Nach Herbert Kickls Rede im Wiener Prater zog ein Pulk von Demonstranten durch die Stadt, darunter auch wieder Hooligans, Rechtsextreme und Identitäre. Es kam zu mutmaßlichen Straftaten.

Foto: APA / MICHAEL GRUBER

Wien – Die ÖVP greift nach den Ausschreitungen bei den Corona-Demos vom Wochenende die FPÖ massiv an. Generalsekretär Axel Melchior forderte den Rücktritt von FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl, der am Samstag zwei deftige Reden vor Kundgebungsteilnehmern geschwungen hatte. Angesichts von "Sieg Heil"-Rufen bei den Demonstrationen zeigte sich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) "angewidert". Die Polizei wies Vorwürfe gegen ihr Vorgehen klar zurück, der Einsatz sei "insgesamt gelungen".

Pürstl verteidigt Polizei

Wiens Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl erklärte am Montagnachmittag in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz, die Polizei sei bei den Demonstrationen "sehr konsequent eingeschritten", man sei allen Missständen "konsequent entgegengetreten". Behauptungen, laut denen die Polizei nicht eingeschritten wäre, seien angesichts der Zahl von 42 Festnahmen und mehr als 3.100 verwaltungsstrafrechtlichen Anzeigen nicht richtig. Es werde auch noch eine "erkleckliche Anzahl" von Anzeigen dazukommen, sagte er mit Blick auf jene Teilnehmer, die die Versammlung nach deren Auflösung nicht verlassen hatten.

Er weise auch die – teils von der FPÖ aufgestellten – Behauptungen zurück, es habe bei der Demonstration Chaos und Eskalationen gegeben, so Pürstl. "Davon kann man nicht sprechen, wenn es der Polizei gelingt, jene Personen, die Straftaten setzen, auch festzunehmen und einzusperren." "Unrichtig" sei auch die Behauptung, dass die Polizei durch Brückensperren Personen gehindert hätte, nach Hause zu gehen oder einen Polizeikessel provoziert hätte. Es sei wesentlich gewesen, jenen Demonstrationszug, der sich nach Auslösung der Veranstaltung auf der Jesuitenwiese gebildet hatte, am Vordringen in die Innenstadt zu hindern, so Pürstl zum Vorgehen.

FPÖ-Kritik an Polizei

Die FPÖ hatte am Sonntag die Polizeiführung – namentlich Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) – für die "abendliche Eskalation gegen Besucher der gestrigen FPÖ-Kundgebung" verantwortlich gemacht. "Hunderte Menschen" seien "bewusst in eine Falle gelockt, eingekesselt und dort sogar mit Pfefferspray attackiert" worden, meinte FPÖ-Sicherheitssprecher Hannes Ametsbauer. Klubobmann Kickl erklärte, der "Innenminister und seine Parteifreunde in der Polizeiführung" hätten "die Eskalation am Abend selbst herbeigeführt, indem sie die Leute am heimgehen gehindert und in einen Kessel getrieben haben, um dort noch schnell möglichst viele Anzeigen für die Statistik zu produzieren".

ORF

Pürstl wies dies zurück und betonte die Notwendigkeit, die Identität der Teilnehmer festzustellen, da sich "in der Menge und aus der Menge heraus Straftaten ergeben haben". "Abgerundet" worden sei das durch jene Personen, die in ein Gebäude der Wiener Städtischen Versicherung eingedrungen waren und dabei zwei Personen verletzt hatten, eine davon schwer. Ebenfalls zurückgewiesen wurde von Pürstl, die Polizeiführung habe "auf höhere Weisung gehandelt".

Ob unter den Angezeigten – wie kolportiert – auch Kickl sowie die FPÖ-Abgeordneten Dagmar Belakowitsch und Martin Graf sind, konnte Pürstl nicht beantworten. Er könne "keine personenbezogenen Daten oder Namen nennen. "Aber: Wenn Personen des öffentlichen Lebens aufgefallen sind, die sich nicht an die Maßnahmen gehalten haben, dann gibt es auch eine Anzeige."

ÖVP-Kritik an FPÖ

Bundeskanzler Kurz hatte zuvor im Rahmen der Sondersitzung des Nationalrats zum "Frauentag" betont, man könne und solle unterschiedliche Meinungen zur Corona-Krise artikulieren. Eine "Hooligan-Mentalität", die zu Gewalt und einem schwer verletzten Wachmann führt, sei aber "inakzeptabel": "Es widert mich an. So etwas sollte in Österreich keinen Platz haben."

Während Kurz die FPÖ nicht benannte, nahm sie sein Generalsekretär voll ins Visier. Kickl müsse umgehend von all seinen politischen Ämtern zurücktreten, forderte Melchior am Montag in einer Aussendung: "Kickls Bündnis mit Rechtsextremen gefährdet unseren Rechtsstaat und bringt die Gesundheit sowie die Sicherheit der Österreicherinnen und Österreicher in Gefahr."

Deutsch sieht "gefährliche Entwicklung"

"Es ist eine gefährliche Entwicklung, bei der niemand tatenlos zusehen darf", warnte der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG), Oskar Deutsch, in einem Statement gegenüber der APA. Antisemitische Verschwörungslügen und Rechtsextremismus hätten auf den Straßen Wiens nichts verloren, "sie führen letztlich zu physischer Gewalt". Deutsch sieht die Verantwortung für die physische Gewalt zwar bei den Tätern und Täterinnen. "Die politische Verantwortung für die Eskalation jedoch tragen die FPÖ und Herbert Kickl."

Bei den Demonstrationen am Samstag in Wien war die Stimmung auch durch zwei deftige Reden Kickls ("Corona-Stahlhelme in den Regierungsbüros", "Schmuddel-Typen" in den Ministerien) angeheizt worden. Nach dem Ende der FPÖ-Kundgebung im Prater wollte sich ein Pulk von mehreren hundert Demonstranten nicht auflösen, sondern zog mit Transparenten und Parolen auf einer dreispurigen Straße am Donaukanal stadteinwärts entlang, darunter auch wieder Hooligans, Rechtsextreme und Identitäre. Ein Wachmann der Wiener Städtischen Versicherung wurde schwer verletzt und musste operiert werden.

DER STANDARD

FPÖ-Chef Norbert Hofer sprach sich am Montag in einer Aussendung "gegen die pauschale Kriminalisierung verzweifelter Menschen aus, die auf der Straße ihren Protest zeigen". Die Umstände der Verletzung eines Wachmanns seien aber "noch genau zu ermitteln".

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger sagte, dass die Neos gegen Demoverbote seien, denn das würde die Wut der Menschen nur noch mehr schüren und zur Eskalation führen. Gleichzeitig forderte sie Kickl auf, seine Worte zu mäßigen und abzurüsten. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) verurteilte die Ausschreitungen "auf das Schärfste". Auch die Wiener Grünen zeigten sich betroffen. (APA, 8.3.2021)