Karl Nehammer verteidigt die Polizeieinsätze vom Wochenende.

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Anfang des Jahres ließ Innenminister Karl Nehmammer (ÖVP) kurz mit einer Polizeirichtlinie aufhorchen, mithilfe deren Einsätze auf Corona-Demos optimaler verlaufen sollten. Schon im Vorfeld sollten etwa jene, die durch einschlägig bekannte Organisatoren angemeldet werden, schneller untersagt werden. Zudem sollten Verstöße gegen die Regeln zur Eindämmung der Corona-Pandemie geahndet werden. Nach über zwei Monaten kann man sagen: Die Demos finden auch statt, wenn sie untersagt werden. Die Polizei wirkt mitunter hilflos, begleitet die großteils maskenlosen Massen – manchmal freundlich –, verteilt Anzeigen, vereinzelt kommt es zu Festnahmen.

STANDARD: Sind Sie mit dem Polizeieinsatz vom Samstag zufrieden?

Nehammmer: Die Polizistinnen und Polizisten haben am Samstag in einer außergewöhnlichen Situation hervorragende Arbeit geleistet. Ein Polizeieinsatz dieser Art und Größenordnung ist immer von einer besonderen Dynamik getragen. Sowohl die Einsatzführung als auch die taktisch operative Umsetzung standen auf einem hohen Niveau. Das zeigen nicht zuletzt 3100 erstattete Verwaltungsanzeigen wegen Missachtung der Covid-Bestimmungen.

STANDARD: Viele fragen sich, wie lange es so weitergehen soll, dass man samstags Angst haben muss, in die Stadt zu gehen oder mit den Öffis zu fahren, weil Rechtsradikale und Verschwörungsgläubige ohne Masken durch die Gegend laufen und andere anpöbeln. Muss man sich das weitere Monate gefallen lassen, oder wird es eine neue Strategie geben?

Nehammer: Die Polizeibehörden haben in den letzten Wochen Versammlungen, die den Covid-Bestimmungen zuwidergelaufen wären, konsequent untersagt. Diese Linie wird auch in Zukunft verfolgt werden. Die Befeuerung derartiger Versammlungsvorhaben durch im Nationalrat vertretene Parteien ist für die Arbeit der Behörden und der Polizei wenig hilfreich.

STANDARD: Die bisherige Strategie der Polizei funktioniert offensichtlich nicht. "Sieg Heil"-Rufe hallen durch die Leopoldstadt, Davidsterne werden auf den Demos getragen, um den Holocaust zu relativieren. Sie setzen sich dezidiert gegen Antisemitismus ein. Was werden Sie hier unternehmen?

Nehammer: Derartige strafbare Handlungen sind einmal mehr ein klares Zeichen, dass Rechtsextreme die Drahtzieher hinter diesen Versammlungen sind. Jede wahrgenommene strafbare Handlung wird und wurde konsequent verfolgt. Der Kampf gegen jede Form von Antisemitismus ist Teil der Sicherheitsstrategie des Innenministeriums. Wird eine Verharmlosung des Holocaust, wie zum Beispiel durch das Tragen eines gelben Sternes wahrgenommen, wird eine Strafanzeige erstattet. Dass es überhaupt zum manifesten Antisemitismus bei diesen Versammlungen kommt, zeigt, welche Menschen und welche Geisteshaltungen hier dominieren.

STANDARD: Beim Sturm auf ein Versicherungsgebäude wurden zwei Wachmänner verletzt. Hier hatte die Polizei die Situation auch nicht im Griff. Wie werden Sie reagieren?

Nehammer: Natürlich wird auch dieser Einsatz im engen Zusammenwirken zwischen der Landespolizeidirektion Wien und der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit evaluiert werden. Das taktische Ziel war es, eine nach der Kundgebung auf der Jesuitenwiese aufgeheizte Menschenmenge am Marsch in die Innere Stadt zu hindern. Der Sturm eines Gebäudes ist eine neue Qualität der Aggression bei derartigen Versammlungen und war nicht vorhersehbar.

STANDARD: Die FPÖ war vor weniger als zwei Jahren Ihr Koalitionspartner und feuert nun die radikalisierten Massen an. Der ehemalige Innenminister durchbricht mit Gefolgsleuten Polizeisperren und schimpft in Reden auf Israel. FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz droht, dass "am Ballhausplatz die Kronleuchter wackeln werden". Sie fordern nun Herbert Kickls Rücktritt. Sonst sollte niemand zurücktreten?

Nehammer: Ich glaube, Bundeskanzler Sebastian Kurz und vor allem Generalsekretär Axel Melchior haben dazu eine klare Antwort geliefert. Dem ist von meiner Seite nichts hinzuzufügen.

STANDARD: Wie sehen Sie die Zusammenarbeit Ihres Ministeriums mit dem Wiener Polizeiapparat?

Nehammer: Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl ist ein von mir geschätzter und allseits anerkannter Experte. Er leitet die Wiener Polizei seit beinahe 13 Jahren, auch in Zeiten großer Herausforderungen – wie den gegenwärtigen – besonnen und mit Weitblick. Ich kann mich zu 100 Prozent auf ihn verlassen. (Colette M. Schmidt, 8.3.2021)