Christopher Wallace als Kid, als der Rapper Biggie noch small war.

Foto: Netflix

Gegen Ende erscheint dann dieses Bild, das große traurige Gesicht mit der schiefen Krone obendrauf: Als König von New York galt der Rapper The Notorious B.I.G. Mitte der 1990er, doch sein Krönchen war aus Plastik und soll sechs Dollar gekostet haben. Das Bild besitzt ikonenhaften Charakter, wie sehr, verdeutlicht der Umstand, dass die Krone bei einer Auktion im Vorjahr um 600.000 Dollar versteigert wurde.

Netflix zeigt gerade neu die Dokumentation Biggie: I Got a Story to Tell. Regisseur Emmett Malloy ist dabei wenig am Mythos interessiert. Dieser begann mit der Ermordung des als Christopher Wallace geborenen Rappers 1997. Bis heute unaufgeklärt, gilt seine Ermordung in Los Angeles als Revanche-Akt für den im Jahr davor in Las Vegas erschossenen Rapper Tupac Shakur – noch so ein zu früh zum Mythos gewordener Tragöde.

Diese Geschichte muss zwar vorkommen, doch Malloy gießt kein Öl ins Gerüchtefeuer dieser medial als Ost- gegen Westküste ausgeschlachteten Auseinandersetzung. Malloy zeigt stattdessen Filmmaterial, auf dem die beiden nebeneinandersitzen und Tupac Biggie in einem spontanen Rap hochleben lässt. "Try to get the facts first", sagt Biggie zu dem angeblichen Streit in seinem letzten Interview – zu spät.

Mit der VHS-Kamera

Diese privaten Aufnahmen stammen zum Großteil von Damion Butler alias D-Roc. Biggies Jugendfreund begleitete ihn mit unhandlichen VHS-Kameras, hielt fest, was Biggie skeptisch als einen Traum betrachtete, der jeden Moment platzen könnte: seine kometenhafte Karriere vom übergewichtigen, schielenden Kid einer alleinerziehenden Mutter, das es zuerst als Drogendealer in der Nachbarschaft versucht hatte. Malloy erzählt, wie Biggies Mutter Crack weggeschmissen hat, das der zum Trocknen ans Fenster gestellt hatte: Sie hielt es für vergammeltes Kartoffelpüree.

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Gleichzeitig war Hip-Hop der allgegenwärtige Soundtrack, und Biggie konnte reimen. Und zwar besser als viele, mit einer Musikalität, die der Jazz-Saxofonist Donald Harrison als ein Mentor aus der Nachbarschaft erkannte und unterstützte.

In Interviews und Erinnerungen an den Alltag von damals liegt die Stärke dieser Doku. Daraus entsteht die märchenhafte wie tragische Geschichte eines Kleinkriminellen, der umsattelte und zu einem der größten Stars des Hip-Hop wurde. Gut 30 Millionen Alben soll er verkauft haben, nur eines erschien zu seinen Lebzeiten. Dessen zynischer Titel Ready To Die war dabei nichts, was der Mensch Wallace tatsächlich ersehnte.

Rare Eloquenz

Wallace wurde früh zweifacher Vater und wollte es besser machen als sein eigener, den er nie kennengelernt hatte. Aus Startnachteilen machte Biggie das Beste. Er kombinierte Erfahrungen mit Träumen – und das in rarer Eloquenz und mit Produktionen, die das damals von der Westküste dominierte Fach wieder spannend machten.

Die Tonalität der Doku wirkt da oft deckungsgleich mit dem Gesichtsausdruck ihres Sujets. Dem ist die Melancholie genauso eingeschrieben wie das Misstrauen, ein offenes Lachen ebenso wie der Gangster. All das endete genau vor 24 Jahren. Am 9. März 1997 wurde The Notorious B.I.G. im Alter von 24 Jahren aus einem vorbeifahrenden Auto erschossen. (Karl Fluch, 9.3.2021)