüpfig. Sehen Sie sich als Feministin?

Schultz: Ich bin eine Feministin. Für mich kommt Feministin von Femina, das heißt Frau. Ich bin eine Frau.

STANDARD: Auf Linie sind Sie da aber nicht. Nicht einmal die Frauenministerin will sich Feministin nennen.

Schultz: Ich habe mit der Frauenministerin sehr guten Kontakt. Ich fühle mich halt so. Das muss jede Frau für sich definieren, aber ich bin eine.

STANDARD: Eine, die in eine männerdominierte Branche hineingewachsen ist. Sie gehören zu Österreichs größten Seilbahnbetreibern, mit Skigebieten, Hotels, Restaurants, Hütten. Eingestiegen sind Sie als junge Frau. Haben Sie nie andere Träume gehabt?

Schultz: Für mich war das mein Traum. Meine Mutter hatte eine Frühstückspension. Ich bin da immer von Tisch zu Tisch und habe unseren Gästen erklärt, was sie sich anschauen sollen. Meistens war auch Eigeninteresse dahinter. Ich habe mich gleich miteingeladen und so das Land Tirol kennengelernt. Und ich liebe einfach die Menschen.

STANDARD: Die Schultz-Gruppe taugt als österreichisches Bilderbuchbeispiel im Tourismus. Anfangen hat alles klein mit Bauernhof, Käserei, einer Pension, einem Vater, der die regionale Bank führt und schließlich mit einer Seilbahn beginnt. Heute ist es ein Imperium. Hätten Sie sich je ausgemalt, dass Sie ein so großes Werkel einmal fast auf null zurückfahren?

Schultz: Nein. Mein Sohn ist Apotheker und hat schon gesagt, dass es ein Virus in China gibt, das man nicht kennt. Großartig beschäftigt haben wir uns damit nicht. Bis es die Vorfälle in Italien gab. Wir sind in der Seilbahnbranche sehr eng verbunden mit Kollegen in Südtirol und Frankreich. Die haben gesagt, dass sie wahrscheinlich zusperren. Daran denkt ja keiner, ein Unternehmen zusperren wegen eines Virus. Als wir dann erfahren haben, dass wir zusperren müssen, waren wir kurzzeitig schon fassungslos.

STANDARD: Das war mitten in der Saison, was macht man da?

Schultz: Du musst das Unternehmen herunterfahren, das gut gelaufen ist. Wir waren ausgebucht bis Saisonende, haben den Sommer vorgeplant. Das Schlimmste war, den Mitarbeitern zu sagen, dass Kurzarbeit kommt. Die wollten natürlich wissen, wie lange. Ich habe gesagt: Das weiß ich nicht. Das war für mich das einschneidendste Erlebnis, neben dem, dass wir unser Unternehmen übernehmen haben müssen, als der Vater ganz plötzlich gestorben ist. Da habe ich auch nicht geschlafen.

Über ein Lob freut sie sich ganz besonders. "Sie kam, sie sah, sie siegte – immer und überall", streute ihr Elisabeth Gürtler, die Grande Dame der Hotellerie, einst Rosen.
Andy Urban

STANDARD: Damals stand der Familienbetrieb auf der Kippe, Sie haben mit Ihrem Bruder nicht nur ein Unternehmen, sondern auch alle Kredite übernommen.

Schultz: Es war die Zeit, wo wir die meisten Investitionen getätigt haben. Wir waren zwar in der zweiten Reihe, aber nicht so sichtbar. Der Vater war der große Patriarch nach außen hin. Die Banken haben rasch gefragt, wie das weitergehen soll.

STANDARD: Jetzt weiß man auch nicht genau, wie es weitergeht. Die Wintersaison ist wohl gelaufen?

