Eine Gesetzesnovelle sorgt für Kritik: Sie würde dem Gesundheitsminister deutlich mehr Spielraum geben, sagen Juristen.

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Über 20.000 Stellungnahmen sind zur Novelle des Epidemiegesetzes und des Covid-19-Maßnahmengesetzes abgegeben worden – eine Flut, die selbst die interessiertesten Juristen erstaunt. Am Dienstag endet die Begutachtungsfrist und damit das Zeitfenster, in dem derartige Stellungnahmen abgegeben werden können.

Die Kritik an den Änderungsplänen kommt aus mehreren Ecken und hat es in sich: Auf der einen Seite stehen tausende Privatpersonen, die als Maßnahmenkritiker in einer konzertierten Aktion vorgefertigte Stellungnahmen auf der Parlamentswebsite hochladen. Auf der anderen Seite stehen renommierte Juristen, die teils sogar die Verfassungskonformität der Änderungsvorschläge anzweifeln.

Was Experten sagen

Etwa bei den Ausgangsbeschränkungen. Die galten bisher als Ultima Ratio. "Nun bekommt der Verordnungsgeber ziemlichen Freiraum. Er könnte schon Ausgangsbeschränkungen verfügen, obwohl andere Maßnahmen auch zum Ziel führen würden", sagt der Verfassungsjurist Peter Bußjäger, "das erachte ich als problematisch." Er geht davon aus, dass der Verfassungsgerichtshof (VfGH) "diesen Punkt sehr kritisch prüft. Wenn man das Tor für Ausgangsbeschränkungen weit aufmacht, sehe ich das verfassungsrechtlich kritisch."

Der Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk sieht in der geplanten Rechtslage gar noch größere Freiheiten für den Gesundheitsminister. Denn sie gäbe ihm laut Funk die Möglichkeit, einzelne Ausnahmen von den Ausgangsbeschränkungen zu beschneiden. Im Ministerium widerspricht man dieser Interpretation vehement, das sei nicht der Plan. Der Jurist dazu: "Das Allermindeste wäre, eine Klarstellung in den Erläuterungen festzuschreiben."

Umstrittener Veranstaltungsbegriff

Ein weiterer Knackpunkt ist das, was die Novelle als Veranstaltung versteht – die Situation nämlich, wenn zumindest vier Personen aus zwei Haushalten zusammenkommen. Das heißt noch nicht, dass alles darüber automatisch strafbar wäre, aber es wäre die Basis für derartige Verordnungen. Nur: Die gibt es so ähnlich bereits.

"Daran sieht man, auf wie wackeligen Beinen die derzeitige gesetzliche Regelung steht", sagt Bußjäger. Der Verfassungsexperten Heinz Mayer meint dazu: "Eine Veranstaltung mit vier Leuten zu definieren halte ich für grotesk. Das kann man anders machen." Aus dem Gesundheitsministerium wiederum heißt es, man wolle in diesem Punkt "mehr Rechtssicherheit" schaffen.

Auch im Österreichischen Rechtsanwaltskammertag (Örak) arbeitet man derzeit an einer Stellungnahme. Rechtsanwalt Berhard Fink übt dabei an mehreren Punkten heftige Kritik, darunter an der künftig niedrigeren Hürde für Ausgangssperren und dem Veranstaltungsbegriff. Aber auch am Epidemiegesetz an sich: "Es ist immer noch ein Stückwerk, da wird reinnovelliert, und da hechelt man dem VfGH hinterher."

Was die Masse sagt

Zu dieser Expertenkritik kommen noch die zigtausend Stellungnahmen von Privatpersonen. Christa Pail hat am Institut für Öffentliches Recht und Politikwissenschaft der Universität Graz das Vorgehen der sogenannten Staatsverweigerer untersucht, die bekanntlich ebenfalls mit unzähligen Schreiben ganze Behörden lahmzulegen versuchten. Im Gespräch mit dem STANDARD sieht sie Parallelen zwischen dem Vorgehen der Staatsverweigerer und dem der Covid-Maßnahmenkritiker. In jenen Stellungnahmen, die zuhauf und stets im selben Wortlaut vorgebracht wurden, finde eine "Vermischung" statt, sagt sie: "Da wird zu wenig differenziert, etwa was ein Grundrechtseingriff und was eine Grundrechtsverletzung ist."

Aber, und auch das sei ein Merkmal der verschiedensten Schreiben von Staatsverweigerern gewesen: Adressat sei ohnehin nicht die Behörde. "Diese Schreiben sind oft so verfasst, dass sie gut klingen für jene Personen, die dafür empfänglich sind. Begriffe wie 'Willkür', 'Verletzung' und 'maßlos' sind vielmehr dazu da, die eigene Masse zu bestärken, als um Kritik auszudrücken", sagt Pail.

Aus dem Gesundheitsministerium heißt es, man werde die Rückmeldungen aus dem Begutachtungsverfahren prüfen. Und: Natürlich könne es daher noch zu Änderungen am Gesetzesentwurf kommen. (Gabriele Scherndl, 8.3.2021)