Giovanna Battaglia Engelbert steht mit Headset ausgerüstet vor einer großen bunten Fotowand. Für einen berühmten Streetstyle-Star ist die 41-jährige Italienerin überraschend schlicht gekleidet. Sie trägt beigefarbene Jeans und ein einfaches schwarzes T-Shirt, dafür jede Menge auffällige Kristallklunker am Handgelenk und um den Hals.

Die Botschaft ist klar: Nicht sie, sondern ihr Schmuck soll heute im Vordergrund stehen. Im Mai 2020 wurde sie zur neuen Kreativdirektorin von Swarovski ernannt, und per Zoom stellt sie an diesem Tag ihre allererste Kollektion vor.

Ihr neuer Posten als Global Creative Director ist alles andere als Nebensache. Er geht einher mit einer radikalen Neuausrichtung des Konzerns, forciert durch den neuen Chef Robert Buchbauer. Das österreichische Unternehmen kam in den letzten Monaten vor allem durch einen massiven Mitarbeiterabbau und weiträumige Schließungen in die Schlagzeilen.

Swarovski hatte beispielsweise im Juli angekündigt, am Hauptstandort Wattens von den derzeit noch bestehenden 4.600 Stellen weitere 1.000 zu kürzen. Bis 2022 soll sich der Mitarbeiterstand außerdem noch einmal um 600 Stellen verringern. Darüber hinaus müssen ein Drittel aller Geschäfte in Österreich und weltweit 750 von 3.000 Filialen schließen.

Modisch relevanter

Nun soll es aber endlich wieder positive Nachrichten geben. Mit einer Modeikone wie Giovanna Battaglia Engelbert an der Spitze möchte die Marke nicht nur exklusiver, sondern auch modisch relevanter werden. Der Fokus soll von nun an auf den eigenen Kreationen liegen und weniger auf dem Komponentengeschäft – womit der Verkauf von Steinen gemeint ist, die von anderen Unternehmen für Accessoires oder T-Shirts genutzt werden.

Giovanna Battaglia Engelbert soll aus dem Kristallhersteller Swarovski ein High-Fashion-Label machen.
Foto: Swarovski

Bislang hatte Swarovski in der Modebranche tatsächlich eher den Ruf des Lieferanten als den eines ernstzunehmenden Fashionlabels. Es gab zu viele Linien, zu viel Angebot und vor allem: keine eindeutige kreative Vision. Das ist auch kein Wunder, denn vor der Ernennung von Battaglia Engelbert zur Kreativdirektorin gab es diesen Posten schlichtweg nicht.

"Wir arbeiten gerade daran, die Marke kreativer zu machen, ihr eine Seele zu verleihen. Dabei ist es wichtig, einen Menschen zu haben, der das Ganze stellvertretend übernimmt. Und meiner Meinung nach ist es auch wichtig, dass dieser Mensch eine Frau ist, die selbst Schmuck trägt," erklärt Battaglia Engelbert.

Stimmiges Konzept

Auf die Frage, welches Image sie der Marke in Zukunft verpassen möchte, verweist sie auf die Bilder hinter sich, auf denen Models wie Adwoah Aboah, Penelope Tree oder Malick Bodian zu sehen sind, die ihre neuen Kreationen tragen. "Sehen Sie, das sind meine Musen. Ich wollte ein multikulturelles, inklusives, alters- und genderloses Casting. Das war mir besonders wichtig."

Battaglia Engelbert hat verstanden, dass eine ansprechende Kollektion allein heutzutage nicht mehr ausreicht, um erfolgreich zu sein. Das Konzept muss stimmen, allen voran die Philosophie der Marke.

Die richtigen Weichen wurden mit Battaglia Engelberts Besetzung schon einmal gestellt. Ihre ausgefallenen Kreationen könnten das Übrige tun, um Swarovski bald in den High-Fashion-Olymp zu heben.

Ein Halsreif aus dicken weißen Kristallen, die von einem schwarzen Gestell gehalten werden, wirkt auf einem schwarzen Kleidungsstück so, als würden seine Steine in der Luft schweben. Das sieht nicht nur modern, sondern auch ziemlich elegant aus. Andere Stücke bestechen durch ihre Vielseitigkeit, wie beispielsweise wendbare Ketten oder eine Reihe von geometrischen Clip-Ohrringen, die man beliebig an die Ohren stecken kann.

Vor den Vorhang geholt

Kein schlechter erster Wurf für eine Autodidaktin. Die extravagante Italienerin arbeitet zwar bereits seit 2016 als Consultant für die Marke, hat das Schmuckhandwerk jedoch nicht von der Pike auf gelernt. Die gebürtige Mailänderin startete zunächst eine Karriere als Model und war auf den Laufstegen von Dolce & Gabbana zu sehen, bevor sie zur Moderedakteurin und Stylistin wurde.

Unter der Regie von Franca Sozzani arbeitete sie viele Jahre für die italienische Vogue, wo sie regelmäßig mit bekannten Fotografen wie Peter Lindbergh, Patrick Demarchelier und Paolo Roversi kollaborierte. Dank ihres auffälligen, farbenfrohen Kleidungsstils gehört sie bald zur Riege der großen internationalen Streetstyle-Stars, die vor den Modenschauen von Fotografen belagert werden.

Battaglia Engelbert erhielt für die Neuausrichtung von Swarovski "Carte blanche".

Die Verantwortung, das Image von Swarovski zu richten, scheint sie gelassen zu nehmen. Natürlich trete sie nun zum ersten Mal öffentlich für die Marke auf, vorher habe sie diskret im Hintergrund gearbeitet, davon abgesehen ändere sich für sie aber nicht viel, sagt sie.

"Für mich gehören all diese Jobs zur gleichen Disziplin, es sind kreative Tätigkeiten. Außerdem gehört es zu meiner Persönlichkeit, flexibel zu sein. Vorher ging es mehr um das Herstellen der Kristalle, darum, wie wir Designern da draußen helfen können, ihre Ideen umzusetzen. Nun befinde ich mich in der Welt der Fine Jewellery und gebe Swarovski eine globale Vision. Ich fühle mich sehr geehrt, dass man mir die Schlüssel für dieses unglaubliche Reich überlassen hat."

Für Battaglia Engelbert ist Swarovski eine große Spielwiese. Zum einen, weil das Unternehmen der Italienerin "Carte blanche" überließ, wie sie sagt. Zum anderen, weil die Möglichkeiten in einem Haus, dem das Material gehört, mit dem es arbeitet, schier unendlich sind.

"Für mich steht hinter Swarovski ein Universum, ja fast schon ein Imperium", schwärmt Battaglia Engelbert. "Der Name hat für mich den gleichen Stellenwert wie Coca-Cola, und das Image, das ich aufbauen möchte, soll dem auch gerecht werden."

Die Zukunft des Kristallherstellers dürfte also spannend bleiben. (Estelle Marandon, RONDO, 1.6.2021)