Verwendet Paar- oder Partizipialformen: die Chefredakteurin des Österreichischen Wörterbuchs im Prunksaal der Nationalbibliothek.

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In der Vergangenheit war klar: Ein Arzt ist ein Mensch, der anderen Menschen medizinisch hilft. Ob dieser Mensch männlich, weiblich oder divers ist, spielte sprachlich keine Rolle. Generisches Maskulinum nennen das Sprachwissenschafter. In der Online-Edition des deutschen Duden ist ein Arzt seit Jänner nun aber "eine männliche Person", die anderen Menschen hilft. 12.000 Personen- und Berufsbezeichnungen bekamen einen neuen, weiblichen Eintrag. Die Empörung über diesen Vorstoß war und ist groß. Wir sprechen im Rahmen unserer StandArt-Videoreihe mit der Chefredakteurin des Österreichischen Wörterbuchs. Sie tritt für eine Beibehaltung des generischen Maskulinums ein.

STANDARD: Warum werden Sprachdiskussionen so erbittert geführt?

Pabst: Weil sie ins Herz der gesellschaftspolitischen Gegebenheiten stechen. Es prallen hier Ideologien aufeinander, die über die Sprache ausgetragen werden. Manche versuchen der Sprache eine Entwicklung aufzudrängen, die die Gesellschaft aber noch nicht gegangen ist. Wäre unsere Gesellschaft emanzipiert und geschlechtergerecht, dann hätte sich dies bereits in der Sprache niedergeschlagen.

STANDARD: Sie sprechen die Debatte über das generische Maskulinum an. Sie verwenden dieses im Österreichischen Wörterbuch weiterhin. Ist Ihnen die Sichtbarkeit von Frauen nicht wichtig?

Pabst: Die Sichtbarkeit von Frauen ist nicht deutlich zu machen dadurch, dass ein Wort in einem Wörterbuch mit "ein Mann, der" oder "eine Frau, die" beschrieben wird. Die Sichtbarkeit liegt auf der Zunge von uns allen, die wir Sprache benützen. Es wird immer so getan, als müsste ein Wörterbuch vorschreiben, was die Sprecher verwenden. In Wahrheit schreibt ein Wörterbuch auf, was der Usus von Sprache ist. Wenn ich an einem Substantiv, das maskulin ist, festmache, ob die Frauen in der Gesellschaft wichtig sind oder nicht, ist das meines Erachtens eine Feigenblattdiskussion.

STANDARD: Warum hat der Duden trotzdem diesen Schritt gesetzt?

Pabst: Es ist ein Ausdruck dessen, was in Deutschland in der Genderdebatte passiert. Es sind Institutionen entgegen dem Usus der Sprachgemeinschaft mit obskuren Schreibweisen vorgeprescht, indem sie in Texten zum Beispiel Asteriske verwendet haben. Das ist in manchen Landkreisen so weit gegangen, dass ein Asterisk Endungen ersetzt hat. Dass zum Beispiel Lehr* sowohl für Lehrerinnen und Lehrer steht. Das macht Texte unlesbar.

STANDARD: Sollte ein Wörterbuch nicht bewusstseinsbildend sein?

Pabst: Es ist natürlich meine Aufgabe, Reflexionen anzustoßen, ich kann und darf aber nicht Substantive, die das generische Maskulinum aussagen, herunterbrechen auf "Genus ist gleich Sexus". Das gibt es im Deutschen nicht. Dann müsste ich aus "das Mädchen" ein "die Mädchen" machen. Ich kann im Wörterbuch nicht eine geschlechtergerechte Sprache mit Brachialmethoden vorschreiben. Daran würde sich auch niemand halten. Oder wenn ich Worte wie "Gästin" oder "Bösewichtin" aufnehme. Solche Worte werden höchstens ironisch von Leuten verwendet, die sich gegen das Gendern aussprechen.

STANDARD: Viele verwenden Paarformen: Schülerinnen und Schüler zum Beispiel. Ist die Gesellschaft weiter, als Sie eingestehen wollen?

Pabst: Jene, die Paarformen verwenden, machen Frauen tatsächlich sichtbar. Aber viele verwenden gegenderte Formen ohne das entsprechende Bewusstsein dafür. Im Parlament sprach ein Abgeordneter einmal von Mitgliederinnen und Mitgliedern. Da merkt man, dass für manche gegenderte Formen nichts als eine Phrase sind, durch die man sich absichern und unangreifbar machen will. Ich finde es dagegen spannend, wie es Tarek Leitner in der ZiB macht: Er legt eine Kunstpause ein. Paarformen sind in den Nachrichten ob der gebotenen Kürze suboptimal.

STANDARD: Sind nicht auch Paarformen problematisch? Sie grenzen etwa intersexuelle Menschen aus.

Pabst: Diese Diskussion wird in Österreich überhaupt noch nicht geführt. Diverse wollen und sollen auch abgebildet werden. Allerdings ist das etwas, das aus der entsprechenden Community kommen sollte, das liegt nicht in der Macht einer Redakteurin eines Wörterbuchs.

STANDARD: Werden Sie mit zu vielen Forderungen konfrontiert?

Pabst: Es ist ein Zug der Zeit, sehr schnell zu urteilen und zu verurteilen. Man verurteilt aufgrund von einzelnen Wörtern und unabhängig von Text- oder Sprechzusammenhängen. Das sehe ich mit großer Sorge. Man redet sich in Genderdiskussionen in Rage, die einen, weil sie von Wörterbuchredaktionen Vorschriften verlangen, die anderen, weil sie alle Änderungen pauschal ablehnen.

STANDARD: Der deutsche Duden schafft das generische Maskulinum ab, das Österreichische Wörterbuch nicht. Ein Kampf der Institutionen?

Pabst: Ich habe die Aktion des Duden als ein Angebot verstanden. Aber ich kann nicht in die Köpfe der Duden-Redaktion schauen. Für das Österreichische Wörterbuch kann ich sagen, dass wir tatsächlich verpflichtet sind zu kodifizieren, was es gibt. Was wir tatsächlich machen, ist, dass wir in den Definitionen und Markierungen den Finger auf Dinge legen, wo es Nachholbedarf gäbe. In der 44. Auflage des Wörterbuchs werden wir Markierungen für den nicht geschlechtergerechten Wortgebrauch einführen – zum Beispiel beim Arbeiter-Abfertigungsgesetz oder dem Autorenkatalog. Wir haben jetzt auch eine Definition für Skifliegerin aufgenommen. Der Wettbewerb ist ja Männern vorbehalten, das merken wir auch an.

STANDARD: Wie halten Sie es persönlich mit dem Gendern?

Pabst: Ich versuche Paarformen zu verwenden oder aber Partizipialformen, vorausgesetzt sie haben sich in der Bedeutung verändert: Studierende sind nicht mehr jene, die gerade jetzt studieren. An diesem Beispiel zeigt sich gut, wie schnell sich Sprache ändern kann. Die Form Studierende bedeutet heute ganz selbstverständlich Menschen, deren Beruf es ist zu studieren.

STANDARD: Und was raten Sie Printmedien?

Pabst: Auch hier plädiere ich für Paarformen, auch wenn sie oft sehr lang sind. Und natürlich Partizipialformen. Ich würde mir im Allgemeinen aber viel mehr Kreativität im Umgang mit einer gendergerechten Sprache wünschen. Gerade Journalisten sind doch Sprachspieler. Und Sprachspielerinnen.

(Stephan Hilpold, 5.3.2021)