Schultz: Ja. Absolut. Abgesehen von der Baufirma ist ein Großteil der Mitarbeiter in Kurzarbeit. Wir haben den Investitionszuschuss genützt und Investitionen vorgezogen. Wir bauen teilweise Küchen Corona-gerecht um, stylen die Zimmer neu. Auch die Rezeptionen sind besetzt. Wir buchen Gäste jetzt das dritte Mal um. Das tut schon weh.

STANDARD: Sie haben pandemiebedingt mit dem Unternehmen, das Rundumversorger im Tourismus ist, ein arges Klumpenrisiko. Haben Sie Sorge um das familiäre Lebenswerk?

Schultz: Ich glaube, dass die Menschen und unsere Gäste wiederkommen, sobald wir sie Impfungen haben. Das Interesse für den nächsten Winter ist da. Es wird gebucht und vorreserviert – immer unter der Voraussetzung, dass wir testen und die Vorgaben einhalten. Die Menschen wollen in die Berge.

STANDARD: Unkenrufe, dass der Winter- und Skitourismus seine beste Zeit hinter sich hat, Klimawandel, wärmere Winter, weniger Schnee, das alles sorgt Sie nicht?

Schultz: Gewisse Fakten kann man nicht abstreiten. Aber ich glaube, dass die Menschen reisen wollen, in die Berge wollen, genauso wie wir wieder ans Meer wollen. Wir werden jetzt nicht alle immer daheimbleiben wollen. Es heißt zwar immer noch Sommer- und Wintersaison, aber der Großteil unserer Hotels hat zehn Monate offen. Unsere Intention ist es, schlussendlich ganzjährig geöffnet zu sein. Der Herbst in den Bergen hat sich ganz wunderbar entwickelt. Man zieht die Bergschuhe aus und dann die Skischuhe an.

Die Corona-Hilfen verteidigt sie. Auch das Freizeitvergnügen in den Wintersportorten. Ballermann in den Bergen sei das dank Corona in Verruf geratene Après-Ski selten. Bei ihren Lokalen im Tal würde das eher an den Fünf-Uhr-Tee erinnern.
Andy Urban

STANDARD: Sie sind neben etlichen Geschäftsführerfunktionen fürs Marketing und fürs wirtschaftspolitische Lobbying zuständig. Da gab es heuer einiges zu tun. Viele sahen gar nicht ein, dass Skigebiete öffnen durften, während Schulen zubleiben mussten.

Schultz: Wir haben bei den Seilbahnen eine Betriebspflicht, genau wie eine U-Bahn. Wir haben zuerst überlegt, alles zuzusperren, wenn keine Gäste kommen dürfen. Das haben wir dann nicht gemacht. Und ich muss sagen, wir haben wirklich positives Feedback von den Einheimischen. "Danke, dass ihr offen habt", haben uns die Leute oft geschrieben. Da haben mein Bruder und ich gesagt, irgendwie können wir jetzt nicht zusperren.

STANDARD: Ischgl hat gleich gar nicht aufgesperrt. Hören Sie von Gästen, die den Tirolern gram sind?

Schultz: Erstens hat zu diesem Zeitpunkt keiner gewusst, wie das überhaupt mit dem Virus ist, und dann waren an dem Tag, an dem wir in Innsbruck den ersten Fall hatten, in der Schweiz schon acht Fälle. Dass sich das so schnell ausbreitet, hat keiner geglaubt. Wir haben ja im letzten Sommer bewiesen, dass wir alles für die Sicherheit tun. Ich glaube, das hätten uns die Gäste auch jetzt im Winter zugetraut. Unsere Skifahrer sind getestet worden. Die Alpinpolizei war letztens am Berg und hat kontrolliert. Es war kein Einziger dabei, der den Test nicht mitgehabt hat.

STANDARD: Sie sitzen an wichtigen Hebeln, auch was die Corona-Hilfen betrifft. Es gab viele Klagen, dass vieles nicht funktioniert. Was lief falsch?

