Rot bemalte Hände als symbolisches Stoppzeichen waren das Symbol bei einer Kundgebung gegen Femizid im November 2019 in Berlin. Kristina Wolff, die Initiatorin der Petition SaveXX – Stoppt das Töten von Frauen hatte sie in Zusammenarbeit der Frauenrechtsorganisation Terre des femmes zum Gedenken an mehr als 140 in Deutschland ermordete Frauen im Jahr 2019 organisiert.

Foto: imago images / Christian Ditsch

Drei Tage vor dem Internationalen Frauentag, der am Montag (8. März) begangen wird, wurde in Wien am Freitag eine 35-jährige Frau Opfer eines Brandanschlags ihres ehemaligen Lebensgefährten. Die Trafikantin schwebte am Samstag weiterhin in akuter Lebensgefahr. Der Tatverdächtige hatte die Frau in ihrem Geschäft in der Nußdorfer Straße (9. Bezirk, Alsergrund) mit einer Flüssigkeit überschüttet und angezündet. Er wurde etwa fünfeinhalb Stunden nach der Attacke in der Lobau in Wien-Donaustadt festgenommen, nachdem er sich über den Notruf bei der Polizei gemeldet hatte.

Seine erste Einvernahme habe keine Erkenntnisse gebracht, sagte Polizeisprecher Daniel Fürst am Samstag der APA. Der 47-Jährige sollte im Laufe des Tages erneut einvernommen werden.

Das Opfer war brennend auf die Straße gerannt, wo sich zufällig ein Wagen des Samariterbundes befunden hatte. Die Sanitäter löschten die Flammen mit Decken. Bevor sie von der Berufsrettung abtransportiert wurde, gab die Schwerstverletzte den Polizisten noch einen Hinweis auf den Täter, ihren ehemaligen Partner.

Zufluchtsort für jede bedrohte Frau und Kampf gegen Cybergewalt

Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) zeigte sich nach dieser Feuerattacke auf eine Frau "zutiefst schockiert" und ermutigt Frauen, sich Hilfe zu holen, sagte sie am Samstag zum STANDARD: "Wir wissen, dass Gewalt an Frauen und Frauenmorde in Österreich eine traurige Realität sind. Morde an Frauen werden zu einem Großteil von Partnern oder Ex-Partnern verübt. Wir setzen hier insbesondere in der Prävention an und wollen Frauen ermutigen, bereits bei den ersten Anzeichen von Gewalt Hilfe in den Gewaltschutzzentren oder bei Frauenberatungen zu suchen. Klar ist, dass jede von Gewalt bedrohte Frau in Österreich einen Zufluchtsort hat."

Die ÖVP-Politikerin betont aber auch andere Formen von Gewalt, die stärker ins Bewusstsein kommen müssten und denen sie politisch mit Wachsamkeit begegnen will: "Weil Cybergewalt in Paarbeziehungen zuletzt stark zugenommen hat, werden wir hier eine neue Initiative setzen und 150 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Gewaltschutzzentren und Frauenberatungsstelle zu diesem Thema schulen. Gewalt gegen Frauen, in welcher Form auch immer, ist nicht zu akzeptieren. Wir müssen hier wachsam bleiben."

Einschlägig vorbestrafter Lebensgefährte kam zurück

Nur zehn Tage vor dem Brandangriff am Alsergrund, am 23. Februar, überlebte eine 28-jährige Frau in Wien-Favoriten einen Angriff ihres 29-jährigen Lebensgefährten nicht. Sie wurde erwürgt. Dabei hatte die Frau kurz vor Mitternacht die Polizei gerufen, leicht verletzt nach einem Streit mit ihrem alkoholisierten Partner. Die Rettung versorgte das Opfer und brachte es in ein Krankenhaus.

Die Polizei machte sich auf die Suche nach dem wegen Gewaltdelikten bereits amtsbekannten und mehrfach einschlägig vorbestraften Mann, der die Wohnung verlassen hatte. Gegen ihn sollte ein Betretungs-und Annäherungsverbot ausgesprochen werden.

Eine Fahndung nach dem 29-Jährigen blieb allerdings ohne Erfolg. Die Frau wurde nach der ambulanten Behandlung wieder in häusliche Pflege entlassen. Gegen 5.30 Uhr läutete der Gesuchte bei einem Verwandten der Frau an, der im selben Haus lebt wie sie, und sagte ihm, er habe seine Freundin erstochen. Tatsächlich ist die Frau nicht am Bauchstich gestorben, sondern durch Erwürgen. Der Verwandte rief daraufhin die Exekutive, die den Mann festnahm.

