Die 7000 Sprachen weltweit folgen ganz verschiedenen Regeln: in Grammatik, Wortbildung oder Artikulation.

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Der Sprachwissenschafter Harald Haarmann hat ein so informatives wie unterhaltsames Buch geschrieben.

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Donaudampfschifffahrtskapitän mag ein Wortungetüm sein, es ist aber nicht das einzige auf der Welt. Die Yupik in Alaska bilden auch lange Wortketten. So lässt die kaum sprechbar scheinende Buchstabenfolge "tuntussurqatarniksaitengqiggtuq" etwa wissen, dass "er noch nicht wieder gesagt hatte, dass er Rentiere jagen würde". Wer schimpft da noch über Donaudampfschifffahrtskapitänsmütze?

In Die seltsamsten Sprachen der Welt gibt der Sprachwissenschafter Harald Haarmann Kostproben vom so verschiedenen Funktionieren der etwa 7000 Sprachen auf unserem Planeten. Angesichts vieler Beispiele mutet es ungeheuerlich an, dass Deutsch von Wissenschaftern unlängst zur zehntmerkwürdigsten Sprache gewählt wurde – hat es doch ein weit ausgewogeneres Verhältnis von Vokalen und Konsonanten als das Ubychische mit 82 Lauten, wobei allein das Qauf acht Arten artikuliert werden kann, während es nur zwei Selbstlaute gibt.

Indem er aber nicht auf die bloße Jagd nach Kuriosa geht, sondern seine Funde linguistisch, historisch und soziologisch einbettet, zeigt Haarmann, dass selbst hinter den erstaunlichsten Erscheinungen nachvollziehbare Gründe stehen. In dem Zug räumt er auch mit dem Vorurteil auf, dass die Inuit hunderte Worte für Schnee hätten. Tun sie nicht. Allerdings haben sie sehr viele für Eis, war doch die Schneelage für die Robbenjäger weniger wichtig als die Beschaffenheit des zugefrorenen Meeres. Als Schneefetischisten erweisen sich dagegen die Rentiere haltenden Saamen mit eigenen Begriffen etwa für "auf kahlen Boden gefallener Neuschnee, der das Verfolgen von Fährten ermöglicht".

Verständigungsdienst

So heiter die Kapitel zum weltweiten Wortschatz sind, so kniffelig mitzuverfolgen wird es, wenn Haarmann an Grammatik und Satzbau geht. Man kann oft nur verblüfft zur Kenntnis nehmen, auf wie viele Arten Sprache funktionieren kann – etwa obwohl keiner genau weiß, wie viele Kasus es im Ungarischen gibt. Oder obwohl das Thailändische alle Gegenstände in Klassen zusammenfasst, wobei unter "lam" das traditionelle Bambusrohr genauso Platz hat wie ein Flugzeug, sind sie doch beide hohle, zylindrische Objekte.

Jede Sprache ist Ausdruck von Welterfahrung, Herrschaftsformen, Glaube – ob auf Khmer, wo, während wir schlicht "ich" sagen, die eigene soziale Stellung, das Alter und das Geschlecht in Relation zur angesprochenen Person mitartikuliert werden, oder bei den matrilinear organisierten Crow, wo Verwandte männlicherseits kaum differenziert benannt werden, weil sie unwichtig sind.

Seltsam ist das alles nur auf den ersten Blick – der zweite fasziniert. (Michael Wurmitzer, 9.3.2021)