Schultz: Man kann immer besser werden. Im Großen und Ganzen können wir froh sein, dass es so gelaufen ist. Wir sind als Unternehmen im Austausch mit anderen Unternehmen in Ländern wie Italien, Frankreich, Deutschland. Dort geht es bei weitem nicht so gut und auch nicht so flott wie bei uns.

STANDARD: Wie effizient das alles ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Wie bei der Frage, ob die Gleichstellung von Frauen rasch genau voranschreitet. Was braucht es, damit in der Sache etwas mehr weitergeht?

Schultz: Es hat Verbesserungen gegeben. Dazu haben viel die Frauen selbst beigetragen. Aber es gibt auch noch viel zu tun. Ich fordere z.B. Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Geburtstag bis zum Erreichen des Pflichtschulalters, flächendeckend und mit Öffnungszeiten, die den neuen Arbeitswelten angepasst sind. In Wien ist das vielleicht nicht so wichtig, bei uns in Tirol sind die Ferienzeiten Hauptarbeitszeiten. Nicht einmal von neun bis fünf haben alle offen. Da werden wir auch keine Ruhe geben. Denn da sind wir auch wieder beim Gender Pay Gap oder bei der gläsernen Decke.

Hier in der WKÖ haben wir das mit unserem neuen Kindergarten: ganztägig, ganzjährig offen, auch für Unternehmerinnen, bilingual, altersübergreifend, mit Kindergärtner und MINT-Ecke. Was wir auch fordern, ist eine Änderung bei der steuerlichen Behandlung von Betriebskindergärten. Bietet man das eigenen Mitarbeitern an, ist es lohnsteuerbefreit. Kommt ein Kind aus einem anderen Unternehmen, ist für alle die Lohnsteuerbefreiung gestrichen. Und jetzt werden wir eine Studie machen, warum es nach wie vor diese verkrusteten Rollenbildern gibt.

Das Wort Rabenmutter hätte sie gerne aus dem Wortschatz gestrichen. Bei der Kinderbetreuung gelt es noch nachzulegen.
Andy Urban

STANDARD: Haben Sie eine Idee?

Schultz: Mehrere, aber eine ist: Das Wort Rabenmutter haben wir nur im deutschsprachigen Raum und das gehört aus dem Wortschatz gestrichen. Du musst dich ja fast entschuldigen, wenn du Vollzeit arbeitest. Das muss einmal weg. Im frankophilen Raum ist das kein Thema, in Skandinavien auch nicht. Wir geben nicht auf, auch wenn ich mittlerweile Großmutter bin

STANDARD: Wenn Sie in die Glaskugel schauen: Kommt eine Pleitewelle, wenn die Hilfen auslaufen?

Schultz: Im vergangenen Jahr gab es sehr wenig Insolvenzen. Es wird sicher den einen oder anderen erwischen. Ich glaube aber daran, dass wir jetzt alle möglichst schnell geimpft sind und dann auch wieder die Grenzen aufgehen. Das wünsche ich mir als glühende Europäerin. Ich bin ja in einer halben Stunde in Italien oder in Bayern.

STANDARD: Dann können Sie gleich Markus Söder besuchen, der fleißig Tirol an den Pranger gestellt hat.

Schultz: Ja, vielleicht tauschen wir uns einmal aus, ich würde ihn mir gerne einmal persönlich anhören. Als Tirolerin bin ich gewöhnt, dass die Herren ab und zu ein bisschen lauter auf den Tisch klopfen.

STANDARD: Das auch Richtung Wien.

Schultz: Ich sage immer, bei den Tiroler Herren wäre es ganz gut, wenn manchmal eine Dame zu Wort kommen würde. (lacht)

STANDARD: Das tun Sie als WKO-Vizepräsidentin. Die erste Geige wollen Sie nicht spielen?

Schultz: Ich bin leidenschaftlich Unternehmerin. Ich kann so viel tun in den zwei Tagen, die ich da in Wien bin. Die restlichen Tage braucht es mich in Tirol. (Regina Bruckner, 7.3.2021)