Vier Morde an Frauen in zwei Monaten

Das war in diesem Jahr in Österreich bereits der vierten Frauenmord im Zuge häuslicher Gewalt. Laut der polizeilichen Kriminalstatistik zu Femiziden, die auf der Homepage des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) dokumentiert ist, hat sich die Zahl der Morde an Frauen zwischen 2014 und 2018 mehr als verdoppelt von 19 auf 41 Fälle.

Konkret sieht die Statistik über weibliche Mordopfer so aus:

2014: 19 Fälle mit Frauen als Mordopfer

2015: 17

2016: 28

2017: 36

2018: 41 weibliche Mordopfer von insgesamt 55 Mordfällen österreichweit

2019: 39

2020: 24

Als Femizid bezeichnet man die Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts. Die Soziologin Diana E. H. Russell definierte den Begriff Femizid 1976 beim ersten internationalen Tribunal zu Gewalt gegen Frauen in Brüssel als "von Männern begangene Tötung von Frauen, weil sie weiblich sind." Es geht darum, spezifische Gewalt gegen Frauen und Mädchen als solche auch zu benennen und sichtbar zu machen, als eine – in dem Fall – tödliche Konsequenz patriarchaler Verhältnisse und systematischer Gewalt.

Wirtschaftliche Krisen, Rechtsruck, Verrohung und Hass im Netz fördern Gewalt

Was sagen die dokumentierten Femizide über unsere Gesellschaft, über das Verhältnis der Geschlechter? Welche Ursachen gibt es für diese Dynamik im Zusammenhang mit Femiziden, die Verdoppelung binnen vier Jahren? Nachfrage bei Maria Rösslhumer, der Geschäftsführerin des Vereins Auotnome Frauenhäuser Österreichs. Die Politikwissenschafterin nennt zwei strukturelle Gründe für die Häufung von Gewalt gegen Frauen: "Immer wenn es wirtschaftliche Krisen gibt, merken wir das auch in den Familien und in den Beziehungen, das war zum Beispiel nach der Finanzkrise 2008 ganz deutlich. Aber auch die politische Situation ist mit ein Grund. Der Rechtstruck ist spürbar, eine Verrohung in der Gesellschaft, wo Männer mit vielen Dingen nicht zurecht kommen und ihren Hass vielleicht zuerst noch im Netz kanalisieren, aber diese verbale Gewalt ist nicht weit entfernt von physischer Gewalt", sagt Rösslhumer im STANDARD-Gespräch.

Die Gewaltentwicklung sei insofern auch ein politisch dringliches Thema, "weil Österreich international immer Vorreiter im Gewaltschutz war. Das hat in den letzten Jahren sehr nachgelassen. Es ist ein großes Problem, dass die Behörden zu lasch und zu lax mit der Umsetzung der Maßnahmen umgehen." Das habe nicht zuletzt der Fall in Favoriten gezeigt, wo alle Alarmglocken schrillen hätten müssen.

"Wir haben gute Gesetze"

"Wir haben gute Gesetze", verweist Rösslhumer auf das Gewaltschutzgesetz, das Annäherungsverbot, und auch das Strafrecht sei gut aufgestellt in diesem Bereich und immer wieder reformiert und verbessert worden im Sinne des Opferschutzes. Das hilft nur alles nichts, "wenn die Behörden mit Gewalttätern zu lax umgehen", sagt die AÖF-Geschäftsführerin: "Die späteren Mörder sind oft schon früher auffällig gewesen, amtsbekannt, vorbestraft, oder es gab Wegweisungen und trotzdem hat man die Frau in Favoriten nicht vor diesem Mann geschützt, sondern aus dem Spital alleine nach Hause geschickt. Das ist eine Schwachstelle. Da hat die Polizei Verantwortung zu übernehmen. Solche Morde könnte man verhindern."

Wie? Die Vertreterin der Frauenhäuser fordert "eine noch bessere Gefahreneinschätzung. Was hat dieser Mann vorher schon gemacht? Wie ist seine Vorgeschichte? Wo hat er oder die Frau sich schon einmal Hilfe geholt? Wo waren die Kinder? Man muss hier viel genauer hinschauen", sagt die Gewaltschutzexpertin.

Täterprofile als Präventionsmaßnahme

Sie kritisiert auch, dass zum Beispiel die Frau in Favoriten keinen Polizeischutz bekommen hat, obwohl der Lebensgefährte mehrfach einschlägig vorbestraft war. Oft werden Wiederholungstäter nur auf freiem Fuß angezeigt und nicht in U-Haft genommen. Das wäre aber wichtig, um das Dunkelfeld in dieser Beziehungskonstellation genauer auszuleuchten: "Was hat er für ein Täterprofil? Ist er rachsüchtig? Ist er narzisstisch? Es gäbe in solchen Fällen so viel zu tun, vor allem aber: Es gäbe viele Möglichkeiten, die nur leider nicht immer genutzt werden", sagt Rösslhumer.

