Nils Holger Moormann: "Das mache ich jetzt: Ich kultiviere meine Ecken und Kanten."

Foto: Julia Rotter

Der Designer Richard Lampert bezeichnete ihn als "Entertainer der Möbelbranche". Denn Nils Holger Moormann ist zunächst erst einmal eines: erfrischend anders. Mit 16 riss er von zu Hause aus, studierte Jus, schmiss es hin, lernte auf der Autobahn einen Tramper kennen, der ihm von den Entwürfen des Architekten Andreas Weber vorschwärmte, und gründete 1984 völlig mittellos sein eigenes Unternehmen.

Als Vorreiter des "Neuen Deutschen Designs" hat sich Moormann der Reduktion verschrieben: mit einfachen, klugen Möbeln aus unprätentiösen Materialien. Schlicht, aber durchdacht, asketisch, aber humorvoll. Manche hat er selbst entworfen, bei anderen fungiert er als Verleger. Bei der Firma in Aschau im Chiemgau in der oberbayerischen Provinz arbeiten 50 Mitarbeiter.

STANDARD: Herr Moormann, vor 36 Jahren haben Sie Ihr gleichnamiges Möbelunternehmen gegründet. Nun verkauften Sie Ihre Anteile – an zwei Menschen, die keine Erfahrung in der Möbelbranche haben. Warum?

Nils Holger Moormann: Weil sie keine Erfahrung in der Möbelbranche haben.

Das Bücherregal "FNP" von Axel Kufus
Foto: Nils Holger Moormann

STANDARD: Wie darf man das verstehen?

Moormann: Ein Designunternehmen weiterzuführen ist ein schwieriges Unterfangen. Wenn jemand nur so eine halbe Idee davon hat und das irgendwo integriert oder auslutscht – oder noch schlimmer: mich einfach kopiert –, dann finde ich das schwierig. Man muss eigentlich bei null anfangen, ohne die Wurzeln zu vergessen.

STANDARD: Mit dieser Aufgabe haben Sie Kristina Münnix und Christian Knorst betraut: ein Geschwisterpaar, das sich auf die Übernahme kleiner und mittelständischer Unternehmen spezialisiert hat. Warum sie?

Moormann: Sie bringen eine lokale Nähe mit, können sich also selbst einbringen. Und sie gehen mit ihrem eigenen Kapital heran, tragen selbst das Risiko. Vor allem aber kann ich bei Frau Münnix und Herrn Knorst die Leidenschaft für Design in den Augen funkeln sehen. Das ist eine unglaubliche Kraft, ich habe sie selbst erfahren: Ich bin abgebrochener Jurist, hatte keine Ahnung von Design und Geschäft. So habe ich losgelegt, und mit Glück ist daraus eine veritable Firma geworden.

STANDARD: Und nicht zuletzt, weil sie oft ein Händchen für gute Ideen hatten: Manche Ihrer Möbel wie das modulare Regal "FNP" von Axel Kufus sind zu Ikonen geworden, der Kipp-Schuhschrank von Hanspeter Weidmann, der Ihnen zum Durchbruch verhalf, wurde millionenfach kopiert.

Moormann: Ich hatte keine Ahnung von Design, war aber immer fasziniert von Schönheit und Funktion. Und hatte bei aller Lautheit auch immer eine demütige Bescheidenheit. Für mich war es aus dieser Position heraus natürlich einfacher, Funktionen zu hinterfragen. Möbel zu erfinden, die in der Herstellung tricky sind oder eine neue Funktion haben, die es so noch nie am Markt gab. Mit der "Schuhkippe" konnte man in einem engen Flur mit einem Mal zehn Paar Schuhe wegräumen. Je mehr man sich mit Gestaltung beschäftigt, umso stärker wird dann natürlich der Blick. Ich wollte immer so reduziert und einfach wie möglich bleiben. Wir wissen ja alle: Das Einfache ist das wirklich Schwere, weil man nichts kaschieren oder übertünchen kann. Sie müssen den Urcharakter eines Möbelstücks herauskitzeln, und das hat mir große Freude gemacht. Am Ende bleibt eine Essenz, die Sie sorgfältig eingekocht haben, ohne Geschmacksverstärker.

Der "Pressed Chair" von Harry Thaler
Foto: Nils Holger Moormann

STANDARD: Warum gehen Sie gerade jetzt?

Moormann: Je weiter das Alter voranschreitet, umso mehr Gedanken macht man sich natürlich. Ich bin jetzt stolze 68 und glaube ganz frech, als Autodidakt im Design alles erreicht zu haben, was man erreichen kann und will. Ich habe nichts ausgelassen. Was wäre die Alternative? Immer weitermachen? Immer weiterwachsen? Größe hat mich nie interessiert. Und ist es nicht toll, nicht jemanden bitten zu müssen, die Firma zu übernehmen, sondern eine gesunde Firma in neue Hände zu legen? Jetzt ist der bestmögliche Zeitpunkt. Uns geht es wirtschaftlich so gut, es ist schon fast beängstigend.

STANDARD: Es hatte also nichts mit dem wirtschaftlichen Umbruch zu tun?

