Der Skirennsport hat ein Nachwuchsproblem, sagt Michaela Dorfmeister. Die Ex-Rennläuferin ist Vizepräsidentin im niederösterreichischen Verband und versteht, dass sich Eltern den Stress nicht mehr antun wollen. "Einen Fußballplatz hat man bald einmal wo. Aber ins Skigebiet kommst du mit dem Fahrrad nicht."

Michaela Dorfmeister ist "gar nicht so unglücklich darüber", dass ihre Tochter nicht Skirennen fährt.
Foto: SportPeak

STANDARD: Ist der Skisport noch zu retten?

Dorfmeister: Wir müssen ihn nicht retten, so dramatisch ist die Lage nicht. Aber natürlich gibt es Probleme im Spitzen- wie im Breitensport. Die Schneeverhältnisse haben sich verändert, das merken wir vor allem im Osten Österreichs. Da waren wir jahrzehntelang gewohnt, Anfang Dezember auf den Skiern zu stehen. Das ist schwierig geworden.

STANDARD: Sie haben sich kürzlich in einem Gespräch mit der Austria Presse Agentur sehr besorgt um den Nachwuchs gezeigt. Was beschäftigt Sie am meisten?

Dorfmeister: Die Strapazen für die Kinder und ihre Eltern werden immer extremer. Das hat nicht nur mit der Schneelage zu tun. Im Normalfall gibt’s für die unter 17-Jährigen schon Ende November die ersten Rennen, da musst du vorher aber schon g’scheit trainiert haben. Im Osten ist das nicht möglich, deshalb müssen wir ausweichen, oft auf die Gletscher. Das geht ins Geld und an die Substanz.

STANDARD: Inwiefern?

Dorfmeister: Man braucht einen fahrbaren Untersatz, der kostet, und der Untersatz braucht Benzin, das kostet. Die Kinder sitzen stundenlang im Auto. Manchmal geht’s in der Früh eineinhalb Stunden zum Training, dann wird drei Stunden trainiert, dann geht’s eineinhalb Stunden im Auto zurück. Oft folgen noch drei Stunden Schule. Das stundenlange Sitzen ist das Gegenteil einer g’scheiten Regeneration.

STANDARD: Eigentlich verständlich, dass immer weniger Menschen das in Kauf nehmen wollen.

Dorfmeister: Es beginnt bei den Eltern. Viele haben ja wirklich viel zu tun und wollen nicht auch noch in der Freizeit Stress. Doch speziell bei den Drei- bis Sechsjährigen, die noch nicht in einem Skiklub sind, kommt es halt nur auf die Eltern an. Ich persönlich sehe Skiausflüge ja nicht als Strapaze, eher als familiäres Abenteuer, als Naturerlebnis. Und ich will auch nicht alle Eltern in einen Topf werfen – aber es sind schon immer weniger, die sich das antun wollen.

STANDARD: Ist es nicht so, dass das Freizeitangebot für Familien und speziell Kinder immer größer wird?

Dorfmeister: Das kommt dazu. Früher gab’s Skifahren, Fußball, vielleicht noch Tennis. Jetzt ist die Auswahl viel größer. Eh schön für die Kinder. Aber der Skisport merkt das, uns geht die Dichte verloren. Einen Fußballplatz oder Tennisplätze hast du bald einmal wo. Da kann man das Kind zu Fuß oder mit dem Fahrrad hinschicken. Ins Skigebiet kommst du mit dem Fahrrad nicht. Früher gab’s in etlichen kleinen Gemeinden auch kleine Lifte, die gibt es jetzt nicht mehr.

STANDARD: Wenn das Kind Ski fährt, fahren die Eltern Auto.

Dorfmeister: Und dann tritt das eigene Leben in den Hintergrund. Ich kenne viele Eltern von jungen Skirennsportlern, und etliche sagen, dass sie gar kein eigenes Leben mehr haben. Diesen Idealismus muss man bewundern. Es gibt ihn nicht mehr so oft. Solange du keinen Führerschein hast, bist du im Skisport auf die Eltern angewiesen.

STANDARD: Wenn Sie sich zurückerinnern – welche Opfer haben Ihre Eltern gebracht?

Dorfmeister: Ich war in einem starken Skiklub, beim WSV Pernitz-Unterberg. Jedes Wochenende fanden irgendwo Rennen statt, die Eltern waren immer dabei. Montagfrüh haben sie mich in die Schule geführt, zuerst nach Lilienfeld, später nach Schladming, am Freitag haben sie mich abgeholt. Für die Schulen mussten sie erst das Geld auftreiben, meine Mama hat extra wieder zu arbeiten begonnen. Der Papa hat vorgearbeitet und Überstunden gemacht, damit er mich am Samstag zu den Rennen begleiten konnte. Meine Eltern haben sicher zehn Jahre keinen Urlaub gehabt. Dafür sind sie noch belächelt worden. Weil ja viele gedacht haben, dass ich es nicht schaffen werde.

STANDARD: Was haben Ihre Eltern beruflich gemacht?

Dorfmeister: Der Papa war Fleischhauer. Die Mama hat Friseurin gelernt. Später hat sie in einem Erholungsverein geputzt und im Service gearbeitet, dann war sie in einer Gärtnerei, später in einer Bäckerei.

STANDARD: Sie haben eine elfjährige Tochter, fährt sie Skirennen?

Dorfmeister: Sie hat es kurz versucht, aber das war nicht ihres. Ich bin gar nicht so unglücklich darüber. Es ist ja auch so, dass immer wieder Verletzungen passieren. Im Weltcup fahren nicht viele, die noch keinen Kreuzbandriss hatten.

STANDARD: Und ein Kreuzbandriss im Jugendalter bedeutet oft das frühe Karriereende.

Dorfmeister: Wenn du mit 17, 18 oder 19 ein Jahr verlierst, wird es ganz schwierig. Diese Jahre sind extrem wichtig, das holst du kaum auf. Wobei man auch nicht weiß, was im Fußball alles passiert, wie viele Talente da auf der Strecke bleiben.

STANDARD: Corona trifft ganze Jahrgänge. Wie schwierig ist die Lage im alpinen Nachwuchsbereich?

Dorfmeister: Das Wichtigste ist, dass Rennen stattfinden. Rennen erhalten die Motivation. Für die Kinder ist es besonders schwierig, da gibt es kaum Veranstaltungen. Für die Jugend und die Junioren findet einiges statt, gerade dieser Tage sind am Semmering die Meisterschaften im Slalom und im Riesenslalom. Ich war dort, da hat es sich schon abgespielt. Da verteilen sich bei den Mädchen ungefähr siebzig auf vier Jahrgänge.

STANDARD: Aber die Dichte, sagen Sie, nimmt insgesamt ab?

Dorfmeister: Zu meiner Zeit gab’s pro Jahrgang dreißig, vierzig starke Kinder, von denen zehn gewinnen konnten. Jetzt hast du vier, fünf Starke, die du durchbringen musst.

STANDARD: Wann waren Sie zum letzten Mal Ski fahren?

Dorfmeister: Vor zwei Wochen in Lackenhof. Die Bedingungen waren toll, wie auch aktuell noch am Semmering. Leider sind wenige Leute da. (Fritz Neumann, 7.3.2021)