Eine dieser Möglichkeiten waren sogenannte Fallkonferenzen, basierend auf dem MARAC-Projekt (Multi-Agency-Risk Assessment Conferences) der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie mit der Landespolizeidirektion Wien, das aber 2018 unter dem damaligen Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) gestoppt wurde. Bei diesen Konferenzen haben unterschiedliche Institutionen und Organisationen über einzelne Fälle, wenn Frauen in Hochrisikosituationen waren, miteinander gesprochen haben, um auszuloten, was zu tun ist. Da saßen Opferschutzeinrichtungen, Gewaltschutzzentren, Frauenhäuser, Männerberatung, Kinder- und Jugendhilfe sowie Polizei zusammen und haben überlegt, wie man die betroffenen Frauen am besten schützen kann.

Fallkonferenzen als wichtiges Kooperationsinstrument

Im neuen, seit 1. Jänner 2020 in Kraft getretenen, dritten Gewaltschutzgesetz gibt es zwar das Instrument der sicherheitspolizeilichen Fallkonferenz, "aber sie kann nur noch von den Sicherheitsbehörden oder der Polizei einberufen werden", kritisiert Rösslhumer: "Wir fordern dringend, dass jede Institution eine Fallkonferenz einberufen darf. Das brauchen wir unbedingt wieder. Denn Gewalt ist ein komplexes Thema. Darum brauchen wir noch viel bessere Vernetzung und multi-institutionelle Kooperation aller beteiligten Organisationen, um Gewalt oder gar Morde an Frauen zu verhindern", fordert Maria Rösslhumer.

Sie sieht vor allem die Politik in der Verantwortung: "Die Polizei macht grundsätzlich gute Arbeit, aber sie hat zu wenig Ressourcen, zu wenig Zeit, zu wenig geschultes Personal", betont die Geschäftsführerin der Frauenhäuser. Es brauche auch hier laufende Fortbildung und Sensibilisierung für das Thema, vor allem aber setzt Rösslhumer auf "engmaschige Vernetzung, denn wir sehen: Dort, wo die Polizei gut und eng mit den Frauenhäusern und Gewaltschutzzentren kooperiert, funktioniert der Opferschutz gut. Es ist also eine Aufgabe von oben her. Das Innenministerium muss den Beamtinnen und Beamten die Möglichkeiten geben, Opferschutz bestmöglich auszuüben. Dazu hat sich die Republik Österreich in der Istanbul-Konvention verpflichtet."

Das "Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt" aus dem Jahr 2011 ist ein völkerrechtlich bindendes Instrument zur umfassenden Bekämpfung aller Formen von Gewalt an Frauen.

Je Tat ist eine zu viel

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hat das Thema Gewaltschutz auch bewusst auf seiner politischen Agenda, betonte er am Sonntag im STANDARD:-Gespräch: "Jede Gewalttat ist eine zu viel. Unser gemeinsames Ziel muss es daher sein, Gewalt sowohl in der Öffentlichkeit, aber auch im privaten Raum absolut inakzeptabel zu machen."

Er will dem Thema Gewalt gegen Frauen auch auf einer gesellschaftlich-bewusstseinsbildenden Ebene begegnen, also bestimmte, oft unausgesprochene, aber doch handlungswirksame Muster und Vorstellungen über Mann- und Frausein und die Geschlechterverhältnisse thematisieren und bearbeiten. Das bedeutet, erklärt der Innenminister: "Gewalt ist bis heute in manchen Bereichen unserer Gesellschaft – geprägt und begünstigt durch kulturelle und gesellschaftliche Werthaltungen – bedauerlicherweise vorhanden und auch akzeptiert. Genau dieses Gewaltnarrativ müssen wir durchbrechen, um nachhaltig mit präventiven Maßnahmen erfolgreich zu sein."

Im Jahr 2019 wurden von der Polizei 8.748 Betretungsverbote verhängt und 19.943 Opfer familiärer Gewalt von den Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen betreut. Rund 83 Prozent der unterstützten Personen waren Frauen und Mädchen, ca. 90 Prozent der Gefährder waren männlich, zeigen Daten der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie. Im selben Jahr haben 26 Frauenhäuser insgesamt 3.310 Personen betreut, davon waren 1.673 Frauen und 1.637 Kinder. (Lisa Nimmervoll, 6.3.32021)

Update am Sonntag, 15:35 Uhr, Reaktion von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP).