Eine Krankenschwester in Rom erhält eine Spritze mit dem Vakzin von Astra Zeneca. In Italien herrscht – wie in ganz Europa – ein Engpass bei der Versorgung mit Impfstoffen.

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Als Chef der Europäischen Zentralbank hatte sich Mario Draghi mit der mächtigen Deutschen Bundesbank angelegt, als neuer italienischer Regierungschef wirft er nun dem britisch-schwedischen Pharmakonzern Astra Zeneca den Fehdehandschuh hin: Rom hat die Lieferung einer Viertelmillion Impfdosen nach Australien nicht bewilligt. Die Dosen waren von Canberra bei einem italienischen Lizenzwerk in Anagni südlich von Rom bestellt worden, das den Impfstoff für Astra Zeneca (AZ) abfüllt.

Die Begründung für den bisher einmaligen Schritt sind die massiv reduzierten Liefermengen des Herstellers Astra Zeneca, die nicht nur in Italien, sondern in der ganzen EU die Impfkampagnen erschweren oder zum Teil ganz über den Haufen werfen.

"Nicht vulnerabel"

Von den ursprünglich für das erste Quartal zugesagten 100 Millionen AZ-Dosen für die EU wird bis Ende März im besten Fall etwa die Hälfte ausgeliefert. Fraglich sind auch jetzt schon die – noch deutlich höheren – Mengen für das zweite Quartal. Gleichzeitig wurden von dem Unternehmen aber offenbar die Liefermengen an Großbritannien und andere Drittstaaten nicht gekürzt.

Erleichtert wurde Draghi die Entscheidung durch den Umstand, dass Australien nicht als "vulnerables Land" gilt und von der Pandemie verhältnismäßig wenig betroffen ist: In Australien sind bisher weniger als 30.000 Covid-Fälle und weniger als 1.000 Tote registriert worden.

Australiens Premierminister Scott Morrison signalisierte in einer ersten Reaktion Verständnis: "In Italien sterben jeden Tag mehr als 300 Menschen an Covid. Ich verstehe die große Besorgnis der Behörden in Italien und auch in vielen anderen EU-Ländern." Dennoch bittet Australiens Gesundheitsminister Greg Hunt die EU-Kommission, sich mit Roms Schritt zu befassen.

Tatsächlich hatte auch Brüssel dem Lieferstopp zugestimmt: Zwar werden Ausfuhrgenehmigungen für Impfstoffe von dem Land erteilt, in dem die Dosen hergestellt werden. Doch seit Jänner müssen die Pharmakonzerne, die Lieferverpflichtungen gegenüber der EU haben, vor einem Export in Drittländer auch die Genehmigung der EU einholen. Der neue Kontrollmechanismus war als Reaktion auf die von Astra Zeneca reduzierte Liefermenge eingeführt worden. Bei den beantragten 250.000 Impfdosen für Australien waren sich Rom und Brüssel zum ersten Mal einig, dass diese in der EU dringender gebraucht werden. Zuvor hatte Brüssel laut italienischen Medienberichten in über hundert Fällen Ausfuhren von in Europa produzierten Impfstoffen in Drittländer genehmigt.

Verträge sind einzuhalten

Binnenmarktkommissar Thierry Breton erklärte am Abend am Rande von Besprechungen in Wien, Italien habe mit der EU Rücksprache gehalten. Er sei der Ansicht, dass Verträge einzuhalten seien, und die EU gegebenenfalls auch dafür sorgen müsse. Wenn ein Hersteller vereinbarungsgemäß liefere, spreche nichts gegen Exporte. Wenn das nicht so sei, sehe die Lage aber anders aus.

Für Draghi jedenfalls war die Situation um den Impfstoff nicht akzeptabel: Er hatte bereits vergangene Woche beim Videogipfel der EU-Regierungschefs ein hartes Durchgreifen gegen Pharmakonzerne gefordert, die die vereinbarten Liefermengen nicht einhalten. "Für die Hersteller, die ihre Verpflichtungen nicht respektieren, gibt es keine Entschuldigung", betonte er am 25. Februar – einen Tag nachdem die australische Bestellung eingetroffen war.

Für Draghi sind Ausfuhrverbote für vertragsbrüchige Hersteller nicht Ausdruck mangelnder Solidarität mit anderen Ländern, sondern eine Frage der Glaubwürdigkeit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern in ganz Europa.

Impfen wird zur Chefsache

Draghi hatte die Impfkampagne, die in Italien wie in den meisten anderen EU-Ländern nicht nur wegen der reduzierten Liefermengen eher schleppend vorankommt, sofort nach seiner Vereidigung zum neuen Ministerpräsidenten Italiens am 13. Februar zur Chefsache erklärt und "militarisiert". Der bisherige zivile Sonderkommissar für die Pandemiebekämpfung wurde abgesetzt und durch den Armee-General Paolo Figliuolo ersetzt, den Cheflogistiker der italienischen Streitkräfte.

Figliuolo war zuvor schon Kommandant im Kosovo und in Afghanistan gewesen. Der General soll die Impfkampagne beschleunigen und dabei auf militärische wie zivile Infrastrukturen zurückgreifen. (Dominik Straub aus Rom, 5.3.2021)