Moormann: Für mich war der Entschluss schon länger klar. Ich möchte kein abgehalfterter Kapitän werden, der vergessen hat, am letzten Hafen von Bord zu gehen. Und ich habe keine Kinder. Meine erste Überlegung war deshalb: anhalten, aussteigen, Firma schließen. Wenn man dann aber eine Nacht drüber schläft, offenbaren sich dann doch Schwierigkeiten. Mitarbeiter, Zulieferer, Kunden kommen in wirtschaftliche Not, nur weil ich keine Lust mehr habe. Daraufhin habe ich mich auf die Suche nach einem Nachfolger gemacht, wider Erwarten haben sich sogar mehrere Investoren gefunden. Ich hatte vorher nie mit Investoren zu tun, die waren auch alle saunett, aber die sagten Dinge wie: "Sie haben eine tolle Firma, aber Sie sind zu klein. Die Umsätze müsste man in eine andere Dimension bringen." Das fühlte sich nicht gut an.

STANDARD: Um das große Geld ging es Ihnen nie: Sie haben auch auf Ladenhüter wie die Garderobe "Stellvertreter" gesetzt. Oder auf den "Pressed Chair", dessen Produktion mit schwindelerregenden Investitionen verbunden war. Ihre Allzweckwand "Walden" wurde nicht ein einziges Mal verkauft. Ist das nicht wider jede ökonomische Raison?

Das "Seiltänzerbett" (Design von Nils Holger Moormann)
Foto: Nils Holger Moormann

Moormann: Meine drei Leitlinien heißen Konsequenz, Transparenz und Haltung. Dazu gehört, auch einmal auf ein Pferd zu setzen, das das Ziel nicht erreicht. Design ist nicht unbedingt Trial and Error, aber man muss Sachen zulassen und die spielerische Leichtigkeit mit dem hundertprozentigen Ernst des Tuns verbinden. Sonst wird’s komisch. Und ich wünsche mir, dass dieser Funke auch auf Frau Münnix und Herrn Knorst überspringt. Das ist übrigens auch ein Unterschied zu klassischen Investoren, die nur gucken, dass das Ding einigermaßen wirtschaftlich läuft. Da geht es um Stolz, Leidenschaft und Mut zum Risiko. Im Design lässt sich nichts berechnen. Design muss man zu einem guten Teil spielerisch zulassen. Wenn man alles vorher kalkuliert, passiert zu wenig. Das vermissen wir in der heutigen Zeit ja häufig. Am Vorstandstisch werden Dinge entschieden, die völlig entseelt sind, weil sie kaputtdiskutiert wurden.

STANDARD: Mit Ihrer Frau wechseln Sie jetzt in den Beirat. Bleiben Sie dann Strippenzieher im Hintergrund?

Der Sessel "Brutissimo" von Konrad Lohöfener
Foto: Nils Holger Moormann

Moormann: Wenn ich die Firma in andere Hände gebe, dann zu hundert Prozent. Ich will da niemandem auf die Nerven gehen. Ein, zwei Jahre an Bord zu bleiben kam für mich nicht infrage. Wir machen einen sauberen Übergang, drei Monate, das reicht. Als Beirat verantworten wir künftig nicht den operativen, sondern den kreativen Teil. Wie entwickelt sich die Marke? Welche Produkte könnten interessant sein? Dort werden wir das Wissen, das wir in der Kür gelernt haben, vermitteln. Die Pflicht können andere besser.

STANDARD: Was machen Sie mit der neu gewonnenen Freiheit?

Moormann: Ich habe immer den Grafiker Kurt Weidemann bewundert, der sein profundes Wissen in einen kantigen Charakter verpackte. Das mache ich jetzt: Ich kultiviere meine Ecken und Kanten.

STANDARD: Was passiert mit Ihrem Gästehaus "berge", schräg gegenüber dem Firmensitz?

Moormann: Das haben wir auch abgegeben. Ich wollte frei sein, mit Halbfreiheit kann ich nichts anfangen. Da hat man immer etwas am Bein, um das man sich kümmern muss. Ich bin jetzt mit kleinem Gepäck unterwegs. Ich wiehere und galoppiere über die Weide wie lange nicht mehr. Meine Frau und ich machen eine kleine Firma auf, werden künstlerisch beratend tätig sein, werden alten Häusern neues Leben einhauchen – ich bin ja leidenschaftlicher Ruinenretter – und einen neuen Campingbus entwerfen. Diese Themen treiben mich um, hoffentlich noch mein Leben lang. Sie sind mich nicht los. Der Verrückte will bleiben!

STANDARD: Dem Design bleiben Sie also treu?

Moormann: Die Möbelfamilie interessiert mich weiter, wenngleich wir, wie meine Frau es formuliert hat, nicht die prickelndsten Zeiten haben. Es sind mir zu viele Me-too-Produkte auf dem Markt, zu viel Jagd nach ständig Neuem, es werden zu wenige dicke Bretter gebohrt. Das werde ich den zweien noch mit auf den Weg geben: wirklich extrem dicke Bretter bohren. Mal ein bisschen hurli-furli Design machen und alles mitnehmen, das geht halt nicht. (Florian Siebert, RONDO, 22.3.2021)