Theaterfestivals arbeiten derzeit daran, wie sie trotz fragilen Weltzustands künftig global zusammenarbeiten und Kunst global vermitteln können.

Foto: APA/Herbert Neubauer

Alles, was uns Corona verbietet, macht internationale Festivals aus: Räume der Verdichtung, globale Zusammenkünfte, Menschenströme, intensive Austauschprozesse – vulgo viele angeregte und fallweise parlierwütige Menschen aus aller Welt auf einem Haufen und am Ende fallweise in enthemmter Freude. Wie kann es jemals wieder dazu kommen?

Es kommt. Aber höchstwahrscheinlich nicht mehr so, wie es einmal war. Und das ist auch gut so, lautet der Tenor unter den Festivalleitern. "Wir dürfen nicht mehr zurück in die Craziness der letzten zwanzig Jahre", sagt der Intendant der Wiener Festwochen, Christophe Slagmuylder. Er meint damit den unter dem Druck des wirtschaftlichen, öffentlichen und medialen Erfolges immer schneller gewordenen globalen Festivalzirkus.

Veränderung notwendig

Jeder will bei angesagten Künstlern und Künstlerinnen der Erste sein, will Uraufführungen und Eigenproduktionen exklusiv präsentieren. Aber "noch schneller" und "noch größer" geht seit März 2020 nicht mehr. "Wenn das jetzt nicht zu einer Veränderung führt, was dann!?", sagt Slagmuylder.

Wie sieht sie aber aus, die Zukunft der Theaterfestivals post Corona? Wie soll man die Ansprüche von Internationalität und Verdichtung mit den gesundheitsvorsorglichen Schranken einer fragiler gewordenen Welt zusammenbringen?

Der Festivalbetrieb wird bescheidener werden müssen. Wenn keine schwindelerregenden 150 Flugreisen pro Jahr mehr möglich sind, so wie sie etwa "Theater der Welt"-Leiter Stefan Schmidtke für seine nun auf Juni 2021 verschobene Festivalausgabe absolvierte, und wenn Künstlerinnen und Künstler nicht mehr aus allen Ecken des Planeten anreisen können, dann müssen neue Formen der Zusammenarbeit gefunden werden.

"Shared knowledge"

Schmidtke prophezeit eine Zeit, in der Festivals entschieden auf "shared knowledge" setzen müssen, d. h. auf Expertinnen und Experten vor Ort – in Lagos, Tokio oder Buenos Aires –, die dann die kuratorische Verantwortung für ein Festival in Europa tragen. Eine solche Arbeitsmethode ist mittels transkontinentaler Teams für die übernächste "Theater der Welt"-Ausgabe 2023 bereits in Vorbereitung.

Schwierig bleibt es trotzdem, da Corona noch viele Verteilungskämpfe in Gang setzen wird, mit denen wohl auch Festivals konfrontiert sein werden. So könnten jeweilige sich auf die Gesundheitssicherung berufende Reise- und Aufenthaltsbestimmungen auf die Festivalpräsenz diverser Kompagnien einwirken. Dann würde, sagt Schmidtke, fatalerweise die Corona-Schutzregelung kuratieren.

Man wird also neue Formen dafür finden müssen, wie unter eingeschränkter Mobilität Kunst global und nach künstlerischen Maßgaben verteilt werden kann. Eine Idee gibt es schon: Kopien. Dabei sollen Regiekonzepte Ländergrenzen platonisch passieren und dann vor Ort mit regionalen Teams neu umgesetzt werden. So ist das für die Inszenierung Ist mein Mikro an? geplant, die das kanadische Urheberteam vertrauensvoll an das Festival in Düsseldorf übergibt.

"Ego hinanstellen"

Festivals stehen für globale Perspektiven ein, diese sind gerade jetzt, da wir durch nationalstaatliche Politiken an Weitsicht einbüßen, wichtiger denn je. Es wird dafür nötig sein, hinkünftig mehr zu teilen. Slagmuylder mahnt ein, internationale Produktionen mit Festivalpartnern in Europa häufiger zu teilen: "Das spricht zwar gegen die Idee der Exklusivität, aber es ist Zeit, das Ego hintanzustellen. Wir müssen nicht immer die Ersten sein."

Und wenn das Publikum nicht anreisen darf und Spielstätten nicht öffnen können? Theaterfestivals werden weiterhin auch in digitale Auftritte investieren. Das Theatertreffen Berlin hat jetzt schon beschlossen, seine Ausgabe künftig immer in hybrider Form durchzuführen, also analog und digital. "Die digitalen Sparten sind nicht mehr wegzudenken", so Theatertreffen-Leiterin Yvonne Büdenhölzer. Im Vorjahr hat das Festival so über 120.000 Besucher aus über 100 Ländern erreicht. Derzeit werden neue Plattformen aufgebaut, so Büdenhölzer, "vom Chat im digitalen Foyer bis hin zu experimentellen Mozilla-Hubs-Räumen". Dazu wird es heuer bereits ein Pilotprojekt geben.

Präsenz vor Ort

Für ein produzierendes Festival wie die Wiener Festwochen sind aber noch ganz andere Aspekte wichtig, etwa die Präsenz internationaler Künstler vor Ort. Christophe Slagmuylder denkt in Richtung Entschleunigung: "Wir müssen generell langsamer werden, die Künstlerinnen und Künstler für einen längeren Zeitraum nach Wien einladen, ihre Präsenz besser nutzen, vielleicht auch, indem sie gleich mehrere Arbeiten zeigen."

Ob die Wiener Festwochen heuer real stattfinden, ist noch nicht entschieden. Es kann derzeit aber geprobt werden. Die schwerwiegende Frage ist momentan also nicht, wie Kunst produzieren, sondern wie und wann sie herzeigen. (Margarete Affenzeller, 6.3.2021)



(6.3.2021)